Der Beginn verliert sich im nebelhaft Unbestimmten. Genauer, im Pulverdampf des Klassenkampfes: In den fernen siebziger, achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts setzten sich die Arbeiterinnen und Arbeiten, ja, (fast) das gesamte Volk der Piazza di Spagna zu Rom mit einem heute noch erinnerlichen traditionellen Bacchanal gegen den Plan zur Wehr, dort eine McDonald´s-Filiale einzurichten; die erste in der, wie manche sagen, Heiligen Stadt. So gut soll das Essen gewesen sein, dass selbst der Filialist ein Einsehen hatte und sich beschämt verzog.
Mag diese Geschichte auch eher ein Ursprungsmythos sein, fest steht, dass die Vorläufer der Slow-Food-Bewegung die Arcigola war, und dass diese nicht aus der - wie die Deutschen zu schimpfen pflegen - Weißwein-Fraktion stammte. Ar
tammte. Arcigola, ein Anagram von "agricola" (lateinisch: der Landmann), könnte man vielleicht mit Linksgeschmack übersetzen. Sie wurde von Anfang an von der Feinschmeckerbeilage der linksradikalen Zeitung Il Manifesto, aber auch von der bis 1989 erscheinenden önogastronomischen Mailänder Monatszeitschrift La Gola unterstützt. Und ARCI, das war die "Associazione ricreativa communista italiana".Immerhin verweist diese Wurzel von Slow Food auf eine ganz ähnliche Erscheinung in der traditionellen Arbeiterbewegung, dem Touristenverein "Die Naturfreude". Der ist ja auch der organisatorische Ausdruck jener Überzeugung, dass es schon vor dem Sieg der Revolution hier in diesem Leben etwas zu genießen gebe, eine unter Linken ja nicht immer wohl gelittene Idee. So kam dann auch das Arcigola-Gründungsmitglied Enrico Meduni nach einer geradezu vernichtenden Kritik der Würste, die auf den Festen der kommunistischen Tageszeitung L´Unita gereicht wurden, zu dem denkwürdigen, wenngleich nicht unumstrittenen Schluss, dass "auch Kommunisten ein Recht auf gutes Essen haben." Nebenbei: Dem Rezensenten erschien die kulinarische Vielfalt auf den L´Unita-Festen (jedenfalls im Vergleich zu den Parteiwürstchen diesseits der Alpen) wie der Vorschein auf das immerwährende Liebesmahl, bei dem "all unser Sehnen Erfüllung fand".Verdammt lang her. Wenn heute (etwa am vorvergangenen Wochenende bei der Eröffnung der Slow-Food-Messe in Stuttgart, der ersten außerhalb Italiens) Carlo Petrini, Gründer und Präsident von Slow Food International die Prinzipien seiner Organisation: "Gut, sauber, fair", mit einem an bessere Zeiten erinnernden, heute wohl nur noch auf Italienisch zu ertragenden Pathos in das Publikum donnert, dann muss er auch eine gleichfalls anwesende Staatssekretärin im christdemokratisch geführten baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium überzeugen. Und die revanchiert sich und begründet die landesregierliche Unterstützung der Slow-Food-Messe mit ihrer Vorstellung, dass gemeinsames Essen die Familie wieder an ihren angestammten Platz in der Gesellschaft setzen und somit alles zum Besten kehren werde ...Man muss eben Kompromisse schließen, wenn man sich auf die Mitte der Gesellschaft zu bewegt, und dazu gehört wohl, Vertreter einer Regierung zu Wort kommen zu lassen, die in Baden-Württemberg, gelinde gesagt, geradezu verschwistert ist mit dem Landesbauernverband. Und der steht nun für das Gegenteil von gut, sauber, fair, nämlich für: höhere Erträge zu geringeren Gestehungskosten.Auf der Stuttgarter Veranstaltung lagen Prospekte des Bauernverbandes aus, denen man entnehmen konnte, dass selbst dort in diesem inneren Kreis des technizistischen Konservativismus ein Umdenken begonnen haben soll. Wenn´s stimmt, umso besser. Gegenwärtig jedoch bedarf es schon so etwas wie geistiger Unabhängigkeit, sich gegen alle courrenten Empfehlungen und alle gängigen Milchquoten-Ideologien zu entscheiden und seine wirtschaftliche Existenz beispielsweise auf die Zucht einer Rinderrasse wie den Limburgern zu setzen, die deutlich weniger Milch bringt, deutlich langsamer wächst, aber deutlich besser schmeckt. Und wenn dann noch eine bäuerliche Familie Mastochsen züchtet (nicht zu verwechseln mit der Bullenhaltung), so ist das Ergebnis für die Fleischeslust der Verbraucher unvergleichlich, setzt aber bei den Produzenten geradezu Kühnheit voraus.Und dies gilt nicht nur für Rinder, sondern auch für Schweine, Bienen, Kräuter, Feldfrüchte, Gemüse, Wein. So kämpft beispielsweise im tiefsten Baden-Württemberg schon in der zweiten Generation ein Winzer um die Anerkennung einer von seinem Vater entwickelten Rebsorte (was viele nicht wissen, es gibt ein staatliches Traubenarten-Monopol). Ob diese Rebsorte nun Krönung und Vollendung der Geschichte des Weinbaus ist, mag dahingestellt bleiben, was aber gefällt, ist diese Widerständigkeit der Produzenten, die hier mit dem Strandgut der 1968er-Bewegung so etwas wie einen Bündnispartner gefunden zu haben scheinen.Zu gegenseitigem Schulterklopfen von Altlinkem und kritischen Landmann, der häufig eine Landfrau ist, besteht kein Anlass. Zu klein ist diese Bewegung noch, als dass sie eine volkswirtschaftlich spürbare Veränderung der Landwirtschaft durchsetzen könnte. Auch ist eine gewisse philiströse-oberlehrerhafte Attitüde auf der Konsumenten- wie auf der Produzentenseite nicht zu übersehen. Dennoch bleibt dieses kritische Moment, das vielleicht Auslöser einer größeren Bewegung werden und zu einer Kursänderung zwingen könnte, auch jenseits der Kategorie des keineswegs zu verachtenden größeren Genusses: Die volkswirtschaftlichen Rechnungen, wie hoch die Ausgaben für Lebensmittel höchsten sein dürfen, damit eine kapitalistische Wirtschaft sich überhaupt entwickeln kann (Motto: Der Laden brummt erst dann, wenn die Leute sich nicht nur Essen kaufen, sondern auch Turnschuhe, auf denen sie das angefutterte Fett auch wieder runtertrappeln), ist umstritten. Manche Ökonomen nennen die Zahl von 25 Prozent des Einkommens. Gegenwärtig ist der Aufwand dafür in der Bundesrepublik deutlich niedriger.Auf der anderen Seite sind die nach den Prinzipien von Slow Food produzierten Lebensmittel teurer als die aus dem Supermarkt oder gar vom Discounter, und zwar deutlich teurer. Es stellt sich also die Frage, ob und in wie weit diese Art zu produzieren zur Grundlage genommen werden kann, die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Lebensmitteln zu garantieren. Und da könnte sich ein weiterer Grundsatz dieses Landwirtschaftens, dieser Politik der Ernährung vielleicht wirkmächtig werden! Der Grundsatz der Regionalität und der kurzen Wege. Es geht dabei also nicht darum, nun einfach die gleichermaßen schmackhafte wie gesundheitsfördernde mediterrane Küche nach Mitteleuropa zu transponieren, sondern sich regionaler Agrarprodukte und Bearbeitungstechniken (beispielsweise des Räucherns als Konservierungsmittel) zu erinnern. Der Vorsitzende von Slow Food Deutschland, Otto Geisel, formuliert es noch lakonischer: "Respekt vor der Arbeit der Produzenten."
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