Der Schock war groß und die Bestürzung echt. Die ersten Kommentare aus dem Karl-Liebknecht-Haus der PDS in Berlin klangen so, als sei der Vorsitzende einer »Bruderpartei« zurückgetreten. Ist es so, daß es für »die Trauer der PDS um Lafontaine gute Gründe gibt«, wie die FAZ schrieb? Muß sie über ihr Verhältnis zur SPD neu nachdenken, da ein anderer Wind von dort zu erwarten ist? Die Antwort vorweg: Nein, aber in gewisser Weise auch: Ja.
Zunächst ist hilfreich, sich über die Grundbedingungen des Verhältnisses der beiden Parteien klar zu werden. Die Kooperationen in den Bundesländern, sowohl in Magdeburg wie in Schwerin, beruhen in erster Linie auf unterschiedlichen, ja sogar längerfristig unvereinbaren,
tig unvereinbaren, jeweils taktischen Interessen, die aber dennoch - wenigstens gegenwärtig - in die gleiche Richtung zielen. Erst in zweiter Linie war der Bestand an gemeinsamen Inhalten ausschlaggebend dafür, daß die beiden Parteien zusammenfanden.Mit der Tolerierung der Regierung in Magdeburg, vor allem aber mit der Koalition in Schwerin konnte die PDS die Isolation durchbrechen und Bündnisse glaubwürdig als Ausdruck von Normalität darstellen. Ihren Wählern kann sie damit demonstrieren, daß Stimmen für sie, wenigstens in den neuen Bundesländern, nicht automatisch solche für eine Opposition sind. Ihre versprengten Anhänger im Westen können darauf verweisen, daß sie zu einer Partei halten, die ja immerhin im fernen Osten Koalitionspartner der SPD ist. Nur so ist der Ausspruch Gysis von »dem Wert der Schweriner Koalition an sich» zu verstehen.Ganz anders die taktischen Ziele der SPD. Ihr geht es bei der Zusammenarbeit mit der PDS in erster Linie um die Bewahrung eines gewissen Handlungsspielraums gegenüber der CDU in den neuen Bundesländern, denn wären Höppner und Ringstorff den Forderungen von Meckel, Hilsberg und Richard Schröder nach einer strikten Ausgrenzung der PDS gefolgt, so wären sie in der babylonischen Gefangenschaft der Großen Koalition verblieben, dort, wo gegenwärtig die Berliner SPD schmort. Daneben bietet die Hineinnahme der PDS die willkommene Gelegenheit, ihr die Lasten der Regierungsverantwortung mit aufzubürden. So soll sie »entzaubert« werden, ihre Anhänger »desillusioniert« und auf diesem Wege schließlich in das Lager der SPD gezogen werden.Es ist nicht erkennbar, daß sich durch den Abgang von Lafontaine an diesen unterschiedliche aber dennoch gleichgerichteten Interessen etwas ändern wird. Schröder ist allemal Realist und Machtpolitiker genug, um sich nicht auf eine für ihn falsche Fährte locken zu lassen. Die Abgrenzer des »Gesprächskreises Neue Mitte« werden so schnell kein Oberwasser bekommen. Einer weiteren rot/roten Koalition in Thüringen dürfte daher zunächst grundsätzlich nichts im Wege stehen.Schon anders stellt sich die Situation für die Sozialisten auf Bundesebene dar. Nach der verlorenen Hessenwahl ist die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, aber auch eine mögliche Linksregierung in Erfurt als Stimmenbeschaffer im Bundesrat ins Blickfeld geraten. Der noch von Lafontaine unternommene, von Schröder ausdrücklich gebilligte Vorstoß zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen SPD und PDS zielte darauf, dieses Terrain schon einmal zu sondieren. Schröder schloß denn auch auf Bundesebene lediglich eine Zusammenarbeit »im Bundestag« ausdrücklich aus. Es ist kaum zu erwarten, daß er dies jetzt, im Alleinbesitz der Macht, anders sieht.Für die PDS könnte diese geplante Einbeziehung einen weiteren Schritt zur Normalisierung bedeuten. Zugleich verbinden sich damit aber auch erhebliche Risiken, denn anders als in manchen Kommunen und einzelnen Ländern kann auf Bundesebene sehr schnell ihre Identität als Linkspartei auf dem Spiel stehen. Sowohl diese neue strategische Situation als auch der Abgang von Lafontaine zwingen sie jetzt zu der längst überfälligen Bewertung der Politik der rot/grünen Bundesregierung. In den ersten Monaten nach der Bundestagswahl konnte man den Eindruck gewinnen, daß die auch von der PDS erhobene Forderung nach einer neuen Politik und nicht nur nach einem Auswechseln von Köpfen von einigen Sozialisten bereits als erfüllt betrachtet wurde. Mit einer demonstrativ positiven Bezugnahme auf die Aussagen des Parteivorsitzenden ignorierte man zugleich die wirklichen Machtverhältnisse in der SPD, die ja spätestens mit der Nominierung von Schröder zum Kanzlerkandidaten Anfang März 1998 zuungunsten Lafontaines entschieden waren. Nur so lassen sich die Spekulationen über eine mögliche Koalition von SPD und PDS im Jahre 2002 und über eine Rolle der PDS als »Scharnierpartei« erklären. Die jüngsten Ereignisse dürften sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt haben. Vor der PDS steht nämlich die schwierige Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Positionen eines Oskar Lafontaine nicht in Vergessenheit geraten.Die Demokratischen Sozialisten werden bald Schaden und Nutzen einer Unterstützung der Bundesregierung im Bundesrat nüchtern in jedem Einzelfall abzuwägen haben. Undenkbar ist, daß sie dem 630 Mark-Gesetz oder einer Mehrwertsteuererhöhung als Ausgleich für sinkende Unternehmenssteuern zustimmen könnten. Nicht auszuschließen ist dann aber, daß ein Nein in diesen Fragen auch Rückwirkungen auf ihre Positionen in den Landesregierungen haben könnte.Der Autor war von 1971 bis 1998 Mitglied der SPD und dort u.a. im Vorstand der Berliner SPD. Er ist jetzt Kandidat der PDS für die Wahlen zum Europäischen Parlament.Weitere Artikel zu diesem Thema:Günter GausZäsurJosef NeuserDer Bundestag als AufsichtsratIm GesprächSozialpolitik ist kein RestpostenMichael JägerDer Würfel ist gefallenWieland ElfferdingWenn die Opposition mitregiert