Im Gespräch Am 25. Dezember läuft Fatih Akins neuer Film "Soul Kitchen" an. Im Gespräch erzählt er, warum Heimat so wichtig ist und wie man Menschen weltweit zum Lachen bringt
Fatih Akin: Heimat ist ein Ort, an dem man fühlt, dass man da hingehört. Die globalisierte Welt wächst zusammen, doch das schafft nicht automatisch mehr Nähe und Geborgenheit. Umso wichtiger finde ich es, meine eigene Heimat unabhängig von irgendwelchen Nationalstaaten zu haben. Ich fühle mich weder als Deutscher noch als Türke, aber im Kreise meiner Leute in der Taverne meines Freundes Adam Bousdoukos im Hamburger Stadtteil Ottensen war ich immer zu Hause. Und so ein Ort ist das „Soul Kitchen“, das Restaurant, das aus dem Film einen Heimatfilm macht, aber einen, in dem gesoffen wird, einen schmutzigen.
Die Film-Helden sind zwar Knackis oder Alkis, doch deren Hort, das „Soul Kitchen“, ist ein so nettes Fa
nackis oder Alkis, doch deren Hort, das „Soul Kitchen“, ist ein so nettes Familienidyill wie es das hübscheste Dorf nicht bieten könnte. Das ist vielleicht ein bisschen schmutzig, aber auch ein bisschen brav und banal.Nein! Nur wenn der Film nicht witzig wäre, wäre er brav. Und wenn er nicht irgendwas Großartiges, Erzählenswertes oder Bezwingendes hätte, fände ich ihn banal. Aber er erzählt von einem Lebensgefühl, das mich sehr geprägt hat: Ich habe sehr lange Partys gemacht und habe jetzt begriffen, wie existenziell sie für mich waren, diese Ausgelassenheit in der Gemeinschaft der Freunde. Außerdem macht das Thema der Loyalität zwischen den beiden Brüdern den Film für mich großartig. Bei Solino, einem meiner früheren Filme, ist es mir nicht gelungen, eine Brüder-Geschichte zu erzählen, hinter der ich persönlich stehen kann. Da lässt der eine Bruder den anderen, nachdem sie bei einem Einbruch erwischt werden, mit der Polizei sitzen. Ich habe einen Bruder und der würde das nie tun. Ich war damals nicht selbstbewusst genug – das stand so im Drehbuch und ich habe es erstmal gar nicht in Frage gestellt. Doch ich hatte das Gefühl, meinen eigenen Bruder und unser Verhältnis verraten zu haben, als Filmemacher. Bei Soul Kitchen habe ich das wieder gut gemacht.Von Themen wie Zwangsheirat in wenden Sie also den Blick nun ins Kleine, Private – weg von der Wut auf die Verhältnisse, die Sie doch angeblich bekommen, sobald Sie Nachrichten schauen. Haben Sie sich mittlerweile erfolgreich etabliert und sind nicht mehr wütend?Das hat zwar nichts mit meinem Erfolg zu tun, doch im Augenblick bin ich wirklich nicht mehr wütend. Vieles von meiner Wut konnte ich in so einen Film wie Gegen die Wand packen. Das kann ich ganz gut. Dann haben Filme für mich einen therapeutischen Wert. Wut ist kein schönes Gefühl. Egal ob dich das sexy macht oder nicht, es ist nicht cool, wütend zu sein. Es beschwört eine schlechte Energie.Wut oder Empörung über irgendwelche Missstände können aber auch als Antrieb dienen, etwas zu verändern, und die Kraft geben, es immer wieder erneut zu versuchen. Sie machen Filme jedoch gar nicht, um etwas zu verändern, sondern nur, um Ihnen selbst etwas Gutes zu tun, oder?Ja, letztlich ist das so. Ich glaube zwar schon, dass Kunst und somit auch Filme etwas bewirken, aber was und wie das abläuft, kann der Künstler sowieso nicht steuern. Mit Vorsatz funktioniert das zumindest nicht. Meine Filme repräsentieren jeweils mein Lebensgefühl in einer bestimmten Phase: Bei Auf der anderen Seite war ich nicht wütend, da war ich sehr nachdenklich, und so ist der Film auch geworden. Und jetzt hatte ich Sehnsucht nach einer gewissen Fröhlichkeit, nach einer Leichtigkeit.Haben Sie dann deshalb Nach den ersten beiden Trilogie-Teilen war ich geistig erschöpft. Diese Filme zehrten an mir. Ich hatte mich für Auf der anderen Seite mit dem Tod beschäftigt, weil ich in ein Alter kam, in dem man zunehmend daran denkt, dass das Leben endlich ist. Am Ende des Drehs war ich selbst plötzlich mit einem Todesfall in meinem Freundeskreis konfrontiert, der mir sehr nahe ging. Da musste ich mir eine Auszeit nehmen, und ich hatte es mir verdient, etwas Fröhliches zu machen nach dem ganzen ernsthaften Scheiß. Der Film Soul Kitchen hat mir fünf Jahre Lebenskraft geschenkt. Und außerdem ist das Lachen nicht nur Teil meiner Person, sondern des menschlichen Seins generell, und das will ich in meinen Filmen ja auch gänzlich behandeln.Neben dem Bedürfnis, sich selbst durch die Filme zu therapieren, treibt Sie also ein Interesse an extremen Emotionen wie Wut, Trauer, aber eben auch Freude und Fröhlichkeit? Ja, mich treiben diese Emotionen selbst an, ein anthropologisches Interesse an ihnen und auch der Wunsch, sie weiterzugeben. Und da musste ich jetzt bemerken: Es ist viel schwieriger, Freude zu vermitteln, als Traurigkeit, also Leute zum Lachen zu bringen. Sie zum Heulen zu bringen, ist viel einfacher – da muss nur eine Mutter ihre Tochter vor der Kamera verlieren und dann weint jeder. Den Schmerz kennt jeder auf der Welt.Haben Sie sich denn mit Humor in unterschiedlichen Teilen dieser Welt beschäftigt, um den Film global lustig zu machen?Natürlich. Meine größte Befürchtung war schließlich, dass hinter Stade vor den Toren Hamburgs keiner mehr lacht. Doch die Leute sollten es noch in Australien und in Spanien, Frankreich und Italien tun. Wie unterschiedlich der Humor je nach Herkunft ist, merke ich auch jetzt an den Reaktionen. Zum Beispiel gibt es eine Szene, die hier eher irritiert: Als der "Soul Kitchen"-Betreiber Zinos total eifersüchtig in eine Trauerfeier platzt und in die Grube auf den Sarg der Oma seiner Exfreundin fällt. Ich wollte die Szene schon rausnehmen. Meine amerikanischen Freunde, Produzenten, denen ich den Film gezeigt habe, sagten mir aber, ich solle bloß den Friedhof drinnen lassen, der käme in den USA total gut an.Hätten die Leute von hier bis Stade denn nicht aber mehr lachen können, wenn Sie den Film nicht für so viele hätten lustig machen wollen?Letztlich habe ich immer so entschieden, wie es meinem persönlichen Geschmack entspricht. Und: Ich lache auch über den Friedhof.Wenn Sie sowohl die Witze der Australier lustig finden, als auch den Humor der Spanier mögen, ließe sich wieder so ein romantisiertes Bild vom kosmopoliten Regisseur mit Migrationshintergrund entwerfen, der mit allen Kulturkreisen mitlachen kann.Das wäre schön! Ich will ein internationaler Filmemacher sein. Seit Gegen die Wand bin ich als solcher auch gefragt, und diese Nachfrage will ich bedienen. Einerseits mache ich Filme für mich, andererseits für so viele Zuschauer wie irgendwie möglich. Ich bin nicht der intellektuelle Filmemacher aus der Berliner Schule, der sagt, die seien sowieso alle zu doof. So ticke ich nicht.Das Gespräch führte Carolin Wiedemann
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