A–Z Friseure Udo Walz, der als Star-Coiffeur dem Friseurhandwerk Glamour gab, hört auf. Er hinterlässt eine schlecht bezahlte Branche, die sich mit In- und Outdoor-Events neu erfindet
Udo Walz bei der Arbeit. Die Frau auf dem Bild ist allerdings nicht unsere Autorin
Foto: Jens Rötzsch/Ostkreuz
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Abschied Als ich den Salon von Udo Walz am Ku’damm betrat, hörte ich als erstes seine Stimme. „Die Barbara rufe ich später zurück“, rief er durch den klimatisierten Raum, in dem Föhne dezent summten. Barbara Becker meinte er, wie ich erfuhr. Wollte ich mir hier wirklich vom Meister persönlich die Haare schneiden lassen? Als (eher) linke Medienfrau? Ja, ich wollte. Denn Walz hatte 2005 mein Interesse ja nicht etwa deshalb geweckt, weil er einen Hundesalon mit Frau Christiansen betrieben oder Alt-Kanzler Schröder die Haare nicht gefärbt hatte. Sondern weil er plötzlich in die CDU eingetreten war. Als homosexueller Promifriseur. Als ich den Laden verließ, trug ich Angie-Highlights und war um ein nettes Gespräch reicher. Jetz
war um ein nettes Gespräch reicher. Jetzt hört Udo Walz auf. Geht in Rente. Sehr schade! Susanne LangCCoen-Brüder Filme über Friseusen gibt es einige. Doris Dörrie drehte eine Komödie um eine arbeitslose Haarstylistin in Berlin-Marzahn. Melancholisches aus Kanada lieferte Léa Pool mit dem Drama Mama ist beim Friseur. Und auch in Manta, Manta geht’s nur um schöne Haare. Ein Filmmeisterwerk aber gelang den Coen-Brüdern 2001 mit The Man who wasn’t there. Der Neo-Noir spielt in einem US-Kaff in den vierziger Jahren, wo Ed Crane als Friseur arbeitet. Der schweigsame Barbier will aus seinem monotonen Leben ausbrechen, was ihm bei allen Anläufen nicht gelingen will. Der Antityp des American Dream. Die Idee zum preisgekrönten Film hatten Ethan und Joel Coen beim Dreh einer Friseursalon-Szene für The Hudsucker Proxy. Ein Poster mit Vierziger-Jahre-Frisuren erregte ihre Aufmerksamkeit: Wie musste ein Typ nur ticken, der solche Haarschnitte beherrschte? Tobias PrüwerDDauerwelle Es ist noch nicht lange her, da hatte jede über Sechzigjährige einen Helm auf dem Kopf. Friseure verdienten sich dumm und dämlich an diesem Dauerwelle genannten Aufbau, bei dem schönen glatten Haaren mit Säure und purer Gewalt der Wille gebrochen wurde. Allein schon die Bezeichnung „Dauerwelle“ war ein Witz: Nach manchmal schon vier Wochen glich die Welle einer einzigen Sumpflandschaft. Urheber dieser Geschmacksverirrung war übrigens ein Deutscher: Karl Ludwig Nessler. Er entwickelte um die Jahrhundertwende eine Apparatur, die einem Waffeleisen ähnelte. Seine Erfindung wurde zum Welthit. Und feiert nun offenbar nach Jahren der verdienten Ächtung ein Comeback. Trendbeobachter melden: Der Lockenschopf ist wieder in. Nur heißt die Mode jetzt: Permanent Curl. Mark StöhrFFrauendomäne Nicht trendig, sondern sehr traditionell, zumindest was das Geschlechterverhältnis betrifft: Das Frisieren ist nach wie vor eine Frauendomäne. So waren 2010 exakt 89,7 Prozent aller haarschneidenden Frauen – was nur von wenigen anderen Berufen (Erzieherin, Kosmetikerin) getoppt wird. Das Friseurhandwerk war 2002 für sechs Prozent aller weiblichen Auszubildenden der Beruf ihrer Wahl, 1980 waren es zehn Prozent. Nur viel zitierte Top-Friseure sind Männer. Und diese Stylisten heben sich auch in punkto Bezahlung von ihren Kolleginnen ab. Denn sind weiblich dominierte Berufe generell die schlecht bezahlten, so trifft das besonders auf die Friseurin zu. Im Jahr 2010 betrug der Anteil von Beschäftigten mit Niedriglohn bei Friseurinnen und Friseuren krasse 85,6 Prozent. Knapp 16.000 Euro Jahreseinkommen bringt eine vollzeitbeschäftigte Friseurin brutto nach Hause. TPHHandwerk Mit Anfang 20 schmiss ich mein Studium und machte eine Friseurlehre. Gemäß dem Motto: „Was Kreatives, womit man überall auf der Welt Geld verdienen kann!“ Schnell merkte ich, dass schlechte Bezahlung, unbezahlte Überstunden und ständiges Kunden-in-den-Arsch-Kriechen mich nicht vollends befriedigten. Trotzdem zog ich es bis zum Gesellenbrief durch und muss sagen, dass ich während dieser Ausbildung viel fürs Leben gelernt habe: Ich kann perfekt und in jeder Situation Smalltalk betreiben, freundlich und professionell lächeln, selbst wenn mir zum Heulen zumute ist. Ich bin seitdem viel ordentlicher, da ein reibungsloser Salonbetrieb stets sofortiges Aufräumen erfordert. Auch Lektionen in Geduld wurden erteilt, einer Kundin mit wallend Haaren den ganzen Kopf mit Strähnchen in Fünf-Blond-Tönen zu tapezieren, erfordert einiges an Durchhaltevermögen. Toller Nebeneffekt war die Definition meiner Oberarmmuskulatur, wenn man regelmäßig Veronica Ferres mit vier Rundbürsten die Mähne föhnt, geht das ganz schön in die Arme. Sah aber gut aus! Und ihr Trinkgeld war auch immer ganz okay ... Sophia HoffmannMMentalität „Ich kann besser“, entgegnete mir der Friseur, nachdem ich mich etwas zögerlich dazu entschlossen hatte, die Bartrasur lieber meiner eigenen Geschicklichkeit zu überlassen. Also gut, sein Argument war simpel wie schlüssig. Auch wenn die an Pedanterie grenzende Genauigkeit der Linienführung nicht unbedingt meinen ästhetischen Vorstellungen entspricht und man hinterher nach unsäglich unmännlichem Babypuder duftet, muss man doch feststellen, was für eine Wohltat es ist, rasiert zu werden. Einmal diese unliebsame Angelegenheit nicht selbst machen zu müssen: Das fühlt sich grandios bis erhaben an.Ebenso erhaben ist die türkische und arabische Frisiermentalität, die einen deutlichen Unterschied zur hiesigen Zunft aufweist: nämlich ihr Eingeständnis männlicher Problemhaarzonen, derer sich viele deutsche Männer offensichtlich nicht einmal bewusst sind, der Nasen- und Ohrenhaare. Mein Friseur hat recht: Die können besser. Max BüchMissverständnisse Eine Tortur ist ein Friseurbesuch ohnehin: Da wird man zwei Stunden lang mit seinem Konterfei konfrontiert, mit dem spitzen Kinn und dem Pickel am Hals, der wegen der nass zurückgekämmten Haare hervorsticht. Vielleicht ist es deshalb so schwer, seine Vorstellung von sich selbst zu vermitteln. Hinten einen Bob, vorne angeschrägt, der Scheitel leicht nach rechts ... und der Pony nicht zu lang! Sie schnippelt. Sieht schräg aus. Warten Sie doch, bis das trocken ist, beruhigt sie. Ich warte. Schnipp-Schnapp. Zuviel des Guten. Sehe aus wie angenagt. Der Föhn hilft da auch nicht mehr. Mit Friseuren ist es wie mit Ärzten: Wir hoffen auf Runderneuerung, sie werkeln in Möglichkeitsgrenzen. Vertrauen ist alles. Es dauert, bis man ein Goldstück gefunden hat. Ulrike BaureithelNNamen Waschen, Schneiden, Legen im „Salon Uschi“ oder im „Haarstudio Brigitte“ gibt es wahrscheinlich nur noch auf dem Land. Städter haben die Wahl zwischen einem schlechten und einem sehr schlechten Wortspiel über dem Eingang: „Hairreinspaziert“ steht dort oder „Haarmonie“ und „Haareszeiten“, gerne auch „Haargenau“, „Haarscharf“ oder „Haarakiri“. Doch Achtung: Hinter dem Kalauer verbirgt sich nicht selten die Uschi von früher mit der bunten Strähne im Haar, die einem eine Frikadelle ans Ohr quatscht. Wer einen diskreteren und exklusiveren Service wünscht, kann sich auch an der höheren Ambition der Namensgebung orientieren. Hier ist schlichte Eleganz Trumpf: „Hauptsache Haare“ klingt vielversprechend oder „Pony & Kleid“. Da gibt‘s zur 50-Euro-Frisur noch den 100-Euro-Rock dazu. MSOOutdoor-Friseur Mit dreißig hat man noch Träume, vor allem in Berliner Stadtteilen wie Neukölln und Kreuzberg. Dort versucht ein gewisser Semih Usta nun mit einer, nun ja, ungewöhnlichen Geschäftsidee sein berufliches Glück. Der Coiffeur schneidet an allen Orten und Plätzen, die Kunde oder Kundin wünschen. Zum Beispiel auf einem Dach eines Wohnhauses. Oder auf einer Brücke. Oder an einem der zahlreichen Seen im Brandenburger Umland (das kostet allerdings vier Euro Aufpreis, innerhalb der Kernkieze ist seine Anfahrt inklusive). Keine Ahnung, wer das aus welchen Gründen in Anspruch nimmt. Aber es reicht ja, wenn Usta selbst eine Ahnung hat, die er zum Glück der Berliner BZ auch verraten hat: „Wir sind halt in Berlin – in keiner anderen Stadt würden Menschen auf die Idee kommen, sich auf einem Hausdach die Haare schneiden zu lassen.“ SLSSchutzpatronin Über das Wohl des Friseurhandwerks wacht eine ganze Reihe von Heiligen. Katharina von Alexandria etwa, die auch bei Migräne hilfreich sein soll. Oder die Zwillingsbrüder Cosmas und Damian, die nicht nur im Falle einer misslungenen Dauerwelle angerufen werden können, sondern auch bei Pest und Pferdekrankheiten. Die schillerndste Schutzpatronin der Coiffeure ist aber Maria Magdalena, die Ex-Prostituierte und fleißigste Jüngerin von Jesus. Maria Magdalena war der biblischen Erzählung nach immer vorn mit dabei: bei der Kreuzigung und bei der Kreuzabnahme, sie war Zeugin des leeren Grabes und lief als erste Jesus nach seiner Auferstehung über den Weg. Warum sie das für die Friseurinnung prädestinieren soll, bleibt rätselhaft. Weil der ganze Heiligenkram ziemlich an den Haaren herbeigezogen ist? Daran darf man nicht einmal denken! MSWWerkzeugkult Ist Ihnen eigentlich bewusst, wie viel Geld professionelle Friseure für ihr Arbeitswerkzeug so auf den Tisch blättern? Richtig gute Scheren fangen erst bei 300 Euro an. Die Besten kommen aus Japan, wen wundert’s, auch die japanischen Friseure genießen weltweit das höchste Ansehen. Wer schnurgerades, störrisches asiatisches Haar akkurat in Form schneiden kann, der sieht einen zotteligen mitteleuropäischer Krautkopf als die geringste Herausforderung. Nach dem Erwerb einer neuen Schere verletzt man sich quasi bei jedem Schnitt, so scharf sind diese zu Beginn. An dieser Stelle sollte man auch mit einem weit verbreiteten Angst-Mythos aufräumen. Alle Kunden, die Angst vor Verletzungen durch den Friseur haben: In 99,9 Prozent der Fälle schneidet der Friseur sich selbst. Ist das nicht beruhigend? SHZZumutung Endlich etwas für den richtigen Mann: die Sportschau, eine Bar und hübsche Mädels. Wir befinden uns im Whistler, einem Männerfriseur in Hamburg. Der Boden ist grün, aufgemalt sind die Linien eines Fußballfeldes. An den Wänden verteilt hängen Fotos von Sportlern. In der Stellenausschreibung heißt es, dass männliche und weibliche Mitarbeiter gesucht werden. Doch im Laden sind, bis auf den dickbäuchigen Chef im Anzug, nur Frauen zu sehen, sie tragen ein Schiri-Outfit – hauteng – in Kleidergröße 36, versteht sich. Die Stammkundschaft kommt alle zwei Wochen hierher. Wegen der Mädels in den kurzen Höschen? Nein, natürlich in erster Linie wegen der Dienstleistungen: ein bisschen Frisieren, eine Handmassage und noch Augenbrauen zupfen. Ein Frisiersalon für richtige Männer eben. Myriam Schäfer
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