Ich wurde von meiner Mutter täglich harsch kritisiert“. „Ich wurde nicht wahrgenommen.“ Trauer, Wut und Scham sind es, die Töchter von Müttern mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung empfinden. Die Verletzungen sind bereits in der Kindheit immens, die Schäden oft irreparabel. Emotionale und physische Gewalt bestimmen ihren Alltag.
„Töchter narzisstischer Mütter sind in der Regel permanenter Kritik seitens der Mutter ausgesetzt. Das beeinträchtigt deren Selbstbewusstsein und Selbstentwicklung erheblich“, erklärt Gerti Schön, deutsch-amerikanische Psychologin und Autorin des Buches The Gentle Self („Das behutsame Ich“). „Diese Mütter können ihre Töchter lediglich als Teil ih
;chter lediglich als Teil ihres Selbst verstehen, sie sind nicht in der Lage, ihr Kind als eine unabhängige Person wahrzunehmen.“ Als Kind versuche die Tochter, sich den Bedürfnissen der Mutter unterzuordnen. In der Pubertät gebe es dann Machtkämpfe, denen oft ein Kommunikationsstillstand folgt. Passt sich die Tochter auch als Erwachsene weiterhin an, bleibt sie im Wirkungsbereich der Mutter und verliert häufig ihre Eigenständigkeit als Frau. Solche Töchter haben in der Regel keine Kinder und oft nicht einmal einen Partner, weil die Mutter das schwer dulden kann. Die Töchter leiden häufig unter „Depressionen, Suchtverhalten, Angstzuständen, Zwangsstörungen. Sie sind mitunter suizidgefährdet“, erklärt Schön. Es brauche Zeit, bis die Frauen sich eingestehen können, dass sie es mit einer Mutter zu tun haben, die sie nicht lieben kann. Manche beginnen dann eine Therapie.Placeholder infobox-1Placeholder infobox-2Die Geschichten dieser Töchter werden in Deutschland meist verharmlost oder gar nicht erst gehört. Das „Opfer sein“ wird ihnen abgesprochen. Der Mythos der „liebenden Mutter“ ist im westlichen Kulturkreis stark verwurzelt. Mütter haben ihre Kinder zu lieben. Die französische Philosophin Elisabeth Badinter decodierte in L’ amour en plus von 1980 (deutsch: Die Mutterliebe, 1981) die Mutterliebe als eine von der Aufklärung seit Rousseau „erfundene und propagierte“ Empfindung. Im Wesentlichen sei sie ein Konstrukt, um „emanzipatorische Impulse von Frauen zu unterdrücken“. Eine gute Mutter sei eine, die die richtige Distanz zu ihrem Kind halten könne.Die Psychologin Susan Forward schreibt in Büchern wie Wenn Mütter nicht lieben von einer „klaffenden Mutterwunde“und fordert noch mehr Offenheit für ein Phänomen, das in den USA schon länger debattiert wird.Die Fachzeitschrift Psychology Today widmete sich jüngst den Geschichten der Töchter, erklärt Krankheitsbilder, Symptome und Behandlungsmethoden. Wissenschaftliche und populäre Ansätze werden dabei verknüpft. Die Zeitschrift geht auch darauf ein, warum Söhne weniger betroffen sind: Töchter identifizieren sich mehr mit der Mutter, sehen sie stärker als Vorbild. Psychology Today hat in den USA eine bemerkenswerte Reichweite: 3,8 Millionen Leser (davon knapp 63 Prozent Frauen), rund sechs Millionen „Likes“ auf Facebook und 387.000 Twitter-Follower.Placeholder infobox-3Placeholder infobox-4Selbsthilfegruppen finden in den USA mittlerweile Zulauf. Laut der Webseite meetup.com, einem digitalen Treffpunkt für Menschen, die sich zu den verschiedensten Anlässen verabreden wollen, tauschen sich allein in einer Stadt wie San Diego mittlerweile 1.071 Betroffene über ihre Erfahrungen mit narzisstischen Eltern aus. Weltweit gibt es momentan 121 Gruppen in 92 Städten mit rund 17.450 Betroffenen.Die Wissenschaft unterscheidet zwischen narzisstischen Persönlichkeiten und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Es handle sich beim Narzissmus um eine „Grundeigenschaft des Menschen“, so Professor Hans-Jürgen Wirth, Psychotherapeut aus Gießen. „Man hat Distanz zu sich selbst und auch einen Bezug zu sich selbst, weil der Mensch über sich nachdenkt.“ Dabei komme es auch schon mal zu Selbstüberschätzung oder Minderwertigkeitsgefühlen, damit müsse sich jeder Mensch auseinandersetzen, nur so entstehe ein Selbstbild. „Narzissmus ist also nicht per se pathologisch“, so Wirth. „Problematisch wird es, wenn ein zu starkes oder zu geringes Selbstwertgefühl besteht.“ Der Betreffende könne dann nur schwer Abstand von der eigenen Person gewinnen, in diesem Fall könne man von einer „narzisstischen Störung“ sprechen.Placeholder infobox-5