Manchmal reichen drei Quadratzentimeter für einen Krieg. Vor allem Kalte Krieger brauchten kein militärisches Schlachtfeld, sie schlugen auf allerlei Nebenschauplätzen entscheidende Schlachten. Und weil westöstlicher Kontakt fortwährend neue Reibungsflächen bot, reichte jeder noch so kleine Platz, um wahre Scharmützel auszufechten. Da wurden Marken geschwärzt, geweißt und überklebt, Briefe nicht befördert, modifiziert oder schlicht zurückgesandt und alles nur, weil das Motiv der Marke, ein kleines Bildchen und ein Spruch, der Post die Zornesröte ins gelbe Antlitz trieb - hüben wie drüben. Euphemistisch lässt sich der Anlass jeweils umschreiben mit systemisch bedingten Differenzen in der Interpretation geschicht
chtlicher Ereignisse.Im August 1971 gab beispielsweise die Post der DDR eine Sondermarke heraus, die das Brandenburger Tor plus Grenzsoldat zeigte und die Aufschrift »13. August 1961 - 1971« trug. Mit ihr frankierte Briefe wurden von der Bundespost mit der Begründung ins Ursprungsland zurückverfrachtet, der Brief verstoße gegen § 13, Absatz 1, Nummer 3 der Postordnung. Danach sind »Sendungen mit Vermerken politischen oder religiösen Inhalts auf der Aufschriftseite von der Postbeförderung ausgeschlossen«. Schließlich dürfe sich die Bundespost »nicht dazu missbrauchen lassen«, Sendungen zu befördern, die sie »in Verdacht bringen, die politische und religiöse Neutralität zu verletzen.« Vor allem die für Sammler interessanten Ersttagsbriefe waren davon betroffen, prangte doch auf ihnen zusätzlich die Losung: »10 Jahre antifaschistischer Schutzwall - 10 Jahre sicherer Schutz des Friedens«.Freilich begann der postalische Zwist bereits Anfang der fünfziger Jahre. Erstes prominentes Opfer auf westlicher Seite wurde die »Kriegsgefangenen-Marke«. Am 9. Mai 1953 von der Bundespost ausgegeben, sollte sie an Tausende deutsche Kriegsgefangene erinnern, die sich noch in der Sowjetunion befanden. Viele DDR-Bürger werden das Motiv - Häftlingskopf hinter Stacheldraht - allerdings nicht zu Gesicht bekommen haben. Auf Briefe in die DDR geklebt, wurden die Marke von der DDR-Post entweder mit Farbe unkenntlich gemacht oder mit einer eigens dafür gedruckten so genannten »Postkriegsvignette« überklebt. Deren Aufschrift forderte stattdessen: »Gedenkt unserer gefangenen Friedenskämpfer, die in Adenauers Kerkern schmachten.« Salto postale.Der vermutlich erste Postkrieg dieser Art entbrannte 1896 zwischen Venezuela und Großbritannien. Die venezuelanische Post hatte fünf Gedenkmarken mit einer Landkartenzeichnung herausgebracht, auf der Venezuela ein großer Teil der Kronkolonie Britisch-Guayana zugeschlagen war.Nadelstich folgte Nadelstich ...... folgte neue Schlacht. Ein Grund war leicht gefunden und am Ende wusste wohl niemand mehr so genau, wie und wann und warum das Ganze eigentlich angefangen hatte. Ziemlich weit vorne liegt jedenfalls auch die von der Westberliner Landespostdirektion ausgegebene Sondermarke zum »Volksaufstand in der DDR«. Die erschien nicht mal acht Wochen nach dem 17. Juni 1953. Gelangte sie auf dem Postweg ins gewaltsam befriedete Rebellengebiet, erlitt sie ein ähnliches Schicksal wie das Konterfei von Theodor Heuss. Sie wurde geschwärzt, überklebt oder zurückgesandt.Heussens Porträt, anlässlich seiner Wiederwahl zum Bundespräsidenten 1954 verewigt auf einer West-Briefmarke - eine Provokation! Dass die Bundesrepublik ihren Präsidenten demonstrativ »in Berlin« wieder gewählt, wo doch Berlin/West zumindest offiziell eben gerade nicht dazugehört, sorgte im Berlin/Hauptstadt der DDR ohnehin für Unmut. Also konnte es auch nur eine postalische Antwort geben: Return to sender. Im Gegenzug flatterten vornehmlich Ersttagsbriefe der Marke »Vietnamesin mit Kind« wegen ihres offenkundigen Anti-Amerikanismus zurück in die DDR. »Unbesiegbares Vietnam« war neben der Marke aufgedruckt worden.Kalt bekriegt wurde sich allerdings nicht nur via Briefmarken, sondern auch mittels Stempeln. So erhielten nach dem Chruschtschow-Ultimatum von 1958 viele Westberliner ihre Post von »drüben« versehen mit der gestempelten Parole: »Für eine entmilitarisierte freie Stadt Berlin.« Auf westlichen Postämtern kam daraufhin ein »Gegenstempel« zum Einsatz: »... aber nicht unter kommunistischer Diktatur«. Auch der später eingeführte Stempel »Berlin, Hauptstadt der DDR« wurde so kommentiert.Hassobjekt folgte Hassobjekt ... ... folgte »Flüchtlingsmarke« zum »10. Jahrestag der Vertreibung aus den ehemaligen Ostgebieten«, folgte Sondermarke »10 Jahre Luftbrücke«, folgte Dauerserie »Deutsche Bauwerke«. Denn wenn diese wie Schloss Königsberg nunmehr im Ausland standen, lagen aus DDR-Sicht ebenso »revanchistische« Umtriebe nahe wie bei der 85er Neuauflage der Flüchtlingsmarke, deren Schriftzug »40 Jahre Eingliederung heimatvertriebener Deutscher« ein ostdeutsches Tabuthema berührte. Deshalb wurden allein 1985 etwa 170.000 Briefe von der DDR-Post nicht befördert. Besonders ärgerlich für die Absender, geschah dies doch ausgerechnet in der postalisch hochaktiven Vorweihnachtszeit.Natürlich vermutete die DDR, dass es sich dabei um gezielte Provokationen handelte. Damit hatte sie recht. Doch längst nicht jede politisch unkorrekte Marke kam von »Provokateuren«, »Scharfmachern« und anderen Agenten - vielmehr waren westdeutsche Philatelisten regelrecht scharf auf Rückkehrer mit Stempel und Schwärzung. Vor allem jene mit dem zweizeiligen Aufdruck: »Zurück. Sendung verstößt gegen gesetzliche Bestimmungen der DDR« erfreuten sich großer Beliebtheit. Sie werden heute je nach Qualität zwischen 50 und 250 Mark gehandelt, »gute Destinationen« - bekannte Politiker, ausgefallene Adressen - treiben den Preis.Letztmalige Verschärfung im Zustellverhältnis deutete sich im August 1986 an, als das DDR-Ministerium für Post und Fernmeldewesen auf Geheiß der Partei- und Staatsführung zum »25. Jahrestag des antifaschistischen Schutzwalls« erneut eine Sondermarke ausgab. Motiv: »Mitglieder der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und der Freien Deutschen Jugend vor dem Brandenburger Tor«. Doch Bundespostminister Schwarz-Schilling kündigte dieses Mal ein »Ende der philatelistischen Grabenkriege« an und setzte durch, dass nur die Ersttagsbriefe postwendend zurückgehen werden. Immerhin 4.200 Stück. Man wolle nicht mehr dazu beitragen, dass »die Mauer zu einer philatelistischen Rarität« werde. Die Ständige Vertretung der DDR verwahrte sich dagegen.