Joachim Walther, zu DDR-Zeiten gut beschäftigter und auch im Westen rezipierter Autor, hat 20 Jahre lang kein literarisches Werk verfasst. In diesen 20 Jahren arbeitete Walther in zahlreichen Projekten zur DDR-Literatur. Zuletzt wurde Walther für sein Engagement Ende November 2008 mit dem Hohenschönhausen-Preis zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur ausgezeichnet. Mit dem Roman Himmelsbrück">Himmelsbrück ist Walther nun als Erzähler zurückgekehrt. Der Klappentext verspricht eine außergewöhnliche Liebesgeschichte. Doch die Geschichte, die Walther erzählt, ist ärgerlich banal, voller Redundanzen, sprachlich unausgewogen, effekthaschend und erschreckend unreflektiert.
Ein Mann und eine Frau, Matti und Ria, verlieben sich Anfang d
sgewogen, effekthaschend und erschreckend unreflektiert.Ein Mann und eine Frau, Matti und Ria, verlieben sich Anfang der 80er Jahre in Ostberlin, versprechen sich ewige Liebe, ziehen gemeinsam auf’s Land, bauen sich eine idyllische Existenz auf und heirateten. Gut sieben Jahre später trennen sie sich. Dazwischen liegen endlos quälende Ehestreits über immer wieder dieselben Streitpunkte und ebenso viele rituelle Versöhnungen. Der Mann ist der Versorger, die Frau hütet Haus und Hof. Der Mann hätte lieber, dass die Frau einer ordentlichen Berufstätigkeit nachgeht. Die möchte sich lieber selbst verwirklichen. Verbindend sind Verletzungen durch frühere Partner und eine gut funktionierende sexuelle Beziehung. Beide sind unglaublich schön und begehrenswert. Doch mit der Frau stimmt etwas nicht. Ria ist Bulimikerin und depressiv. Der Autor verrät nicht, ob in den sieben Jahren Dauer-Ehestreit gelegentlich Therapien angesprochen wurde. Die simplen Verständigungsschwierigkeiten werden als Ausdruck eines relativ großen Altersunterschieds inszeniert. So hangelt sich Walther bedeutungsschwanger von Klischee zu Klischee, selten unterbrochen von erzählerischer Logik und psychologischem Interesse. Es ist die immer gleiche Geschichte, aber nicht neu erzählt.Das Mysterium bezieht der simple Plot aus dem Umstand, dass die Frau unmittelbar nach der Trennung bei einem Autounfall stirbt. Der Roman wirkt mühsam an dieses Ende heran geschrieben, fast so habe es das letzte Kapitel zuerst als Kurzgeschichte gegeben. Auch sprachlich unterscheidet sich Herzsprung stark von den anderen Teilen, inhaltlich besonders deshalb, weil erst hier klar wird, dass Walthers Alter Ego Matti liebesfähig ist. Bis zu Seite 258 bleibt der Autor die angekündigte außergewöhnliche Liebesgeschichte schuldig. Der kleine Schönheitsfehler der späten Liebe ist, dass außergewöhnlich nur ist, dass sie so ganz ohne lebendigen Widerpart auskommt. Der Narzissmus der Hauptfigur Matti durchzieht wie ein roter Faden das Buch. Selbst in den gar nicht ungeschickt einmontierten Tagebucheinträgen ist immer dieser Matti Fixpunkt jeden Gedankens. Die einzige lebenskluge Figur in diesem Buch, eine selten in Erscheinung tretende Freundin Rias, wird als Unheilbringerin denunziert. Es stört die neurotische Symbiose, dass jemand sie benennt.Mangel an ÜberblickDie klassische sado-masochistische Beziehungskiste wird mit deftigen Sexszenen garniert. Weibliche und männliche Geschlechtsteile springen den Leser an, dass es nur so rappelt. Potenz und Geilheit kennen keine Grenzen. Fast könnte man meinen, Walther wolle die These beweisen, die autoritäre Einengung durch den Staat wurde in der DDR durch tabulosen Sex kompensiert. Nicht nur bei diesen Schilderungen mangelt es an Überblick. Da gibt es mit der Penetration ein Problem. Protagonistin Ria geilt den armen Matti zwar bis zur Besinnungslosigkeit auf, den Vollzug des Geschlechtsverkehrs will die Frau, die mehrfach von LKW-Fahrern vergewaltigt wurde (auch das noch!) nicht ertragen. Samen ergießt sich trotzdem reichlich.Bis zum Ende des Romans erfährt der Leser zwar, dass Sex in der Badewanne zu DDR-Zeiten der Bringer schlechthin gewesen sein muss, nicht aber, warum die Frau den Vollzug dann plötzlich doch zuließ. Auch der Noch-Ehemann darf sich später in Vergewaltigung versuchen und dabei räsonnieren: Das männliche Geschlechtsteil ist ein Rächer, mit dem eheliche Untreue geahndet wird. Ebenso peinlich wie die breit ausgewalzten, schwülen Altherren-Phantasien sind sprachliche Ungenauigkeiten wie „Gischt“ in der Badewanne oder „klaustrophobische Häuslichkeit“. Und das die Frau dauernd auf einem Mecklenburger Schecken ausreitet, birgt in dem völlig humorfreien Buch ungewollte Komik. Mecklenburger Schecken sind Kaninchen.Vor dem historischen Hintergrund und Walthers profunden Kenntnissen des restriktiven Systems ist der Roman fast ein Affront. Zitate aus Stasiakten und historische Verortung des Romans in den letzten Jahre der DDR bis kurz nach dem Fall der Mauer sollen offenbar die Banalität der Geschichte übertünchen. Die als regime-kritisch gezeichnete Hauptfigur verfügt über alle möglichen Privilegien, die eigentlich erklärungsbedürftig wären. Als Staffage erscheint sogar der Tod eines von der Stasi bedrängten Freundes. Walthers Figuren bleiben solchen Ereignissen gegenüber quälend indifferent. Als Menschenbeobachter fällt der Autor glatt aus. Wunderschön sind einige Passagen, in denen er Landschaft beschreibt.