Ich kenne die statistisch berechnete durchschnittliche Anzahl von Couchgarnituren, die sich eine Familie im Laufe ihres Leben zulegt, nicht. Wir besitzen zurzeit die dritte. Ob wir damit im 30. Jahr unserer Wohngemeinschaft ein volkswirtschaftlich akzeptables Kaufverhalten an den Tag gelegt haben oder eher zu den Konsummuffeln zählen, auch das vermag ich nicht zu sagen. Die ersten beiden Garnituren erwarben wir unter der Obhut sozialistischer Planwirtschaft. Das war einfach und kompliziert zugleich. Couch Nummer 1 war das Hauptmöbelstück unserer winzigen Einraumwohnung. Es diente sowohl dem gemütlichen Sitzen als auch dem nächtlichen Schlaf. Eine gewöhnliche Klappcouch kam nicht in Frage, da das Möbelstück unmittelbar vor einem Schrank platziert werd
erden musste, dessen Türen mehrmals am Tag zu öffnen waren. Genau ein Modell, das flach genug war, hatte der Handel zu bieten, theoretisch. Praktisch klapperten wir über Monate alle Möbelläden in unserer Umgebung ab, immer wieder den Hinweis der Verkäufer befolgend: "Versuchen Sie es doch am nächsten Dienstag, Mittwoch, Donnerstag wieder, vielleicht haben wir Glück." Die zweite Garnitur bestand aus einem Dreier, dem Zweier und einem Sessel. Die Lehnen aus rustikalem Eichenholz, die Bezüge von dunkelbraunem Samt - ein wahrer Traum in den Achtzigern im Osten. B. entdeckte sie zufällig im Möbelhaus am Alexanderplatz, als sie gerade ausgepackt wurde. Niemand kannte den Preis, keiner wusste, ob und wann sie geliefert werden konnte. B. entschloss sich, die Sache auszusitzen, ob auf dem Dreier, dem Zweier oder dem Sessel ist nicht überliefert. Irgendwie gelang es ihm auch - es gab noch keine Handys -, seinen Arbeitskollegen die Notsituation zu erklären. Alle verstanden sofort, dass er unter diesen Umständen erst später zur Spätschicht kommen konnte.Da wir mittlerweile eine Zweiraumwohnung ertauscht hatten, wanderte nun Modell Nummer 1 in Raum Nummer 2, die neue Traumgarnitur zierte das Wohnzimmer. Das änderte sich auch Anfang der Neunziger nicht, als wir in der Nachwendezeit raus aus dem Zentrum an den Rand der Stadt zogen. Das Dreiergespann war unverwüstlich und immer noch schön. Bis uns vor knapp drei Jahren diese beiden ausladenden und dennoch irgendwie zierlichen Ledersofas namens "Santiago Gaucho antik" begegneten. Plötzlich sahen wir die alte Garnitur mit anderen Augen und erwogen sogar, uns von ihr zu trennen. Das fiel uns schließlich umso leichter, als alle drei Teile von lieben Menschen adoptiert wurden.Heute nun, nur drei Dutzend Monate später, haben wir ein Problem. Die antike Lederpracht ist dahin, die Sitzfläche des meist von B. besessenen Sofas löst sich auf. Wer sich ohne Decke auf ihr niederlässt, klebt fest, so wie einst die frechen Diebe am "Kälbchen aus Stroh" in meinem Lieblingskinderbuch. Über die Stadien Erstaunen - Entsetzen - Entrüstung sind wir halbwegs hinaus, praktische Schritte sollen nun folgen. Aber welche? An einem Samstag tragen wir unsere Beobachtungen in jenem Möbelgeschäft vor, in dem wir die beiden Sofas erworben haben. Wir sind die einzigen Kunden und haben daher die ungeteilte Aufmerksamkeit aller drei Verkäufer, einschließlich der Filialleiterin. Noch ehe wir ausgesprochen haben, ist die "Nicht-mehr-Garantie-Frage" schon geklärt. Keine Geste des Bedauerns, aber das Angebot sich umzuhören, ob irgendwo in einer Schwesterfiliale noch ein Exemplar des nicht mehr lieferbaren Modells herumstehe. So ganz nebenbei erfahren wir auch, dass unser auf antik getrimmtes Leder nicht durchgefärbt werde, was immer von Nachteil sei. Das hat uns drei Jahre zuvor niemand zu Bedenken gegeben. Der Samstag ist also gelaufen; mal sehen, was der Sonntag bringt. Schließlich hat ein großes Möbelhaus in Vogelsdorf verkaufsoffen, und nur mal so prophylaktisch umsehen kostet ja noch nichts.Diesen Gedanken teilen wir mit der halben Stadt. Wir wollen eine Couch und bekommen ein Volksfest. Netzbestrumpfte, hochhackige Mädchen mit Frack und Zylinder reichen Begrüßungssekt. Auf meinen potenziellen neuen Sitzgarnituren lümmeln angeregt schwatzende Menschen und lassen sich das perlende Getränk munden. Musik rauscht aus vielen Lautsprechern und hin und wieder der quengelnde Wunsch kleiner Stammhalter, ihren Erzeugern die Festlaune zu versauen. Sie möchten sofort aus der Spielecke abgeholt werden. Der Mann an der Losbude haucht mit sonorer Stimme in sein Mikrophon: "Jedes Los ein Treffer, jedes Los gewinnt." Niemand interessiert sich für seinen Plunder. Wir kaufen zehn Quarkkeulchen am Stand daneben und ergreifen die Flucht.Gestern haben wir im Kaffeeladen zwei Sofadecken aus Kunstpelz gekauft, den Kaffee haben wir dabei vergessen, aber zum Glück hatte der Baumarkt noch auf ...