Deutschland ist doch Weltmeister. Mit der Eröffnung des Windparks Bimolen bei Nordhorn werden jetzt über 10.000 Megawatt Strom jährlich mit Windkraft erzeugt. Das entspricht in etwa der Kapazität von zehn Atomkraftwerken und ist Weltspitze. Die erzeugte Strommenge reicht, um die gesamte Hauptstadt Berlin rund um die Uhr zu versorgen. Was Wunder, dass der grüne Umweltminister Jürgen Trittin seinen Wahlkampfauftakt am 6. August - dem Hiroshimatag - mit der Eröffnung des Windparks verknüpfte. Rot-Grün hat in den vier Jahren seit Regierungsantritt den Anteil der regenerativen Energien an der Stromerzeugung von 4,6 Prozent auf 8 Prozent erhöht. Eine grüne Note der Energiepolitik wurde mit dem Energieeinspeisegesetz, dem Erneuerbare-Energien
e-Energien-Gesetz (EEG) und verschiedenen Förderprogrammen gesetzt. Windstille hingegen herrscht beim Reizthema Atom, dabei lässt Trittin eine gute Gelegenheit nach der anderen, sich durch Entschlossenheit zu profilieren, verstreichen. Aktuelles Beispiel: das AKW Brunsbüttel. Es gehört endgültig vom Netz. Im Dezember vergangenen Jahres war es dort zu einer Wasserstoffexplosion gekommen, dabei wurde die so genannte Deckelsprühleitung des Kraftwerks zerstört. Bei den Untersuchungen im abgeschalteten Kraftwerk wurde jetzt ein früherer Schaden - vermutet wird eine ähnliche Explosion - entdeckt, der mindestens zehn Jahre zurückliegt und unbemerkt blieb. Staatssekretär Wilfried Voigt vom schleswig-holsteinischen Energieministerium, ein Parteifreund Trittins, fordert lediglich eine bundesweite Überprüfung der Kontrollstandards in Atomkraftwerken und kritisiert das Sicherheitsmanagement der AKW-Betreiberin, der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW). Einen lässigen Umgang mit der Sicherheit und Auskunftspflicht demonstrierten auch die Verantwortlichen der Energie Baden-Württemberg (EnBW) des Reaktors Philippsburg I. Massive Sicherheitsprobleme am Notkühlsystem wurden im Herbst 2001 vertuscht. Mit einem Check der Atomaufsicht wurde im Januar die Stuttgarter Firma Kienbaum Executive Consultants beauftragt. Die Unzuverlässigkeit der Betreiber kann laut Atomgesetz zum Entzug der Betriebsgenehmigung führen. Dass es keine schrilleren grünen Töne angesichts dieser Vorfälle gibt, ist auf deren Zähmung und Koalitionstreue zurückzuführen - sie agieren strikt im Geist des Atomkonsenses. Jene Vereinbarung vom 14. Juni 2002, die zwischen Bundesregierung und Stromwirtschaft getroffen wurde, regelt die verbleibende Nutzungsdauer der Reaktoren. Der Kernsatz lautet, dass der "ungestörte Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet werden". In den Kraftwerksbestand sollte nicht eingegriffen werden, das war die rote Devise, die Verwertungs- und Profitinteressen der Stromgiganten sollte nicht tangiert werden, dafür sorgte der Kanzler und SPD-Chef Gerhard Schröder persönlich, der die Verhandlungen auch zur Chefsache machte. Inhalt der Vereinbarung unter der irreführenden Überschrift "Atomausstieg" ist bekanntlich, dass die ausgehandelten Laufzeiten der Reaktoren durch deren technische Lebensdauer umschrieben werden, ja diese vermutlich übertreffen. In den 19 Kraftwerken darf noch einmal so viel Atomstrom erzeugt werden (2.600 Terrawatt) wie bisher erzeugt wurde. Kommt es betriebsbedingt zu Abschaltungen, wird ein Kraftwerk wegen technischer Pannen oder weil der Weiterbetrieb sich nicht mehr rechnet (wie im Fall des Atomkraftwerks Stade) endgültig stillgelegt, so darf die errechnete "Reststrommenge" auf andere Kraftwerke übertragen werden. Genau dieses komfortable Prozedere böte sich jetzt für Brunsbüttel an, aber offensichtlich ist bei einer erzwungenen Stilllegung immer noch ein Riesenschuss politischer Psychologie im Spiel. Das gilt erst recht für den Bereich der nuklearen Entsorgung. Es sollte still werden um die Castortransporte, werfen sie doch ein Licht auf die ungelöste Atommüllentsorgung. Der Betrieb der Reaktoren ist jedoch an einen Entsorgungsnachweis geknüpft. Weder die Wiederaufarbeitung im französischen La Hague oder dem britischen Sellafield ist ein solcher Entsorgungsbeitrag, was spätestens dann klar wird, wenn die Castoren mit dem hochradioaktiven Müll von dort nach Gorleben rollen. Und bei der Endlagersuche wird so getan, als sei ein transparentes ergebnisoffenes Verfahren neu gestartet worden. Die Akzente werden auch hier völlig widersprüchlich gesetzt: Rot beharrt auf dem Erreichten, den getätigten Investitionen. Der Schacht Konrad bei Salzgitter, ein ausgedientes Erzbergwerk, soll den schwach- und mittelaktiven Müll aufnehmen und wurde jüngst genehmigt. Es ist Sache der Kläger, dieses Vorhaben abzuwenden. Der Ausbau des Salzbergwerks in Gorleben wurde im Oktober 2000 gestoppt ("Moratorium"), aber nicht wissenschaftlich begründet, immerhin flossen in das Projekt 1,3 Milliarden Euro. Gleichzeitig, so die grüne Note, wurde ein Arbeitskreis (AK End) beauftragt, die Endlagersuche neu zu starten. In den Augen der Atomkraftgegner ist dieses widersprüchliche Vorgehen eine Mogelpackung. Der Arbeitskreis wird sein Zwischenergebnis Mitte Oktober, in der Interimszeit zwischen Bundestagswahl und der konstituierenden Sitzung eines neuen Bundestages, vorlegen. Womöglich ist es auch seine letzte Amtshandlung, denn der bayerische CDU/CSU-Kandidat Stoiber hat unmissverständlich erklärt, dass er an den beiden Endlagerstandorten in Niedersachsen festhalten will.