Natürlich war das keine faire Wahl. Der als aussichtsreicher Reformkandidat gehandelte ehemalige Premier Mir Hossein Mussawi hatte nicht annähernd die gleichen Chancen und Möglichkeiten wie der alte Amtsinhaber. Hinter Mahmud Ahmadinedschad standen nicht nur große Teile des einflussreichen konservativen Establishments. Er wusste vor allem das eigentliche Machtzentrum der Islamischen Republik, den Revolutionsführer Chamenei, hinter sich. Und mit ihm den gesamten staatlichen Propaganda- und Repressionsapparat. Dass es auch während der Wahl zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, scheint sicher. Aber waren diese Fälschungen so massiv, dass sie den amtlich verkündeten Mehrheitswillen des Wahlvolkes in Frage stellen? Gar ins Gegenteil verkehren? Die
Die iranische Opposition geht davon aus. Das Ausland hält sich diplomatisch bedeckt. Gesicherte Informationen wird es so schnell nicht geben.In jedem Fall sind Empörung und Wut der Mussawi-Anhänger verständlich. Hat doch ihr Kandidat eine im Iran lange nicht mehr erlebte Mobilisierung der jungen städtischen Mittelschichten erreicht. Mussawis Wahlkampf erinnerte stark an die erste, erfolgreiche Kampagne des letzten Reformers im Präsidentenamt, Mohammad Chatami. Das ist inzwischen zwölf Jahre her. Die jungen Leute, die Mussawi jetzt begeistern konnte, und deren Protest sich auf den Straßen der Hauptstadt entladen hat, waren damals noch Schulkinder. Aber sie sind alt genug, um von den politischen Enttäuschungen zu wissen, die Chatami seinen Anhängern bescherte – besonders während der Studentenrevolte 2003. Das jedoch hat sie nicht abgeschreckt, einen zweiten, eigenen Anlauf zu wagen.Wenn man Revue passieren lässt, was in diesem Wahlkampf möglich war und vom Regime zugelassen werden musste, dann wird offenbar, dass sich diese neue Protestgeneration mit Handy, Twitter und öffentlicher Protestbereitschaft nicht nur technologisch von ihren Vorgängern unterscheidet. Ein Herausforderer, der den Amtsinhaber in einem Fernsehduell vor laufenden Kameras des Staatsfernsehens ungestraft einen Lügner nennen darf, wäre vor zwölf Jahren undenkbar gewesen. Mit dieser Wahl wurde vielleicht kein Rubikon überschritten, aber auf jeden Fall ein nächster Meilenstein gesetzt. Iran ist kein Hort der Demokratie. Verglichen mit seinen Nachbarn ist das Land nach 30 Jahren Islamischer Republik jedoch eine erstaunlich offene Gesellschaft. Ein Zustand, von dem viele Iraker, Afghanen, Pakistani, Palästinenser oder Bewohner der Golfstaaten bisher nur träumen können. Die gestohlene Präsidentschaftswahl ist ganz sicher ein Rückschlag. Sie wird die weitere Öffnung des Landes jedoch nicht verhindern.Gekaufte StimmenSelbst wenn das Wahlergebnis nicht so bleibt wie offiziell verkündet, stellt sich die Frage, warum ein großer Teil des Wahlvolkes für Ahmadinedschad gestimmt hat. Trotz seiner verheerenden Bilanz, trotz der vielen uneingelösten sozialpolitischen Versprechen. Der Amtsinhaber hat in seinem Wahlkampf mit Geld um sich geworfen und so die Stimmen der Unterschichten gekauft, in deren Namen er vor vier Jahren angetreten ist. Und für die er fast nichts erreicht hat. Vorrangig in der iranischen Provinz hat diese Wahlkampftaktik Früchte getragen. Hier ist auch – anders als in Teheran – der Einfluss staatlich kontrollierter Medien und lokaler Mullahs weitgehend ungebrochen.Die überraschend hohe Wahlbeteiligung von 85 Prozent deutet darauf hin, dass nicht nur Mussawi, sondern auch Ahmadinedschad seine Klientel mobilisieren konnte. Das wird gern übersehen, verrät aber viel von der internationalen Dimension dieser Wahl. Ahmadinedschad hat versucht, an den iranischen Nationalstolz zu appellieren, er wollte aus den uneingelösten Versprechen und der Erinnerung an die Islamische Revolution von 1979 politisches Kapital zu schlagen. Für dieses Gefühl musste das umstrittene Atomprogramm herhalten. Vor dieser Folie wurde jedwede Opposition zum „Handlanger des Westens“. Mussawi hat gegen dieses politisch tödliche Image mit seiner islamisch-revolutionären Vita gekontert, die alles andere als unbefleckt ist. Und mit seinem grundsätzlichen Bekenntnis zum Atomprogramm als dem derzeit wichtigsten Symbol nationaler Souveränität. Das aber blieb ein Spagat, der nur für seine Anhänger glaubwürdig war.Kalkulierte Koexistenz Wie also soll die Welt, sollen vor allem die Vereinigten Staaten mit diesem Wahlausgang umgehen? Zunächst einmal wäre es ratsam, Abschied zu nehmen von der Überhöhung dieses Votums. Der iranische Präsident ist machtpolitisch ein besserer Pressesprecher des Regimes. Er kann innen- und wirtschaftspolitisch erheblichen Schaden anrichten und außenpolitisch viel Porzellan zerschlagen. Aber er kann strategisch nicht wirklich etwas bewegen oder entscheiden. Die US-Administration hätte es mit einem Präsidenten Mussawi zweifellos leichter. Wenn Ahmadinedschad bleibt, muss sich zeigen, ob Obamas ausgestreckte Hand auch für einen Iran unter seiner Präsidentschaft gilt.In jedem Fall brauchen die USA einen neuen strategischen Ansatz ihrer Iran-Politik. Washington kann sein Verhältnis zu Teheran nicht länger von klimatischen Bedingungen abhängig machen und dementsprechend Zuckerbrot oder Peitsche in Aussicht stellen. Diese Art von Pragmatismus war schon vor der Wahl ausgereizt. Sie hat sich auch moralisch längst diskreditiert. Iran ist eine regionale Großmacht mit strategischen Interessen, die fünf Atommächte in ihrer Nachbarschaft weiß: Pakistan, Indien, Russland, China und Israel. Das zivile Atomprogramm ist nicht mehr zu verhindern – der Schritt zur nuklearen Militärmacht vielleicht. Aber ganz sicher nicht militärisch. Auch wenn Benjamin Netanjahus jüngste Nahost-Rede dies im Subtext als ultima ratio suggeriert.Die USA werden sich deshalb gegenüber Iran auf eine Politik der kalkulierten Koexistenz besinnen müssen. Das aber heißt für Präsident Obama, eher heute als morgen mit Teheran einen nüchternen Dialog über beidseitige Interessen zu starten, der die Isolationspolitik der vergangenen 30 Jahre überwindet. Auf seine europäischen Bündnispartner sollte er dabei unbedingt zählen können. Egal, wer sich am Ende in Teheran zum Wahlsieger erklärt.