Mordende Gärtner

Berliner Abende Im Sommer fängt der Abend an, wenn der Balkon im Schatten liegt. Dieser Moment bedeutet Arbeit, denn: »Unser Anliegen, unser Bedürfnis ist es, nicht ...

Im Sommer fängt der Abend an, wenn der Balkon im Schatten liegt. Dieser Moment bedeutet Arbeit, denn: »Unser Anliegen, unser Bedürfnis ist es, nicht nur die Wohnung, sondern auch ihre Umgebung, das Haus und die Straße als Umwelt schöner zu gestalten und besser zu pflegen.«

Diesen wunderbaren Satz habe ich aus einem Buch, das den Fotos nach zu urteilen in den siebziger Jahren erschienen ist. Es kostete zehn DDR-Mark und trägt noch immer den Titel Blumen für den Balkon. An lauen Frühlingsabenden nehme ich es gern zur Hand, nicht nur weil ich zur Ratlosigkeit neige, wenn es darum geht, den Balkon - das »fünfte Zimmer«, wie meine Mutter gern sagt - zu begrünen. Mehr Kummer macht mir eher meine Glücklosigkeit bei den wiederholten Versuchen, mehrjährige Pflanzen zumindest über einen Sommer zu kriegen und einjähriges Gewächs auf eine Vegetationsphase von wenigstens vier Wochen einzuschwören. Dafür opfere ich gern einen Teil meiner Abende, bevorzugt, wenn Sabine Christiansen sich von den Männern die Welt erklären lässt.

Im Balkonratgeber gibt es auf Seite 18 ein sehr schönes Farbfoto, auf dem Papa, Mama und Sohn einträchtig die in Blumenkästen gefangen gehaltenen Pelargonien besprechen. Die Bildzeile lautet: »An der Pflege der Balkonblumen ist jedes Familienmitglied beteiligt«. Wenn im Sozialismus sogar an dieser für die Volkswirtschaft nicht bedeutsamen Stelle gelogen wurde, mag man sich nichts weiter ausmalen. Aber dies nur am Rande, denn weitaus wichtiger und absolut ideologieunabhängig sind die »Praktischen Ratschläge für den Blumenfreund«, die auf Seite 24 beginnen. »Die meisten Balkonpflanzen sind Einjahrespflanzen, welche sich innerhalb eines Jahres vom Samenkorn bis zur Blüte und Frucht entwickeln und dann absterben.« Meine kaufe ich als Samenkorn und dann sterben sie ab, sie haben sozusagen einen verkürzten Vegetationszyklus.

In diesem Jahr beispielsweise erwarb ich in einem Baumarkt in Salzwedel einen knallgelben Karton (neun Euro), der laut Beipackzettel mit verschiedensten Blumenzwiebeln und -samen gefüllt war. Während Sabine Christiansen im Kreise ihrer Männer über die Reformunfähigkeit der Reformer schwadronierte, pflanzte ich die Zwiebeln und Samen in Kästen und Töpfe, wässerte ordentlich, wie es mein Balkonbuch empfiehlt, und reckte siegesgewiss den grünen Daumen in die Höhe. Ich kam mir vor wie ein fleißiges Lieschen, der Liebste allerdings blieb skeptisch. Aber er besitzt auch nicht mein Grundvertrauen in dieser Hinsicht.

Es dauerte schon seine Zeit, bis die ersten winzigen Erfolge durchs Erdreich brachen, einige von ihnen an Stellen, wo ich sicher war, gar nichts eingepflanzt zu haben. Aber wenn es so etwas wie Kriechströme gibt, warum sollte dieses Phänomen nicht auch einiges Pflanzengut betreffen.

Nun muss vor dem Ende der Geschichte noch geschrieben werden, dass der Liebste sich gemeinhin allen meinen Wünschen in Bezug auf Stauden, Gehölze, Stecklinge und Nutzpflanzen beugt. Mit einer Ausnahme: Er hasst Glücksklee. Seine Kriegserklärung allerdings wird ständig konterkariert durch die Liebeserklärung meiner Mutter, die meint, im Glücksklee sei drin, was drauf steht, und mir jedes Jahr das vierblättrige Wunderwerk der Natur verehrt.

Nun, in diesem Jahr bin ich ihr zuvorgekommen, denn alles, was aus dem Inhalt des knallgelben Baumarkt-Kartons zu neun Euro hervorging, war Glücksklee. Im übrigen auch die einzige Pflanze, die auf der verheißungsvollen Packung nicht genannt wurde. Weiß der Teufel, wohin die anderen Zwiebeln und Teilchen sich verkrochen haben, geblieben ist die mickrige blassrot blühende Futterpflanze, die nur eines zusätzlichen Blattes wegen zur Balkonpflanze geadelt wurde und meinen Hausfrieden empfindlich stört.

Im Angesicht meiner ständigen Misserfolge in Fragen Balkongrün bringe ich es nicht übers Herz, etwas wegzuschmeißen, was widerständig genug war, in meiner Gegenwart zu wachsen. Dem Liebsten machte es nichts aus, den Glücksklee in der Tonne zu versenken. Ich leide bei der Vorstellung. Und während der eine versucht, den perfekten Mord durch totgießen, totdüngen oder totpinkeln (nicht der Liebste, sondern die Katze, die dazu ermuntert wird) zu inszenieren, unternehme ich den einen oder anderen hilflosen Rettungsversuch. Bevorzugt heimlich und im Schutz der Dunkelheit. Eine ungute Atmosphäre ist das.

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