Die Türkei ist nicht nur ein besonderer, sondern mitunter auch ein schwieriger EU-Bewerber. Der Wunsch dieses Landes, Mitglied der Union zu werden, spaltet die öffentliche Meinung in Deutschland und Europa, auch wenn der Beitritt erstens noch in weiter Ferne liegt, und zweitens die Türkei bis dahin noch zahlreiche Reformen vor sich hat, die das Land maßgeblich verändern dürften.
Eine zu erfüllende Bedingung auf dem langen Marsch nach Brüssel ist die immer noch ausstehende Umsetzung des Ankara-Protokolls - sprich: die Anerkennung Zyperns. Deshalb haben die EU-Außenminister Anfang der Woche einen Vorschlag der Kommission aufgegriffen und sich darauf geeinigt, acht Verhandlungskapitel auszusetzen, die mit dem freien Verkehr von Waren und Dienstleist
ienstleistungen zusammenhängen.Die Regierung von Tayyip Erdogan mag diese Entscheidung als "unfair" empfinden - angesichts der nach wie vor ungelösten Zypernfrage ist sie jedoch vernünftig. Man nimmt denjenigen, die das Zypernproblem als Vorwand zur Unterbrechung der Beitrittsverhandlungen nutzen wollen, den Wind aus den Segeln. Zudem wird vermieden, dass der Streit um einen möglichen Beitritt bei den 2007 anstehenden Wahlen in Frankreich und der Türkei instrumentalisiert wird. Am Bosporus, wo sich Reformer und Nationalisten gegenüberstehen, ist die Zypernfrage innenpolitisch schließlich kaum weniger heikel als die Armenierfrage.Aus europäischer Sicht löst das Vorgehen der Türkei zu Recht Verwunderung - wenn nicht gar Unverständnis - aus. Denn selbstverständlich hat das Land eine durch die Zollunion bedingte rechtliche Verpflichtung, ihre Häfen für den zyprischen Süden zu öffnen. Freilich ist das nur die halbe Wahrheit, die gern als die ganze verkauft wird. Schließlich stimmten die türkischen Zyprer bei einem 2004 in beiden Teilen der Insel getrennt abgehaltenen Referendum für den so genannten "Annan-Plan", der die Wiedervereinigung Zyperns vorsah, während die griechischen Zyprer dagegen votierten. Letztere wurden unmittelbar danach mit der EU-Mitgliedschaft belohnt, was sie dank des damit erlangten Vetorechts auch noch zum Richter über die türkischen EU-Ambitionen erhob. Die türkischen Zyprer hingegen warten bis heute auf die per Ratsbeschluss offiziell versprochene Aufhebung ihrer Isolation, da die Republik Zypern, also der Süden, den bereits 2004 beschlossenen Direkthandel und die EU-Finanzhilfen für den Norden weiter blockiert. Wer diese Seite des Problems nicht anerkennt, hat vermutlich ohnehin kein Interesse an einem EU-Mitglied Türkei. Dem dürfte der Zypernkonflikt sogar äußerst willkommen sein.Die türkische Regierung hat sich nun mit ihrem jüngsten Vorstoß, einen Hafen für zyprische Schiffe zu öffnen, weit aus dem Fenster gelehnt. Innenpolitisch steht Premier Erdogan unter dem Druck von Militärs und Nationalisten - die 2007 anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen werfen ihre Schatten voraus. Welche Regierung in Ankara könnte es wagen, die Häfen für die griechischen Zyprer zu öffnen, ohne zugleich etwas für den türkischen Norden der Insel erreicht zu haben? Für den ohne Zweifel pro-europäischen Tayyip Erdogan wäre das glatter politischer Selbstmord. In Europa kann das nur denjenigen gleichgültig sein, die einem europäischen Weg der Türkei ohnehin ablehnend gegenüber stehen.In der Zypernfrage müssen sich alle Beteiligten bewegen - aber trotz der rechtlichen Verpflichtungen Ankaras steht für mich außer Frage, dass die moralische Bringschuld derzeit bei den griechischen Zyprern liegt. Sollte die Republik Zypern tatsächlich planen, im Januar unter deutscher Ratspräsidentschaft die Blockade des Inselnordens aufzugeben, wäre dieser Schritt sehr begrüßenswert. Es würde dann wiederum die türkische Regierung unter berechtigtem Druck setzen, sich bei einem solchen Entgegenkommen gleichfalls zu rühren und Häfen sowie Flugplätze auch gegen innere Widerstände aus dem nationalistischen Lager zu öffnen. Damit wäre hoffentlich die Aussetzung der acht Verhandlungskapitel obsolet und der türkische Beitritts- und Reformzug könnte wieder auf das Hauptgleis gelotst werden.Nur wäre selbst dann das Zypernproblem noch nicht endgültig gelöst, das wie ein dunkler Schatten über dem türkischen Beitrittsbegehren hängt. Es ist absehbar, dass dieser Konflikt das türkische Verhältnis zur EU immer wieder von Neuem belasten wird. Deshalb sind die Vereinten Nationen gefragt, einen neuen Anlauf zur Wiedervereinigung der Insel zu wagen. Von einer deutschen EU-Ratspräsidentschaft sollte man erwarten, derartige Bemühungen nach Kräften zu unterstützen.Cem Özdemir ist Europaabgeordneter der Grünen.