Eine Gruppe von Menschen steht dicht gedrängt um einen Holztisch herum, alle schneiden konzentriert Zwiebeln und Paprika. Die Kochenden wirken sehr international, man hört Hindi, Spanisch, Französisch. Die Gruppe der Zuschauer vor dem Tisch ist auffällig homogen, fast alle müssten in ihren Zwanzigern sein. Und alle schweigen. Einige flanieren auch durch die große Halle in Berlin-Kreuzberg. Die Gerüche der Speisen, die im Rest der Halle angeboten werden, vermischen sich: Bratfett, Curry, Knoblauch.
Eine junge Frau mit einem Teller in der Hand verzieht ihr Gesicht, der Haufen aus Gemüsestücken auf ihrem Teller wird ihr zu groß. Als die ersten Zwiebelstückchen auf den Tisch purzeln, bricht sie das Schweigen. „Wohin soll ich die Zwieb
die Zwiebeln tun?“, fragt sie ihr Gegenüber. Der Koch sieht sie ratlos an. Ein Mann mit Schürze eilt ihnen zu Hilfe: „Hierhin, in the bowl“, sagt er mit spanischem Akzent, und greift nach einer leeren Schüssel. „Mix with the people – that’s the idea“, fordert Stefan Krüskemper die Frau auf. Er ist einer der Organisatoren des „Global Dinner“.Durch Kochen und gemeinsames Essen Fremden näherzukommen, ist die Idee dieses Abends, der im Rahmen der „Citizen Art Days“ in einer Kreuzberger Markthalle stattfindet. Die Lebensgeschichten von Flüchtlingen sollen erzählt werden, durch die gemeinsame Vorbereitung des Essens sollen die Teilnehmenden die Lebenswelt der Asylsuchenden vom Camp am Oranienplatz kennen lernen – oder wie es einer der Köche nannte: „Kochen und Quatschen.“ Nur, wenn das so einfach wäre …Can you speak English?Henrik Mayer, ein weiterer Organisator, möchte durch solche Abende ein Forum für Flüchtlinge schaffen, die nicht zu den hochqualifizierten Einwanderern gehören, nach denen Wirtschaftsverbände rufen. Vor allem will er die Asylsuchenden aber für sich selbst sprechen lassen. In der Vergangenheit hätten zu oft Medien diese Rolle übernommen – ohne Wirkung.„Man hört von den Flüchtlingen oft: ‚Meine Geschichte habe ich jetzt schon zehnmal erzählt. Geändert hat sich nichts‘“, sagt er. Aus diesem Grund hätten sich die Initiatoren auch dagegen entschieden, die Flüchtlinge ihr Leben in Monologen vortragen zu lassen. „Das soll eher untereinander ablaufen. Wir wollen, dass die Teilnehmer sich auf persönlicher Ebene kennenlernen.“ Mayers Hände begleiten jedes Wort mit resoluten Bewegungen.„Can you speak English?“, fragt eine junge Frau in einem roten Mantel den Mann, der ihr am Tisch gegenübersitzt. Der schüttelt den Kopf und fragt zurück: „Français?“ Noch mal Kopfschütteln. Er versucht es wieder: „Arabic?“ Die junge Frau grinst: „Ich kann nur ‚Merhaba‘.“ Der Mann lächelt. „Merhaba!“ – „Where are you from?“, wird er gefragt. „Sudan. North Sudan“, antwortet er und schichtet konzentriert Möhrenstücke aufeinander. Später versucht sie es noch mal und zeigt auf das Gemüse: „Shall we cut them in small pieces?“ – „Yeah, yeah“, sagt der Sudanese.Danach richten beide ihre Blicke wieder auf ihre Teller und schälen Möhren. Eine typische Situation an diesem Abend. Die Gespräche zwischen den Asylsuchenden und Gästen an den Tischen verstummen immer wieder. Die wenigsten Flüchtlinge sprechen Deutsch oder Englisch, viele stammen aus französischen oder arabischsprachigen Ländern. Also unterhalten sich die deutschen Gäste untereinander. Wenn es doch mal zu einem Gespräch zwischen beiden Gruppen kommt, tauscht man Sätze wie „I like Berlin, but very cold“ oder „Germans are very disciplined“ aus.„Lampedusa, Lampedusa“Viele Teilnehmer wirken etwas beklommen. Wie soll man in dieser Atmosphäre die Flüchtlinge nach ihrem Werdegang, ihrem Weg nach Deutschland fragen, wenn man noch nicht mal richtige Worte für das Essen findet? Henrik Mayer sagt, ihn überrasche das Fremdeln kaum: „Menschen auf Partys fragt man ja auch nicht einfach so nach ihrem Lebenslauf. Die Flüchtlinge wollen normal behandelt werden.“ Aber war das nicht gerade die Idee, mit ihnen über die Gerichte aus ihrer Heimat ins Gespräch zu kommen?Nach dem Essen – es gibt Chili sin Carne, einen etwas dünnen, würzigen Eintopf aus Bohnen, Zwiebeln und Paprika – folge ich einem der Asylsuchenden nach draußen. Moussa stammt aus Mali, leise antwortet er in gebrochenem Italienisch auf meine Fragen. Sein Kopf bleibt auch dann gesenkt, als wir über Fußball sprechen. Er macht oft Pausen. Italienisch habe er zwei Jahre in Neapel gelernt, dort kickte er für eine Amateurauswahl. Hier dürfe er das nicht mehr, weil er weder Geld für die Mitgliedsbeiträge noch einen festen Wohnsitz habe. Arbeit habe er in Berlin auch nach drei Jahren nicht gefunden.Was er heute hier mache? „Weiß ich nicht.“ Viel mehr verstehe ich nicht. Nach einem Fachgeplänkel über malische Fußballer wage ich es, ihn zu fragen, wie er nach Italien und Deutschland gekommen sei. „Lampedusa, Lampedusa“, antwortet er, tritt hastig seine Zigarette aus, und wir gehen wieder hinein.„Die Leute hier haben viel im Bauch“, sagt Nawroz, ein Iraker, der für die Koordination zwischen den Initiatoren des „Global Dinner“ und der Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migranten zuständig ist. Er meint wohl schmerzhafte Erlebnisse. Er klagt auch die Medien an. Journalisten wollten von den Asylsuchenden immer die gleiche Geschichten von Qual und Verzweiflung hören. „Die wollen aber nicht immer dasselbe erzählen, das tun sie schon so lange.“ Möglicherweise auch deshalb sind einige an diesem Abend so schweigsam.Am Ende spielt eine Band arabische Tanzmusik. Die Anwesenden bilden eine Menschenkette. Kinder, Flüchtlinge, Besucher singen und tanzen, jeder auf seine Weise, die Arabischstämmigen viel mit den Händen, die Deutschen etwas steif. Die Flüchtlinge wirken jetzt gelöster. Auch Moussa macht mit. Er lächelt. Er muss nicht mehr über sich reden. Die anderen verstehen ihn trotzdem.