Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit Obwohl die Bundesregierung dem flüchtigen Kapital weit entgegenkommt, wird die geplante Amnestie wenig bewirken
"Lass es, wo es ist." So einfach lautet die Empfehlung von Volker Fasolt auf die Frage, was ein Steuersünder nun nach dem "Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit" mit seinem unversteuerten Fluchtgeld machen soll. Fasolt ist nicht nur ein erfahrener Steuerberater für die betuchte Klientel, sondern auch der bisherige Präsident der Bundessteuerberaterkammer. Die Maßnahmen der rot-grünen Bundesregierung können einen erfahrenen Fluchthelfer nicht schrecken. Ein Führungsorgan des betroffenen Milieus, die FAZ, lobte Fasolt für seine "klaren Worte" und für "die ehrliche, ungeschminkte Aussage". Auch wenn die Betroffenen skeptisch bleiben und ihre Berater empfehlen, im Zweifel doch lieber flüchtig zu bleiben statt gesetzestr
gesetzestreu zu werden - das Bundeskabinett hat sich große Mühe gegeben, ihr "Amnestiegesetz" schmackhaft zu gestalten.Da ist zunächst die "Bemessungsgrundlage": Wenn ein Steuerflüchtling zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2004 seine "strafbefreiende Nacherklärung" für die Jahre 1993 bis 2001 abgibt, werden nicht die gesamten Einnahmen besteuert. Bei der individuellen Einkommensteuer sind es nur 60 Prozent: Wenn jemand 100.000 Euro nicht versteuert hat, gelten nur 60.000 Euro als Bemessungsgrundlage. Darauf braucht der Flüchtling nicht seinen vermutlich viel höheren individuellen Steuersatz zu bezahlen, sondern nur pauschal 25 Prozent. Personen, die dem Spitzensteuersatz unterliegen, zahlen statt circa 50.000 Euro nur noch 15.000 Euro. Dies wird unter anderem damit begründet, dass der Steuerpflichtige ja Aufwendungen gehabt habe. Nachträglich können also etwa Fahrten nach Zürich als Werbungskosten abgesetzt werden. Bei der Umsatzsteuer beträgt die Bemessungsgrundlage nur 30, bei Schenkungs- und Erbschaftsteuer 20, bei hinterzogener Gewerbesteuer gar nur 10 Prozent.Aber auch diese Milde erfährt eine weitere Steigerung. Die "strafbefreiende Nacherklärung" wirkt als "Steuerfestsetzung", das heißt Nachermittlungen sind ausgeschlossen. Die Straffreiheit setzt ein, wenn die vom Steuersünder selbst errechnete Steuer bezahlt ist. Nur wenn das Finanzamt selbst auf weitere Gewinne stößt, darf es nachfragen. Der Kölner Steueranwalt Rolf Schwedhelm, der das Amnestiegesetz als "sehr schönes Angebot" qualifiziert, weiß, wie man die überlasteten Finanzämter vor weiteren Nachforschungen abhält: "Die Berater werden die Beträge so schätzen, dass sie auf der sicheren Seite sind."Auch damit noch nicht genug. Der Gesetzentwurf sieht ein "Verwertungsverbot" vor. Demnach dürfen die aus einer Nacherklärung gewonnenen Erkenntnisse über andere Delikte nicht für strafrechtliche Verfahren ausgewertet werden. "Gedacht wurde dabei insbesondere an das Vorenthalten und die Veruntreuung von Sozialbeiträgen. Dieses Delikt wäre für viele Gewerbetreibende ein Amnestiehindernis, weil im Falle von Schwarzarbeit häufig nicht nur Steuern, sondern auch Sozialbeiträge nicht abgeführt wurden", teilt Die Welt aus den ministerialen Denkfabriken mit. Auch eventuelle Fluchthelfer werden schuldlos gestellt: Ist die Erklärung abgegeben, können auch Steuerberater, Vermögensverwalter und Unternehmensvorstände nicht mehr belangt werden.Die Bundesregierung rechnet mit fünf Milliarden Euro nachgezahlter Steuern und räumt damit ein, dass wohl nur ein kleiner Teil des Fluchtgeldes sich um Amnestie bemühen wird. Denn ein wesentlich höherer Betrag ergäbe sich, wenn man als Fluchtsumme die von der Deutschen Steuergewerkschaft geschätzten 300 Milliarden Euro ansetzt, die insbesondere 1993 zur Vermeidung der damals eingeführten Quellensteuer mithilfe der Banken nach Luxemburg und in die Schweiz verschoben wurden. Bei jährlichen Zinsen von fünf Prozent und einem Anlagezeitraum von neun Jahren (1993-2001) hätten sich Zinseinkünfte von 135 Milliarden Euro ergeben. Wenn man nun annimmt, dass die flüchtigen Anleger im Durchschnitt einem Einkommensteuertarif von mindestens 40 Prozent unterliegen, was angesichts der damals bei 250.000 Mark liegenden Mindestsumme für solche Verschiebungen realistisch erscheint, dann hätten sie nach geltendem Recht mindestens 54 Milliarden Euro Steuern zahlen müssen. Und selbst bei einer auf 60 Prozent abgesenkten Bemessungsgrundlage, wie sie der Entwurf des Amnestiegesetzes vorsieht, ergäbe sich noch eine Steuerschuld von 32,4 Milliarden Euro - mehr als das Sechsfache dessen, was die Bundesregierung erwartet.In diesen Beträgen sind nur die individuellen Einkommensteuern enthalten, nicht die hinterzogenen Umsatz-, Körperschafts-, Schenkungs-, Erbschafts- und Gewerbesteuern. Zu berücksichtigen wären weiterhin die Sozialbeiträge, die gesetzeswidrig nicht abgeführt wurden, und auch jene Steuern, die über drei Dutzend andere Steueroasen hinterzogen wurden. Dazu gibt es keine öffentlich zugänglichen Unterlagen - von einem Vielfachen der genannten 300 Milliarden Euro und der entsprechenden Steuerschuld kann man jedoch ausgehen.Aber selbst die nun erhofften fünf Milliarden sind wohl zu hoch gegriffen. Denn die gleichzeitig vereinbarte EU-Zinsbesteuerung ist ebenfalls ein "sehr schönes Angebot". Zwölf EU-Staaten werden vom 1. Januar 2005 an Informationen über Zinserträge von Ausländern an die betreffenden Staaten weiterleiten. Das gilt aber nur für die Zukunft, nicht für die Jahre 1993 bis 2001. Das EU-Abkommen hat zudem fluchtfreundliche Ausnahmen. Die drei Staaten mit dem schärfsten Bankgeheimnis - Luxemburg, Belgien und Österreich - brauchen solche Informationen nicht weiterzugeben. Die dortigen Banken erheben auch künftig von ihren ausländischen Kunden nur eine Quellensteuer. Mit den Nicht-EU-Mitgliedern Schweiz, Liechtenstein, Monaco, Andorra, San Marino und Gibraltar wird gegenwärtig noch verhandelt. Ob mit ihnen schärfere Bestimmungen zu vereinbaren sind, ist eher fraglich. Mangelhaft ist das rot-grüne Amnestiegesetz noch aus einem anderen Grund. Es werden nur Zinsen erfasst, nicht aber andere Gewinnformen, obwohl sich etwa die Banken Luxemburgs seit langem auf Anlageprodukte spezialisiert haben, bei denen keine Zinsen anfallen. So konnte Die Welt ihr Klientel beruhigen: "Der Großteil der Investmentfonds, die in Luxemburg aufgelegt sind, fällt nicht unter die Regelung. Das Großherzogtum ist heute einer der wichtigen Standorte für die europäische Fondsindustrie. Rund 2.000 Fonds sind hier aufgelegt, davon allein über 700 von deutschen Banken. Fast 150 Milliarden Euro aus Deutschland werden dort verwaltet." Auch in der Schweiz ist man gut vorbereitet: "Es ist heute eine Kleinigkeit, Bankguthaben in einem Fonds zusammenzufassen, der dann anstelle von Zinsen eben Gewinne ausschüttet," so der Zürich-Korrespondent der FAZ. Gewinne aus Aktien werden ebenfalls von der EU-Regelung nicht erfasst, denn Dividenden und Kursgewinne sind bekanntlich ebenso wenig Zinsen wie Gewinne aus Derivaten und anderen modernen Finanzprodukten.Auch damit noch nicht genug: Vor allem Tony Blairs Regierung setzte sich dafür ein, dass nur Zinsen von Privatpersonen in das Mitteilungsraster der EU fallen. Juristische Personen, Finanzgesellschaften und Trusts werden nicht erfasst. So stehen die Londoner Banken ebenso wie die Schweizer Banken auch weiterhin bereit, um für ihre vermögenden Kunden eine Briefkastenfirma zu gründen. Dieser juristischen Person wird dann das Vermögen überschrieben - und schon wird es nicht erfasst und nicht besteuert. Die Briefkastenfirma kostet zwar ein paar tausend Pfund oder Franken Verwaltungsgebühr im Jahr, aber ab mehreren 100.000 Euro Geldanlage lohnt sich das. Ein Blick in den Geschäftsbericht der größten Privatbank Europas, des Bankhauses Oppenheim mit Sitz in Köln, zeigt zudem: Die größten Zuwachsraten für die Geldanlagen ihrer vermögenden Kunden verzeichnen nicht mehr Standorte wie Schweiz und Luxemburg, sondern die USA, Curaçao und die Cayman Islands. Da kann dann ab 2008 die endgültige EU-Regelung gerne greifen.Nun wird vorgebracht, mehr sei angesichts der Globalisierung nicht möglich und aufgrund des bürokratischen Aufwandes auch nicht zu rechtfertigen. Diese Argumente sind allerdings in der Praxis längst widerlegt. Seit 2000 erfassen alle Großbanken der Welt, auch die Banken in Deutschland, in der Schweiz und in den exotischen Finanzoasen alle ihre Kunden, die US-Wertpapiere haben. Dabei geht es nicht nur um US-Bürger, sondern um Kunden jeglicher Nationalität. Die Daten werden der US-Steuerbehörde "Internal Revenue Service" (IRS) gemeldet. So treibt der große Bruder weltweit die ihm zustehenden Steuern ein, zumindest von den Kleinanlegern. Banken, die nicht mitziehen, müssen um ihre Lizenz in den USA bangen.Die Schweizer Banken klagen zwar intern, dass dadurch bei ihnen Kosten von mehr als 100 Millionen Franken anfallen, aber sie füllen brav die Formulare aus. Ebenso die deutschen Banken, die ohne öffentliche Diskussion jährlich Millionen Wertpapier-Mitteilungen nach Washington schicken, während sie die anfänglichen Vorschläge der deutschen Bundesregierung, hier ähnlich zu verfahren, als bürokratischen Auswuchs verdammten. Aber wenn das amerikanische Imperium zur Pflicht ruft, verstummen die rituellen Argumente - auch bei der Bundesregierung, bei Herrn Fasolt von der Bundessteuerberaterkammer und bei den aufrechten Führungsorganen der Steuerflucht.
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