Wir sind das Pilotprojekt«, erklärt Lutz Jobs ganz unbescheiden und legt damit nahe, daß das »Hamburger Modell« bald in Serie gehen könnte. »Ich gehe davon aus, daß auch in anderen Landesverbänden Teile von grünen Parlamentsfraktionen nach Hamburger Vorbild ausscheren werden«, glaubt Antje Möller. Doch damit endet auch schon der augenblickliche Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen den beiden, die noch vor zwei Wochen Seite an Seite versuchten, als Linke in der Bürgerschaftsfraktion der Hamburger Grün-Alternativen Liste (GAL) dem zunehmenden Drang der Bündnis-Grünen in Richtung »Neue Mitte« etwas entgegenzusetzen.
Seit vergangener Woche gehen sie getrennte Wege: Während Antje Möller weiterhin al
iterhin als GAL-Fraktionsvorsitzende amtiert, legte Lutz Jobs nicht nur seine Funktion als »energiepolitischer Sprecher« nieder, sondern kehrte gemeinsam mit vier weiteren GAL-Bürgerschaftsabgeordneten der grünen Partei den Rücken. Gemeinsam gründete die »Fünferbande« (Hamburger Morgenpost) am Dienstag vergangener Woche eine neue Parlamentsgruppe, die nun eine »kritische Opposition« zum rot-restgrünen Hamburger Regierungsbündnis betreiben will. Ob die Hamburger Fraktionsspaltung bundesweit Schule machen kann, wird sich bereits am 6. Juni herausstellen, wenn sich die Verlierer des Grünen Bielefelder »Kriegsparteitags« in Dortmund treffen, um ihre Wunden zu lecken und nach gemeinsamen Perspektiven innerhalb oder außerhalb der Bündnis-Grünen zu suchen. Während Antje Möller oder die nordrhein-westfälische Grünen-Chefin Barbara Steffens dafür werben, »innerhalb der grünen Partei eine starke linke Opposition zu bilden«, werden die Hamburger Dissidenten um Lutz Jobs und die ehemalige »flüchtlingspolitische Sprecherin« der GAL, Susanne Uhl, über ihre ersten Erfahrungen als parteiunabhängige Parlamentsfraktion berichten.Es ist sicher, daß die Grünen in anderen Bundesländern genau beobachten, was in Hamburg passiert. Daß in Dortmund viele frustrierte Mitglieder der Ökopartei von der grünen Fahne gehen werden, um einen Neuanfang zu wagen, gilt als nicht unwahrscheinlich: »Wir haben über Jahre schmerzhaft erfahren müssen, daß wir als linke Opposition in Bündnis 90 /Die Grünen den Weg der Partei hin zu einer neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik bei gleichzeitiger Abkehr von antimilitaristischen und basisdemokratischen Grundsätzen nicht aufhalten können«, formuliert Susanne Uhl, was viele ihrer Leidensgenossinnen denken. Deshalb gäbe es für sie »heute keine Alternative mehr zu einem politischen Neuanfang«. Uhl: »Wann, wenn nicht jetzt?«Antje Möller befürchtet hingegen, daß eine solche Erosion des linken Parteiflügels »vielen grünen Realos« um den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Rezzo Schlauch, den Baden-Württemberger Rechtsausleger Hubert Kleinert »ganz gelegen käme«, um die Bündnis-Grünen ohne große Widerstände in Richtung einer ökologischen FDP zu trimmen. In Hamburg hat die GAL-Fraktionsvorsitzende diese Erfahrung in der vergangenen Woche bereits machen dürfen. Kaum hatten die fünf Links-Abweichler das Handtuch geworfen, da kündigten die prominente grüne Wissenschaftssenatorin Krista Sager und der GAL-Vorstandssprecher Peter Schaar im Gleichklang an, sich nun programmatisch verstärkt gen Mitte zu öffnen und um das liberale Wählerspektrum zu werben.Die »Fünferbande« um Jobs und Uhl sieht hingegen durch die neue Opposition die Chance, »die GAL von außen nach links zu zwingen«, will sie nicht große Teile ihrer Basis an die grünen Aussteiger verlieren. Eine Prognose, die die beiden im übrigen mit dem Führer der bislang einzigen Opposition im Hamburger Rathaus, Ole von Beust (CDU), teilen. Der verlautbarte vor wenigen Tagen: »Die Grünen sind gezwungen, um ihre alte Klientel zu kämpfen. Es wird ein Wettstreit mit den Abspaltern, wer die wahre grüne Philosophie vertritt. Das verschiebt das Spektrum nach links«.Ob die Abspaltung der namenlosen Fünfergruppe der Hamburger GAL nun weiter nach links oder nach rechts treibt, wird maßgeblich davon abhängen, wieviel politische Handlungsfähigkeit sie in den kommenden Monaten gewinnt und ob es ihr gelingt, das in der Hansestadt links von Rot-Grün entstandene politische Vakuum mit Inhalten und Personen zu füllen. Während die Abspaltungskritikerin Möller nicht an »die langfristige politische Schlagkraft« der neuen Gruppe glaubt, »da keine Massenbewegung zu erkennen ist, die einen solchen Ansatz trägt«, tragen die Parteiaussteiger - logischerweise - vorsichtigen Optimismus zur Schau. »Wir haben in den ersten Tagen von außen viel Zuspruch für unseren Schritt erhalten und viel Interesse an unserem Projekt gespürt«, formuliert Jobs seine Wahrnehmung einer Welle von Unterstützung. Bestehende Kontakte mit Anti-Kriegs-Initiativen und Ökologiegruppen, Atomgegnern und Stadtteilzirkeln sollen nun in den nächsten Monaten intensiviert werden. ExGrüne, die sich schon in den vergangenen Jahren von der GAL abgewandt haben, Gewerkschafter und undogmatische Linke sollen zur Zusammenarbeit animiert werden.Auch die Hamburger Medien - vom Lokalteil der linken taz bis hin zu dem der rechten Welt - haben einhellig wohlwollend über den Schritt der fünf Dissidenten berichtet. Nicht nur aus politischer Sympathie freilich, sondern auch aus wohlkalkuliertem Eigeninteresse. Galt der hanseatischen Journaille ihre rot-grüne Stadtstaat-Regierung doch als langweiligste Koalition der Republik, geräuschlos agierend bis an den Rand der Wahrnehmungsgrenze. Da sich auch die Christdemokraten der Elb-Metropole seit Jahren mehr ihren parteiinternen Machtkämpfen, denn einer pfiffigen Oppositionspolitik hingeben, verspricht nun die neue Oppositionsgruppe wieder ein bißchen Leben in der Rathaus-Bude. Doch daß der mediale Rückenwind leicht die Richtung ändern und in heftigen Böen wehen kann, wenn die neue Opposition den Charme ihrer politischen Jungfräulichkeit verloren hat, wissen auch die presseerfahrenen Partei-Aussteiger genau.Noch haben diese weder eine inhaltliche Plattform, noch organisatorische Strukturen zu bieten. Als zukünftige politische Schwerpunkte wurden auf den ersten hektisch einberufenen Treffen die Bereiche Ökologie und Energiepolitik, die Situation der Flüchtlinge und der Kampf um Bürgerrechte und gegen den zunehmenden Sozialabbau ausgemacht. »Alles andere muß sich erst entwickeln«, sagt Uhl. Dann wird sich zeigen, wie breit die gemeinsame inhaltliche Basis der fünf Bürgerschaftsabgeordneten ist, die bislang neben der gemeinsamen politischen Geschichte vor allem der Frust über den grünen Kurswechsel der letzten Monate und Jahre miteinander verbindet.Da die fünf Namenlosen bislang fast ausschließlich davon leben, als Parlamentarier im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen, spukt in manchem Hinterkopf schon das Damoklesschwert der nächsten Bürgerschaftswahl im Herbst 2001 herum. Zwei Optionen sind derzeit im Gespräch: »Wenn wir politisches Gewicht in der Stadt bekommen, ist vorstellbar, daß wir zur Wahl antreten«, prophezeit Lutz Jobs. Für die GAL-Fraktionsvorsitzende Möller, die »die Zeit nicht reif für eine neue Parteigründung« findet, ist es hingegen »nicht abseits des Denkbaren«, daß die Dissidenten aus wahlarithmetischen Gründen mit der GAL im Zweckbündnis vereint auf Stimmenfang gehen. Während mancher der Aussteiger über einen solchen Wahlzusammenschluß schon heute hinter vorgehaltener Hand spekuliert, liegt für Susanne Uhl »eine solche Option zur Zeit außerhalb des Vorstellungsvermögens«.Jetzt aber geht es den aus Bündnis 90/ Die Grünen ausgetretenen Parlamentariern erst einmal darum, den Elan zu nutzen, um dem Zusammenschluß erste Konturen zu geben. Der Funke ist in Hamburg erst einmal übergesprungen. Ob er als Strohfeuer verglimmt oder einen Flächenbrand entfacht, wird Dortmund, werden vor allem aber die nächsten Monate zeigen.
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