An einem regnerischen Samstagnachmittag treiben Timm Wille und seine vier Mitstreiter den Sturz des kapitalistischen Systems voran. Sie werden das auf friedliche Weise tun, mit Schraubschlüsseln und Schweißgerät. Treffpunkt ist eine kleine Werkstatt auf dem Gelände einer Berliner Schule. Sie dürfen hier sein, denn Timm Wille leitet die Werkstatt. Unter der Woche zeigt der 24-jährige Student den Schülern ehrenamtlich, wie sie ihre Fahrräder reparieren können.
Timm kniet neben Kisten voller Lampen auf dem Boden und misst die verschiedenen Teile eines Fahrradrahmens aus. Die vier anderen stehen um die lange Werkbank herum und debattieren darüber, wie sie mehr Frauen für solche Treffen begeistern können. Denn mit Laura ist nur eine weibliche Person anwesend. Wie so oft. Liegt es daran, dass Frauen nicht so für Technik zu begeistern sind? Laura hält dagegen, dass sich das wohl nicht verallgemeinern ließe. Die Diskussion findet vorerst ein Ende, als Timm Hilfe braucht. Die Gruppe will heute am Lastenfahrrad weiterbauen. Auf dem Tisch liegt der Bauplan, runtergeladen von der Online-Plattform „Open Source Ecology Deutschland“.
Kostenlose Arbeit
„Open Source“ ist vor allem wegen erfolgreicher Computersoftware wie Linux ein weltweit bekannter Begriff geworden. Der Quellcode der Programme ist frei zugänglich, Privatmenschen wie Firmen haben das Recht, ihn nicht nur zu benutzen, sondern die Programme nach Belieben anzupassen. Das Internet ist dabei essenziell, ermöglicht es doch erst, das Wissen über ganze Kontinente hinweg zu teilen. Wer an Open-Source-Projekten arbeitet, tut das meist kostenlos. Allein das erschüttert den Grundgedanken des herkömmlichen Wirtschaftens. Denn bisher haben Unternehmen Produkte vor allem entwickelt, um damit Geld zu verdienen.
„Open Source Ecology“ (OSE) funktioniert nach den Regeln einer offenen Alternativ-Wirtschaft. Anstatt an Softwareprogrammen zu basteln und diese zu veröffentlichen, stellen die Mitglieder der OSE-Netzwerke Konstruktionspläne von Maschinen und Geräten online. Es ist ein erklärtes Ziel der Community, dass die Produkte einen ökologischen und sozialen Beitrag leisten. Auf der Plattform des deutschen OSE-Netzwerks stehen neben dem Bauplan für das Lastenfahrrad auch Anleitungen für eine Zink-Luft-Brennstoffzelle oder eine Windturbine. Kosten und Materialaufwand sollen möglichst gering sein. Das Wichtigste aber ist, dass die Maschinen gut nachgebaut werden können. Wer baut, dokumentiert das und stellt später Texte, Fotos oder Videos online. Ein Kennzeichen der OSE-Bewegung ist, dass ihre Mitglieder nicht nur digital gemeinsam an einem Produkt arbeiten, sondern die Maschine eben auch in der realen Welt zusammen bauen. „Es geht um mehr als nur ums Bauen. Bei den Treffen sprechen wir viel über aktuelle Entwicklungen in der Wirtschaft. Ich denke, dass das, was wir zusammen auf die Beine stellen, auch etwas verändern kann. Es gibt immer mehr Projekte, das ist eine spannende Zeit“, sagt Timm.
Ihre Anfänge hatte die OSE-Bewegung bereits vor über zehn Jahren in den USA. Als Vater gilt der US-Amerikaner Marcin Jakubowski. Damals Anfang 30, malte sich der frischgebackene Doktorand der Physik aus, wie er immer nur an kleinen Teilen eines Forschungsprojekts arbeiten würde. Er sah seine Kollegen am Lehrstuhl, wie sie akribisch Informationen voreinander versteckten, anstatt sie zu teilen. Bei einer TED-Konferenz im Jahr 2011 erklärte Jakubowski seinen Sinneswandel: „Ich hatte mich so derart spezialisiert. Und plötzlich habe ich verstanden, dass ich absolut nutzlos bin, solange ich nicht alles selbst machen kann.“ Im Video ist hinter ihm eine Tafel eingeblendet, vollgeschrieben mit komplizierten Formeln. In Jakubowskis Augen war keine einzige geeignet, die echten Probleme der Welt anzugehen.
Um seinen Traum von der Unabhängigkeit zu verwirklichen, kaufte sich Jakubowksi zusammen mit seiner Freundin ein großes Stück Land im US-Bundesstaat Missouri. Sie fertigten eine Hütte aus über 2.000 Plastiktüten, bauten Weizen an und pflanzten Obstbäume. Eigentlich hätte es so weitergehen können, wäre der Traktor nicht kaputtgegangen. Da das nötige Geld fehlte, wollte Jakubowksi einfach selbst einen neuen Traktor bauen. Dadurch begann er sich zu fragen, welche Geräte unerlässlich seien, um ein Dorf vollkommen unabhängig zu versorgen. 50 Maschinen standen am Ende auf seiner Liste: Bulldozer, Windturbine, Melkmaschine, Brunnenbohrer, Ziegelpresse, ein Gerät zum Ausbringen der Saat, ein anderes, das mit Sonnenwärme Dampf erzeugt. Er gab der Liste den Namen „Global Village Construction Set“, ein Startpaket für eine kleine Zivilisation. In Foren warb der charismatische Jakubowski um Spenden, endgültige Bekanntheit erlangte er durch den TED-Auftritt. Immer mehr Freiwillige besuchten sein Gelände, die „Factor e Farm“, unter ihnen Studenten in den Zwanzigern, erfahrene Ingenieure und Unternehmer. Alle waren sie vom „Do it yourself“-Gedanken getrieben. „Ein Stück Land zu bewirtschaften ist genauso populär geworden, wie im Ausland zu studieren“, schreibt ein Mann, der für ein paar Monate auf der Farm gelebt hat, in einem Forum. In den letzten Jahren aber wurde Jakubowski zunehmend von seinen Anhängern kritisiert. Manchen gilt er als größenwahnsinnig, weil er seine Ideen immer schneller umsetzen will. „Unser Ziel ist eine Sammlung von veröffentlichten Entwürfen, so klar, so vollständig, dass solch ein effektives Starter-Kit auf eine einzige DVD passt“, lautet eine seiner Devisen.
OSE-Netzwerke gibt es mittlerweile in ganz Europa. Zumindest in Deutschland wollen es die Initiatoren anders machen als in den USA. Es soll bloß keiner allein durchziehen. „Die deutsche Gemeinschaft ist eher eine ‚Fork‘ der amerikanischen Bewegung“, sagt Andrea Vetter, die an der Humboldt-Universität Berlin gerade eine Doktorarbeit über Techniken für eine Postwachstumsgesellschaft schreibt, in der es auch um OSE geht. „Fork“ ist der in der Community verwendete Begriff für Abspaltung. Über 20 ganz aktive Mitglieder hat die OSE-Gruppe in Berlin, doch weit mehr Interessierte bauen gemeinsam an Maschinen. Noch ist unklar, wohin die Reise geht. Wie streng sollen die Kriterien für die Produkte sein? Wie genau soll der Bau von Maschinen dokumentiert werden? „Solche Fragen sind noch ungeklärt“, weiß Vetter. Aber genau das, so die Doktorandin, lasse eben auch viele Möglichkeiten zum Gestalten. Manche Kriterien, die in Jakubowskis Modell wichtig sind, hat die deutsche Community übernommen. So zum Beispiel den modularen Charakter der Maschinen. Module sind leichter zu verstehen und mit wenigen Änderungen leicht ineinander überführbar.
Nachhaltige Alternative
Der deutschen OSE-Community geht es auch darum, zu zeigen, dass Open-Source-Projekte wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen Wirtschaft sein können. „Ich finde es wichtig, einen positiven Technik-Begriff in Debatten über alternative Wirtschaftsmodelle einzubringen“, sagt Forscherin Vetter. Sie selbst habe festgestellt, dass viele Postwachstums-Befürworter prinzipiell voreingenommen seien, wenn es um Technik geht. Und tatsächlich können Produkte, die aus Open-Source-Projekten entstehen, auch alles andere als umweltfreundlich sein. „Aber so können eben auch gute und nachhaltige Alternativen geschaffen werden“, ist Vetter überzeugt. Die Möglichkeiten scheinen endlos. Gibt es auf Höfen bald Traktorbaupartys? Werden dank der Online-Pläne die Maschinen bald in der Mongolei oder in Afrika nachgebaut und erprobt? Das wäre wünschenswert, denn jeder Nachbau bedeutet immer auch Weiterentwicklung. In Regionen etwa, wo bestimmte Baumaterialien oder Einzelteile nicht gut zu bekommen sind, findet jemand vielleicht eine Alternative und notiert das im Internet, was wiederum von einem anderen ergänzt wird.
In der kleinen Werkstatt in Berlin hat sich die Gruppe der Lastenfahrrad-Bauer mittlerweile vergrößert. Nun wird geschweißt. Timm teilt Schutzkleidung aus, mit dem gesamten Baumaterial geht es nach draußen, trotz Kälte und Nieselregen.
Der Rest hat es sich in der Werkstatt gemütlich gemacht und schaut sich Bilder der neuesten Idee an. Auf einem über 14.000 Quadratmeter großen Gelände, abseits der Autobahn zwischen Berlin und Hamburg, entsteht gerade das erste europäische OSE-Lab. Wird hier das deutsche „Maschinen-Startpaket“ entworfen? Ein Büro zum Planen und Gästezimmer für Freiwillige sind jedenfalls schon fertig. Natürlich alles selbst gebaut.
Kommentare 9
Bastler, Heimwerker und eine neue Generation der Bewegung "Leben auf dem Land" sind im 21. Jahrhundert angekommern. Zumindest ein wenig und selbstverständlich mit Hilfe der Technik des 21. Jahrhunderts.
Natürlich startet niemand von Null, denn man greift einerseits auf vorhandene Bauteile zurück als andererseits auch auf in Jahrhunderten mehr oder minder erprobten Erkenntnissen. Das kann man je nach Gegebenheiten noch um eine der sogenannten dritten Welt angepassten Technik ergänzen.
Aktuelle Technik ist übrigens weltweit durch Hunderttausende Patente vor dem Nachbau oder der "Nachkonstruktion" geschützt.
Vielleicht kommt dennoch die eine oder andere tatsächliche Neuentwicklung bei dieser Bewegung heraus. Dann wird es spannend. Man muss entscheiden, ob man das dann selbst vermarktet, verkauft oder tatsächlich als offene Quelle zur Verfügung stellt. Winken Millionen oder gar Milliarden kommt es zum Schwur.
Na ja, man kann nur patentieren, was eine Neuigkeit ist. Ist es einmal öffentlich, ist der Zug abgefahren. Auch laufen Patente (idR. nach 20 Jahren) aus. Anders als das Copyright gibt es hier keine so extremen juristischen und unanständigen Fallstricke ala "bis 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers".
Soll sich die Technik durchsetzen, sollte sie auch vermarktet werden können, nur eben nicht exklusiv, sondern von jedem.
Ein Auto welches man selbst komplett auseinandernehmen, ergänzen und reparieren kann. Wo die Technik reifen kann und nicht ständig neue Modelle auf den Markt gerotzt werden, ich würde es sofort kaufen und wenn es doppelt so teuer wäre wie die kostenoptimierten Wegwerfkarren der Jetztzeit.
Also hier zu muss ich mal was sagen, daß man heute meint man käme ohne Maschinen nicht mehr aus, spiegelt sich extrem in diesem Artikel und das ist einfach ekelhaft. Da lese ich: -50 Geräte, die nötig sind, damit ein Dorf autark existieren kann-, ja gehts noch?
Wie hat man denn früher vor 100 Jahren gelebt ?
Wie leben Menschen im Urwald?
Wie leben z.B. die Amische?
Wie hat man in der Steinzeit gelebt?
Gab es da Maschinen?
Ist es möglich auch ohne Motorsäge, Laubbläser und Straßenkehrmaschine auszukommen?
Aber genau diese Einstellung ist es, die die Gesellschaft gegen die Wand fahren läßt!
Spätestens wenn das Erdöl alle ist knallt es und dann weiß keiner mehr, wie man einen Hammer bedient! Einfach ekelhaft dieser Artikel!
Du scheinst auf jeden Fall eine falsche Vorstellung davon zu haben, was es heute bedeutet, "autark" zu sein und gleichzeitig 80 millionen Menschen ernähren zu können. Das funktioniert wohl kaum mit Steinzeitmethoden. Auch nicht mit denen von vor hundert Jahren.
Die meisten Menschen meinen beim Wort "autark" wohl sowieso, unabhängig von ihren Mitmenschen zu leben - weitestgehenst. Das sogenannte "Einsiedlerleben". Das hat mit Autarkie aber nichts zu tun.
Man kann nur patentieren, was eine Neuigkeit ist.
Sollte man meinen, stimmt aber seit 2005 nicht mehr. Damals wurde folgender Satz in PatG §1 hinzugefügt:
Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.
Aber auch außerhalb derBiotechnologie geht die Tendenz dahin, kleinste Bausteine zu patentieren (z.B. Fortschrittsbalken, Umrechnung einer zweistelligen in eine vierstellige Jahreszahl usw.), so dass es in manchen Branchen wohl kaum möglich ist, ein Produkt herzustellen, das kein Patent verletzt.
Gleich wo der Zug der " Open Source Ecology" nun hinfährt, eines scheint gewiss, es gibt aktivierende Altenpflege, warum sollte es da nicht auch alktivierende Konsumentenpflege durch Open Source Ecology geben?
Seltsam ist nur, dass diese Ideen der Open Source Ecology ausgerechnet immer und immer wieder , wie im Ersten, Zweiten Weltkrieg 1914- 1945, nun nach Nine Eleven 2001 mit mit seinem Krieg gegen den Internationalen Terrorimsus im Gefolge in die Blüte schlagen?
Ja, das Thema bleibt natürlich eine Hürde, zumindest für eine schnelle Vermarktung und für die Fortentwicklung. Beim Eigenbau denke ich eher nicht.
Letztlich eine Frage wie sich das juristisch entwickelt. Der Trend geht ja leider dahin, dass die Konzerne sich von ganz oben (am besten EU-Ebene, da gibts keine Demokratie) entsprechende Lizenzsysteme installieren lassen und alles was nicht kostenintensiv lizensiert und getestet wurde, ist automatisch verboten und wird gejagt und beklagt.
Sieht man schön im Agrarbereich, etwa die Einführung von Stevia, bei der Linda Kartoffel oder der Erschwerung des Handels mit altem Saatgut. Wenn sich das einmal bewährt hat, kann man jede beliebige unliebsame Konkurrenz mit angeblichen Sicherheitsbedenken usw. tot machen...
Das Thema Open Tech finde ich extrem interessant. Darüber möchte ich gerne mehr erfahren.
>Die vier anderen stehen um die lange Werkbank herum und debattieren darüber, wie sie mehr Frauen für solche Treffen begeistern können. Denn mit Laura ist nur eine weibliche Person anwesend.<
Also bei einer Open Source Ecology &Teile und gewinne Treffen von Männer würde ich als Frau auch nichts gutes erwarten, die Laura war da ziemlich mutig!