Und wenn es ein UN-Mandat geben würde? Wäre der Kosovo-Krieg um einen Deut besser oder gerechter? Nein. Und doch klingt das Vökerrecht-Argument sehr stark. Wer auf die Souveränität Jugoslawiens pocht, hat viele gute Gründe auf seiner Seite. Bei näherem Hinsehen jedoch wirken die allzu oft blauäugig konservativ - und hilflos.
Die UN-Charta stand als völkerrechtliches Instrument nie über machtpolitischen Interessen. Sie hat zu Zeiten des Kalten Krieges leidlich gut funktioniert. Aber nicht, weil die Mächtigen dieser Welt freiwillig übereingekommen waren, sich an Prinzipien eines zivilisierten Umgangs miteinander zu gewöhnen, sondern weil die Kräfteverhältnisse im Zeitalter des atomaren Patt nach einem Regelwerk verlang
rk verlangten, das Berechenbarkeit gewährleisten half. Und dies hat funktioniert - auch dann noch, als mit den jungen Nationalstaaten neue Völkerrechtssubjekte dazustießen.Das Völkerrecht war deshalb jedoch zu keinem Zeitpunkt sakrosankt. Im Gegenteil: Seine Regeln wurden immer dann gebrochen, wenn es politisch opportun und machtpolitisch möglich schien. Die Beispiele sind bekannt.Heute bombardiert die NATO einen souveränen Staat. Das ist glatte Aggression. Daran gibt es völkerrechtlich nichts zu deuteln. Zumal Souveränität ein hohes Gut ist. Aber es ist nicht das höchste Gut auf dieser Welt. 1979 marschierten vietnamesische Soldaten in Kampuchea ein und bereiteten dem völkermordenden Pol-Pot-Regime ein Ende. Kampuchea war ein souveräner Staat, und Vietnam hatte beileibe nicht nur altrui stische Motive für seinen Einmarsch. Doch wer will heute bestreiten, daß den Kambodschanern nichts Besseres passieren konnte als dieser offenkundige Bruch des Völkerrechts?Übrigens waren es damals die USA und ihre Verbündeten, die lauthals und jahrelang auf dem Vorwurf Völkerrechtsbruch bestanden und deshalb an den politischen Vertretern des Pol-Pot-Regimes in der UNO festhielten. Moral, so zeigt sich immer wieder, hat in dieser Debatte wenig zu suchen.»Es geht darum, Völkermord im Kosovo zu verhindern.« Wer dieses Argument der NATO als Heuchelei entlarven will, hat es leicht, auf das türkische Beispiel zu verweisen. Hier wird vom Westen seit Jahren in einem NATO-Land geduldet, was man im Kosovo glaubt, nicht mehr hinnehmen zu können: die brutale und militärische Unterdrückung einer ethnischen Minderheit aus national-chauvinistischen Motiven heraus.Doch die doppelte Moral findet sich auf allen Seiten: Der »antiimperialistischen Linken« gilt die UCÂK als terroristisch-separatistische Vereinigung. Da ist mit Sicherheit etwas dran. Nur: Warum dieses Urteil? Weil die UCÂK als Guerilla auf eigenem Territorium agiert? Weil sie für die gewaltsame Sezession des Kosovo eintritt und in der Wahl ihrer Mittel nicht eben zimperlich ist? Weil sie den Bürgerkrieg eskalieren hilft? Alles richtig! Aber trifft das - im türkischen Kontext - nicht auch auf die von denselben Leuten mit sehr viel mehr Nachsicht bedachte PKK zu?Moralische und völkerrechtliche Doppelspitzen außen vor gelassen, bleibt ein echtes Dilemma: zwischen dem berechtigten Anspruch der Bundesrepublik Jugoslawien auf Souveränität und territoriale Integrität und dem Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-Albaner. Nach allem, was wir wissen, hat das Dilemma seinen Ursprung in der Minderheitenpolitik Belgrads. Die aber ist nicht frei von der Erfahrung des zerfallenden Bundesstaates - und zwar auch hier auf beiden Seiten. In Belgrad bleibt unvergessen, wie eilig es der Westen hatte, dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens Vorschub zu leisten. Aus welchen Motiven auch immer. Und bei den Albanern mischen sich die eigenen Erfahrungen einer politisch, rechtlich und sozial unterdrückten Mehrheit im Kosovo mit den mörderischen Bildern aus dem Bosnienkrieg. Man wußte, mit wem man es zu tun hatte oder zu tun bekommen würde.Wer die Chronik der Ereignisse vom Oktober vergangenen Jahres bis heute genau verfolgt, erkennt eine Eskalationslogik, die durch Druck von außen nicht ent- sondern eher verschärft wurde. Darin eine Absicht des Westens sehen zu wollen, mag politischen Opportunitäten entsprechen. Logisch ist es jedoch nicht. Eine alte strategische Weisheit besagt: Wer den Balkan beherrscht, beherrscht Osteuropa bis in den russischen Raum. Das könnte für ein Motiv herhalten. Nur: Brauchte der Westen ein kollabierendes Jugoslawien, und vor allem: braucht er ein um das Kosovo geschwächtes Serbien, um seine strategische Vormachtstellung in Osteuropa bis nach Rußland hinein zu untermauern?Aber - so ein anderes Argument - die NATO braucht den Kosovo-Konflikt, um ihre neue Interventions-Strategie zu legitimieren, die auf dem Jubiläumsgipfel im April verabschiedet werden soll. Wirklich? Warum sollte die NATO den längst erzielten strategischen Konsens ihrer Mitglieder durch ein solch riskantes Unternehmen aufs Spiel setzen? »Out of area« nur in Übereinstimmung mit den Prinzipien des Völkerrechts - auf diese dehnbare Formel sollte es hinauslaufen. Also: Immer im (behaupteten!) Geiste der UN-Charta, aber nicht immer ihrem Buchstaben folgend. Nett verpackt, hätten das auch die rot-grünen Europäer ihrer Klientel verkaufen können. Vor den Bombenangriffen. Jetzt wird es erheblich schwieriger, weil die Basis wachsamer geworden ist.Nein, das wichtigste Motiv des Westens, sich auf dem Balkan zu engagieren, ist die schleichende Angst der politischen Eliten vor einer Destabilisierung dieser sensiblen Re gion. Und genau hier ist denn auch der historische Hauptvorwurf an Europäer wie Amerikaner zu richten: Nämlich, nichts - oder viel zu wenig - getan zu haben, um den Staaten und Völkern der Region eine wirtschaftliche Perspektive nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu eröffnen. Nicht, daß damit der Zerfall Jugoslawiens notwendigerweise aufzuhalten gewesen wäre. Schließlich gab es für die Sezession der Teilrepubliken mehr als nur wirtschaftliche Gründe. Doch der Prozeß hätte zumindest die Chance auf einen zivilen Verlauf gehabt. So aber wurden die Bilder von den humanitären Katastrophen in dem zerfallenden Vielvölkerstaat zum Mobilisierungseffekt für eine bis dahin und ansonsten eher desinteressierte westliche Öffentlichkeit.Von historischen Destabilisierungsängsten gejagt und durch die eigene Bevölkerung unter Handlungsdruck gesetzt, ließen sich die politischen Eliten des Westens - nicht ohne Not, aber ohne strategisches Konzept und getrieben von zahlreichen Lobbygruppen mit handfesten Interessen - auf eine abenteuerliche Balkanpolitik ein, die im gegenwärtigen Krieg ihren traurigen Höhepunkt findet.Diesem Krieg fehlt nicht nur die völkerrechtliche Grundlage, ihm fehlt auch strategisches Kalkül. Die Allianz hat bis heute kein politisches Ziel definiert, das herbeigebombt werden soll. Im besten Fall unterschreibt MilosÂevic´. Und dann? Eine Ausstiegs-Strategie ist nicht erkennbar, Worst-case-Szenarien auch nicht. Statt dessen kommt eine Eskalationslogik in Gang, die nach Bodentruppen schreit oder aber eine Bewaffnung der UCÂK verlangt. Beides nicht auszudenkende »Alternativen«.Dieser westlichen Konzeptionslosigkeit liegen in erheblichem Maße Differenzen im euro-amerikanischen Herangehen an die Balkankrise zugrunde. Die Amerikaner wollten lange nichts von einem Engagement in Ex-Jugoslawien wissen. Sie griffen erst ein, als die Europäer mit ihrem Latein sichtlich am Ende waren. Von da an aber hatten die USA auch das letzte Wort. Europäische Diplomatie wurde zum Beiwerk amerikanischer Politik und mit ihr auch ein europäisches Herangehen an den Konflikt, das wesentlich diplomatischer, neutralistischer und vorsichtiger daher kam als die robuste, parteiische und gewaltbereite Art Washingtons. Aber hatte diese Hau-Drauf-Taktik der Amerikaner nicht funktioniert - Beweis: Dayton? Hatte man hier den wankelmütigen Europäern nicht vorexerziert, wie gordische Knoten zerschlagen werden? Nach Dayton hörte das Schießen auf. Daß der Geist des Vertrages starb, bevor die Tinte trocknen konnte, daß MilosÂevic´ nicht der große Verlierer war, als den ihn die amerikanische Propaganda gern präsentierte, kümmert jenseits des Atlantik wenig. Damit sollten die Europäer fertig werden.Nach Dayton glaubte man in Washington, einen Generalschlüssel für den Zugang zur Balkankrise zu besitzen. Das Problem wurde auf die Person MilosÂevic´ reduziert - und wie man mit dem umgehen muß, hatten die Luftangriffe auf serbische Stellungen 1995 gezeigt. Die Blaupause für Kosovo schien gefunden.Zwischen Srebnica 1995 und Racak 1999 lagen jedoch zahlreiche europäische Regierungswechsel. In London, Rom, Paris und Bonn war eine neue Generation sozialdemokratischer Politiker ans Staatsruder gelangt, die dem amerikanischen Führungsanspruch ein europäisches Selbstbewußtsein an die Seite stellen wollten, das nicht nur auf einer gemeinsamen Währung, sondern auch auf eigenständigen (und in Grenzen alternativen) Politikansätzen beruht. Deshalb wurde nach Racak nicht gleich bombardiert, sondern erst verhandelt.Doch Rambouillet stand unter einem schlechten Stern. Die Amerikaner hatten dem Prozeß zwei Korsettstangen eingezogen, an denen er am Ende erstickt ist: Die ultimative Drohung mit Luftschlägen und einen Kern nicht verhandelbarer Forderungen. Ganz offensichtlich war dieser Preis, den die Europäer Washington für Rambouillet zahlen mußten, zu hoch. Um MilosÂevic´ wirklich zu einem Einlenken zu bewegen, hätte man der serbischen Seite mehr bieten müssen als die Aussetzung einer beschlossenen Strafe. Hier fehlten jegliche positive Anreize, ohne die auch Zwangsdiplomatie nicht auskommt. Die Gespräche waren einseitig, parteiisch und nur auf das Heute gerichtet. Den strategischen Blick ins Morgen klammerten sie fast völlig aus. Deshalb blieb es beim ehrbaren, aber hilflosen Versuch, drohendes Unheil abzuwenden.Rambouillet war ganz wesentlich eine Idee des deutschen Außenministers. Sie ist gescheitert und wir haben Krieg. Zeit, Konsequenzen zu ziehen. Oder gibt es noch etwas zu retten, Herr Fischer?
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