Die noch etwas lustlosen Anfänge bewegen sich im Umfeld des Abstrakten Expressionismus, damals in den USA tonangebend. Die ersten drei Gemälde der Ausstellung stellen aus dichten Pinselstrichen erzeugte quirlige Farbstrukturen dar. Einbrechende rote geometrische Elemente künden einen Wechsel an. Mit dem darauf folgenden Zone von 1960-61 aus gemalten, aufgeblasenen Werbezitaten - noch ganz im Graukleid der Schwarzweißfotografie - ist die Pop Art geboren und der Schöpfer des Gemäldes, James Rosenquist, wird zu einem ihrer Pioniere. Durchläuft man die anschließenden Räume der großen Erdgeschosshalle des Kunstmuseums Wolfsburg, erlebt man die konsequente Fortführung und Erweiterung der Ästhetik der Massenmedien und des von ihnen verwe
hnen verwendeten Bildrepertoires zu immer größeren und dynamischeren Werken, die vor Energie und Farbe geradezu bersten und in kosmische Sphären vorstoßen.James Rosenquist, zur Eröffnung auch persönlich anwesend, wird 1933 in Grand Forks/North Dakota geboren. In Minnesota aufgewachsen, studiert er 1952 bis 1954 an der University of Minnesota in Minneapolis bei Cameron Booth, anschließend an der Art Students League in New York, unter anderem bei George Grosz und Edwin Dickinson. In New York lernt er Ellsworth Kelly, Robert Rauschenberg und Jasper Johns kennen. Doch entscheidend für seine künstlerische Entwicklung dürfte vor allem seine Studien begleitende Tätigkeit als Plakatmaler gewesen sein, ein Brotberuf, den er bis 1960 ausübte. Die oft in Schwindel erregender Höhe auszuführenden billboards dienten der Produktreklame ebenso wie der Filmwerbung und besaßen enorme Ausmaße, um auch aus der Ferne und dem vorüber fahrenden Auto noch wahrgenommen werden zu können.Wie die neben den Gemälden ebenfalls ausgestellten als Anregungen und Vorlagen dienenden Collagen aus Ausrissen von Zeitungswerbung zeigen, hat Rosenquist seine Gemälde genauestens komponiert. Sie gleichen gemalten Collagen. Die Einzelteile erscheinen in seinen Bildern dann aber streng getrennt in (manchmal miteinander verzahnten) Rechteckfeldern. I Love You with My Ford (1961) besteht aus drei horizontalen Streifen, in denen der Kühler eines Autos, ein Liebespaar und von Tomatensauce triefende Spaghetti zu sehen sind. Der Anreiz zum Konsum, den die Werbeindustrie mit glänzenden Oberflächenreizen, mit schlanken Damenhänden und zum Lachen gefletschten Zähnen propagiert, Starkult und Imageproduktion - alle diese Elemente werden von Rosenquist durch Ausschneiden, Fragmentieren, Kontrastieren, Vergrößern von Details und Monochromie in neue und kritische Zusammenhänge gebracht. Dabei entwickeln sich die Bilder auch über die Ränder hinaus, Objekte werden miteinbezogen, und beim spöttischen Car Touch (1966) kann man per Fußschalter zwei Leinwände mit den Umrissen von Autokühlern immer wieder sanft kollidieren lassen.Im Laufe der Jahre werden Rosenquists Bilder monumentaler und Raum füllender, rätselhafter und bisweilen surreal wie Highway Trust (1977) oder Dog Descending a Staircase (1979) durch Verbindung unterschiedlicher Realitätsebenen. Der Maler beschäftigt sich mit moderner Technologie (Ultra Tech, 1981), mit Raumfahrt (Flamingo Capsule, 1970) und in den so genannten "crosshatched paintings" stellt er ökologische Fragen ins Zentrum seiner Kompositionen. Von üppiger Blumenpracht ausgefüllt, legen sich riefen- oder girlandenartig zerschnittene Gesichter von Frauen wie eine Art Bildstörung über die paradiesischen Naturszenen (Nasturtium Salad, 1984; Welcome to the Water Planet, 1987). Mit Gemälden wie The Bird of Paradise Approaches the Hot Water Planet (Grisaille (1989), Time Dust-Black Hole (1992) und The Swimmer in the Econo-mist (1997-1998), einer Auftragsarbeit für das Deutsche Guggenheim Berlin, gestaltet Rosenquist Riesenformate von höchster dynamischer Wirkung. Man blickt in kosmische Räume mit Sternennebeln und Galaxien, in denen Gegenstände unterschiedlichster Herkunft mit Lichtgeschwindigkeit durcheinander zu wirbeln scheinen. Die Menschheit drängt ins Weltall. Aber dieses wirkt auch auf die Erde ein, unvorhersehbar und blitzschnell: zu sehen im Bild The Meteor Hits Picasso´s Bed. Es gehört einer Serie an, in der Rosenquist auf metaphorisch-humoristische Weise eine Kindheitserinnerung verarbeitet. Damals schlug ein Meteor in Minnesota in ein Haus ein und verletzte eine Frau an der Hüfte.Das Farbenfeuerwerk und die wirbelnd-rhythmische, von der Action Painting übernomme All-over-Struktur lassen Rosenquists Interesse an Technik und den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften erkennen. Auch als Betrachter fühlt man sich angezogen und überwältigt von den rauschhaft inszenierten Bildern, die nur manchmal - wie im optimistischen, tropisch blendenden Länderporträt Brazil (2004) - ins Kitschige abdriftend geraten. Doch in ihrer optischen Wucht und verwirrenden Dramatik verbergen sich warnende Aspekte über die menschliche Hybris, alles beherrschen zu wollen und kontrollieren zu können. Die Neigung zu Gewalt und Brutalität richtet sich gegen Mensch und Natur: Waffen und Müll sind Konstanten in Rosenquists Bildern. Seine schöne neue Welt erweist sich als ein nicht ungefährlicher Trip, den der Künstler in Bildern zu bewältigen versucht, getrieben von Faszination und Entsetzen.Die mit rund 150 Arbeiten erste umfassende Retrospektive von Rosenquist in Deutschland (zuletzt war 1972 in der Kunsthalle Köln ein Überblick zu sehen) wurde von der Solomon R. Guggenheim Foundation in New York konzipiert und zuvor in Houston, New York und Bilbao gezeigt. Aus Platzgründen kann in Wolfsburg nur eine Auswahl zur Ansicht kommen. Für die Einschränkung entschädigt ein wenig der ausführliche und umfassende Katalog. Man wird darin etliche Bilder finden, wie zum Beispiel Painting for the American Negro (1962-63), Masquerade of the Military Industrial Complex Looking Down on the Insect World (1992) oder Military Intelligence (1997), die Rosenquists politisch kritische Haltung stärker hervorheben als es die Ausstellung tut. Seine Werke, die - auch das zeigt der Katalog - erst als wandbildartige Inszenierungen optimal zur Wirkung kommen, stellen im Vergleich mit Jim Dine, Roy Lichtenstein, Andy Warhol oder Tom Wesselman den vielleicht vielfältigsten und weit über die Pop Art hinaus führenden Beitrag dar. Sein Einfluss auf zahlreiche Maler der Gegenwart, von Jeff Koons bis Fred Tomaselli, von Michel Majerus bis Franz Ackermann, ist ein weiteres Indiz dafür.James Rosenquist: Retrospektive, Kunstmuseum Wolfsburg, bis 5. Juni; Katalog hg. von Walter Hopps und Sarah Bancroft, Guggenheim Museum, 30 EUR
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