Coronakrise Auf den ersten Schritten Richtung Normalität werden Kinder wieder in die Schule geschickt. Viele Berufstätige hingegen hocken zu Hause. Der Spieß muss umgedreht werden
Erfolgreiches Lernen von zu Hause muss man sich leisten können
Foto: Olivier Douliery/AFP/Getty Images
Wer mit Kindern, ob klein oder schulpflichtig, in einem Haushalt lebt, der weiß: Quarantäne ist keine schöne Familienzeit. Es ist ein Ausnahmezustand ohne viel Bewegung, ohne Privatsphäre und mit dem Druck, allem gerecht werden zu müssen.
Man öffnet die Mails. Mindestens drei kommen aus der Schule. Die Kinder sollen daheim Aufgaben bearbeiten, mindestens drei Stunden. Ob alle Kinder das können, ob es dafür in jedem Haushalt den Zugang zu dieser Bildung und die Ruhe – also Platz und Zeit – gibt, ist egal. Nicht alle 7- bis 14-jährigen strahlen einen an, wenn sie zu Hause zum Lernen verdammt werden. Streit und Überforderung macht sich in vielen Haushalten breit. Bemerkenswert ist jedoch, dass es vor allem jenen egal ist, die in der
em jenen egal ist, die in derselben Situation sind, die aber mit mehr Privilegien agieren können. Die Rechtsanwältin Miriam Vollmer schrieb auf Twitter: „Mein Sohn arbeitet sich derzeit mit unendlicher Disziplin durch den zum Teil neuen Stoff und die umfangreichen Wochenpläne seiner Klasse. Wenn diese Mühe keine Anerkennung erfährt, wäre er tief enttäuscht und zu recht wütend.“ Ihr eigenes Privileg, ihrem Sohn jene Bildung gerade ermöglichen zu können, erkennt sie in ihrer Forderung nicht. Einen Nachteil gegenüber anderen darf es nicht geben – bei unfairen und ungleichen Ausgangsbedingungen. Zu dieser Spaltung zwischen verschiedenen Eltern und dem, was sie bieten können, hätte es gar nicht erst kommen dürfen. Allen Eltern abzuverlangen, ihre Existenz aufrechtzuerhalten und Homeschooling durchzuziehen, ist unzumutbar. Die Klassenfrage taucht auf. Bildungsferne Haushalte haben es in diesen Zeiten besonders schwer. Kinder aus Haushalten, in denen die Schule als unwichtig angesehen wird, oder in denen Eltern schlicht keine Mittel haben um ihre Kinder zu unterstützen, gehen in dieser Debatte vollends unter.Niemand kann etwas für eine Pandemie, besonders die Familien nicht. Die Belastungsgrenzen der Familien wurden bereits vor den Osterferien erreicht. Kinderbetreuung und Carearbeit erledigen vorwiegend Frauen. Sie verrichten in großen Teilen Lohnarbeiten in der Pflege oder im Einzelhandel. Sie arbeiten jetzt zusätzlich mehr als je zuvor. Daneben ergeben sich Belastungen wie die Kurzarbeit oder gar ein absehbarer Jobverlust. Eine inakzeptable Situation. Dies erkannte auch Familienministerin Franziska Giffey: Die beschlossenen Kitaschließungen bis zum 1. August seien untragbar, sagte sie. Ob und wann sie gekippt werden können, werden die Ergebnisse der gegründeten Arbeitsgruppen zeigen. Ein schauriger GedankeAusnahmesituationen erfordern Ausnahmeregeln. Eine Lösung, die für alle gleichermaßen gut ist, die gibt es nicht. Eine garantierte Versetzung aller Schüler*innen und die Verschiebung des Stoffes in die letzten Monate des Kalenders muss trotzdem her. Denn Homeschooling wird die Lehrkräfte nicht entlasten. Verfrühtes Öffnen der Schulen oder zwingendes Homeschooling hingegen werden in jedem Fall schwere Schäden anrichten, psychische sowie physische – Stichwort Burnout oder häusliche Gewalt.Im Politikroulette muss NRW als erstes dran glauben. Seit dieser Woche soll der Schulbetrieb Stück für Stück wieder in die Gänge kommen, zuerst die Jahrgangsältesten, dann der Rest. Viele Eltern und Schüler sehen darin eine Ungerechtigkeit, denn die Gegebenheiten zum Lernen für das Abitur sind ungleich und schlecht. Auch die gegebene Unsinnigkeit, gerade jene Schüler*innen in die Schule zu schicken, die selbstständig lernen können, – im Gegensatz zu Kindergarten- und Grundschulkindern – trifft zurecht auf Unverständnis. Ein Konzept für diese angesetzten Maßnahmen gibt es nicht wirklich. Ministerpräsident Laschet erklärte hingegen, dass man einen Plan erkennen müsse. Wie soll der Abstand aussehen? In welchen Rhythmen geht wer zur Schule? All diese Fragen werden die Schulen wahrscheinlich am Ende selbst beantworten müssen. Dabei liegt es doch auf der Hand, dass der gesamte Betrieb, zum Schutz aller, ausgesetzt werden muss. Die einzig notwendigen pädagogischen Institutionen sind Kindergärten und Ganztagsschulen für Grundschulkinder. Sie ermöglichen betroffenen Eltern einen normalen Arbeitsbetrieb. Zwar gibt es auch hier ein Risiko, aber ein geringeres. Die Schulöffnung für alle Älteren birgt eine ganz andere Gefahr.Viele Schüler*innen haben Angst vor einer Infektion, gerade jene, deren Eltern zur Risikogruppe gehören. Selbst wenn die Fallrate bei Kindern und Jugendlichen sehr gering ausfällt, ergibt sich durch einen Schulbetrieb die Gefahr, dass sich jene Eltern über ihre Kinder infizieren. Der Gedanke, dass Kinder durch eine zu frühe Schulöffnung Halbwaisen werden, lässt einen erschaudern. Die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gebauer sieht die Lage viel pragmatischer. Man erarbeite einen Leitfaden für diesen Fall, in dem festgehalten wird, wie man Schüler*innen die Angst nehmen und mit der Verarbeitung von Todesfällen umgehen könne. Das ist keine emphatische Lösung, sondern fahrlässige politische Inszenierung auf Kosten von Familien.JuLis und Jusos sind sich einigNicht nur Eltern bangen um ihre Existenzen, Studierende stehen ebenfalls vor existenziellen Fragen. Die Semestergebühren mussten bezahlt werden, zu einem Zeitpunkt, da man noch nicht ahnte, welche Auswirkungen Covid-19 haben würde. Viele zahlten für ein Semesterticket, das gar nicht genutzt werden kann. Das Semester, komplett digital, ist zusätzlich nicht für alle machbar. Viele Studierende haben ihren Job verloren, etwa durch die weggebrochene Gastronomie. Viele sind tragen Mitverantwortung für ihre Familien, sie sorgen sich darum, wie diese ihre Mieten zahlen können. Die psychischen Belastungen sind groß. Ein erfolgreiches Semester lässt sich somit nicht für alle garantieren. Wie antwortete Bildungsministerin Anja Karliczek auf jene Sorgen? Mit zinslosen Kurzkrediten! Der Aufschrei war groß. Ria Schröder, Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen und Juso-Chef Kevin Kühnert waren sich einig, dass dieser Vorschlag einer Absurdität gleicht. Das Argument, Darlehen seien das Gleiche wie BAföG, hält nicht Stand. Die Kurzkredite müssen nach kurzer Zeit zurückgezahlt werden, mit dem Blick auf die kommenden zwei Jahre sieht der Arbeitsmarkt aber mau aus. Das BAföG erlaubt es, erst im stabilen Berufsleben über einen weiten Zeitraum das Geliehene zurückzuzahlen. Erneut konfrontieren einen die ungleichen Verhältnisse der Klassen. Welche Lösungen würden sich anbieten? Der Semesterbeitrag sollte für das nächste Semester erlassen, und für jene, die dieses Semester ihr Studium beenden, erstattet werden. Zusätzlich muss es die Möglichkeit geben, dieses Semester aus der Regelstudienzeit zu hebeln, um den Ambitionen der Studierenden nicht im Wege zu stehen. Es geht immerhin um die Generation, die die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten gestalten wird. Politisches Zuvorkommen ist ohne Frage gefordert. Alle Eltern und Kinder, Schüler*innen und Studierende, sollten mit ihren Sorgen zügig ernst genommen werden. Ein gesamtgesellschaftliches Konzept, das die beste, realpolitische, machbarste Lösung hervorbringt, muss diskutiert und erstellt werden. Ansonsten sieht es jetzt und in der Zeit nach Corona düster aus. Es sind die Angreifbarsten in der Gesellschaft, die nun Hilfe brauchen. Das verpasste Aufarbeiten dieser Fehler kann ein Trauma für Generationen bilden, in jenem Land, dass die gesamte Welt als vorbildlich in dieser Krise bewerte. 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