Wenn in diesem Land eine Ehe leichter geschieden werden kann als ein Arbeitsverhältnis beendet, dann stimmt etwas nicht.« Friedrich Merz (CDU) goss mit dieser Äußerung vor wenigen Wochen Öl ins Feuer der Auseinandersetzung um einen der heikelsten Punkte, der momentan auf der Reformbühne verhandelt wird. Beim Kündigungsschutz geht es nicht um irgendeine Einzelmaßnahme, die den Arbeitsmarkt »in Bewegung« bringen soll. Es geht um eine Richtungsweisung. Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) redete ganz offen: Auch wenn die Frage des Kündigungsschutzes in ihrer Wirkung auf den Arbeitsmarkt deutlich überschätzt werde, habe sie doch Symbolwirkung.
Noch in ihrer Regierungsbilanz vor der Wahl hatte sich die rot-grüne Regierung g
egierung gebrüstet, den Kündigungsschutz, den die Kohl-Regierung ausgedünnt hatte, wieder voll etabliert zu haben. Nun sägt sie selber daran. Wolfgang Clement drohte seiner Partei sogar mit Rücktritt, um seine Vorstellungen zur Lockerung des Kündigungsschutzes durchzusetzen. Sein Plan zielte auf Betriebe mit bis zu fünf Angestellten: Für jeden zusätzlich eingestellten Mitarbeiter sollte nur jeweils einer statt bislang alle den Kündigungsschutz genießen können. Bei zehn Angestellten, wären also fünf sofort kündbar. Klagen ausgeschlossen. Nach einiger parteiinterner Kritik wurde kurz vor der aufgeregt erwarteten Rede des Bundeskanzlers, das gefunden, was man einen Kompromiss nennt: Kleinstbetriebe mit bis zu fünf Mitarbeitern, für die der Kündigungsschutz nicht gilt, sollen in Zukunft unbegrenzt viele befristete Arbeitsverhältnisse abschließen können, ohne dass die Mitarbeiter deshalb unter den Kündigungsschutz fallen. Konkrete Vorschläge, Arbeitsplätze zu schaffen, hat Schröder nicht gemacht, kein Vorschlag geht in die Richtung, die vorhandene Arbeit ausgeglichener zu verteilen. In seiner Antwort auf die Schröder-Rede setzte Edmund Stoiber (CSU) noch eins drauf: Der Kündigungsschutz solle erst in Betrieben ab 20 Beschäftigten gelten. Zwar musste Stoiber heftige Schelte von seinen christlich-sozialen Kollegen einstecken, diese Vorschläge seien nicht abgesprochen gewesen - doch sie geben eine Vorstellung, in welche Richtung die Unionsparteien ihren Einfluss ausüben werden, auch wenn das Kündigungsschutzgesetz im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist.Behauptungen, der Kündigungsschutz wirke als Beschäftigungsbremse für eine dynamische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, malen das Bild von kleinen tatkräftigen Firmen, die sich vor Aufträgen kaum retten können, aber nicht in der Lage sind, Leute einzustellen, weil sie das Risiko fürchten müssen, in konjunkturell schwächeren Zeiten diese Mitarbeiter aufgrund eines starren Kündigungsschutzes nicht wieder entlassen zu können - und wenn doch, so nur unter Zahlung von hohen Abfindungssummen. Diese Aussage entbehrt offenbar völlig der empirischen Grundlage. Am vergangenen Freitag wurde eine Studie vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans Böckler-Stiftung (WSI) und Infratest vorgestellt, die zu völlig anderen Ergebnissen kommt. In einer repräsentativen Umfrage wurde nach den Gründen für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen und auch nach der Abfindungspraxis gefragt.Festgestellt wird, dass der Arbeitsmarkt entgegen mancher Vorstellungen sehr dynamisch und der Kündigungsschutz nicht für erstarrte Zustände auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich ist. Jedes Jahr werden 3,5 bis 4,5 Millionen Arbeitsverhältnisse aufgelöst (übrigens zum größeren Teil von den Beschäftigten selbst) und wieder neu geschlossen.Besonders im Hinblick auf den immer wieder diskutierten Schwellenwert berichtet die Studie Bemerkenswertes. Zwar können keine Aussagen über ein mögliches Einstellungsverhalten nach einer Lockerung des Kündigungsschutzes gemacht werden, doch die Studie zeigt, dass es keinen signifikanten Sprung gibt zwischen dem Einstellungs- und Entlassungsverhalten von Betrieben mit fünf und Unternehmen mit mehr Beschäftigten. Dass der Schwellenwert eine besondere Hürde, Leute einzustellen, darstelle, gehört also in den Bereich purer Spekulation.Kleinbetriebe werden auch keineswegs mit Klagen überzogen. Im Gegenteil: Die Häufigkeit von Klagen in Kleinbetrieben ist sogar sehr gering (6,3 Prozent). Auch werden nur zehn Prozent aller gekündigten Arbeitnehmer Abfindungen gezahlt. Diese bekommen auch nicht automatisch die älteren Arbeitnehmer, sondern langjährig Beschäftigte und höhere Angestellte. Schröders Vorschläge zur Sozialauswahl hoben auf die »starren Kriterien« Alter und Betriebszugehörigkeit ab: »Schließlich werden wir die Sozialauswahl so umgestalten, dass auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Leistungsträger unter den Beschäftigten im Unternehmen gehalten werden.« Zwar hat der Kanzler gelernt, nicht mehr von »den Faulen« zu sprechen, doch spielt er nach wie vor die »Leistungsträger« gegen eine Gruppe weniger Leistungsfähiger aus. Neu ist allerdings, dass er diese nun auch in den Unternehmen sichtet.Mit der nun vorgestellten Regelung wird es mehr befristete Beschäftigungsverhältnisse geben. Die sozialen Risiken von Leuten mit einem derartigen Arbeitsverhältnis sind hoch - nach dem Ende eines Jobs arbeiten sie meist wieder nur befristet. Ob wir zukünftig »spanische Verhältnisse« haben, wird sich zeigen - in Spanien hat fast ein Drittel aller Beschäftigten einen befristeten Vertrag. Mit der Erfahrung im europäischen Vergleich ist jedenfalls klar: die Arbeitslosigkeit sinkt nicht dort, wo es mehr befristete Jobs gibt. Die Vorschläge zielen möglicherweise auch auf einen anderen Aspekt: Man verspricht sich von der baldigen Öffnung nach Osten einen Wettbewerbsvorteil. Viele Arbeitskräfte, die auf Kündigungsschutz verzichten, werden dann zeitlich befristete und prekäre Arbeitsverhältnisse eingehen.