Marco Wanderwitz (CDU), Ostbeauftragter der Bundesregierung, hat mit seinen Äußerungen zur ostdeutschen Wählerschaft der AfD eine Debatte ausgelöst, die exakt so verläuft, wie alle Debatte seit mehr als 20 Jahren zum Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Er sagt nichts Neues. Seine Einlassungen geben den Stand der sozialwissenschaftlichen Debatte der frühen 1990er Jahre wieder. Die Anamnese, die im Osten erhöhte Zustimmungsbereitschaft für rechte Parteien und deren Politikangebot habe seine Ursache in der DDR-Sozialisation, ist schnell zur Hand, nicht ganz falsch und greift dennoch zu kurz.
Zutreffend ist, dass die politische Kultur der DDR autoritär-nationalistische Subströmungen mit sich trug, die sich nach dem Umbruch in Ostdeutschland in einer rechtsextremen Jugendbewegung auf der Straße artikulierte. Die ostdeutsche Transformationsgesellschaft verstärkte diese Effekte: extreme Gewaltbereitschaft rechter Akteure, Rassismus, die Handlungsunsicherheit von Eltern und Lehrern, Arbeitslosigkeit. Alle genannten Faktoren spielen eine Rolle, und sind zugleich dennoch nicht DIE Ursache.
Aus dem Westen zugezogen
Welche Fährnisse den Ostdeutschen in den vergangenen 30 Jahren auch widerfahren sein mögen; am Ende sind sie es, die sich zu 20 Prozent bewusst für die Wahl einer Partei entscheiden, die seit 2014 eine beispiellose Drift nach rechts vollzogen hat. Heute ist die AfD, zumal in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, eine völkisch-nationalistische Partei, deren politische Agenda eng an die extreme Rechte angelehnt ist.
Seit drei Jahrzehnten verschafft die Wechselwirkung zwischen aus dem Westen zugezogenen rechten Ideologieproduzenten und ihrer ostdeutschen Anhängerschaft der extremen Rechten im Osten Resonanz. Ob Holger Apfel, ehedem NPD Sachsen, oder Götz Kubitschek, neurechter Verleger und AfD-Strategieflüsterer: Sie trafen und treffen im Osten auf eine Reichweite, die ihnen in Hamburg und Frankfurt/Main verwehrt bleibt.
Dass es in der westdeutschen Provinz in Bezug auf rechte Alltagskultur manchmal nicht viel anders zugeht als in Teilen Ostdeutschlands, ist ein von vielen Medien gern ausgeblendeter Fakt. Teil der im Westen betriebenen Exotisierung des Ostens sind die zum Klischee geronnenen Fakten
Ebenfalls seit drei Jahrzehnten wehrt sich eine diverse, aus zeitgeschichtlichen Gründen anders verfasste Landschaft von Initiativen, Netzwerken und Personen gegen die Hegemonie-Bestrebungen der extremen Rechten im Osten. Dies geschieht unter schwierigeren Bedingungen als in westdeutschen Universitätsstädten oder in Leipzig. Wer im ländlichen und kleinstädtisch geprägten Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen „Gesicht zeigt“ für Demokratie, wie es aus der Politik zu Recht gefordert wird, macht sich angreifbar. Nicht abstrakt, sondern sehr persönlich und direkt. „Wir wissen, wo du wohnst“ ist noch die harmlose Variante. Engagierte Sozialarbeiter, Kommunalpolitiker und Pfarrer können ein Lied davon singen, was es bedeutet demokratisch kenntlich zu sein. Zu oft sind sie es, die allein gelassen sind, wenn in einer Region eine rechte Mobilisierung greift.
Wer Mitverantwortung trägt
Eine Mitverantwortung für die Entwicklung des Rechtsextremismus in Ostdeutschland tragen jene politischen Akteure in den ostdeutschen Bundesländern, die das Ausmaß der sich seit 30 Jahren in Wellen vollziehenden rechten Mobilisierung stetig leugneten und kleinredeten. Legendär etwa die Aussage des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU), der die Sachsen für immun gegen Rechtsextremismus erklärte. Die Auswirkungen dieser Diagnose sind bis heute überall spürbar. Rechtsextremismus nicht beim Namen zu nennen, seine Anhänger als „besorgte Bürger“ zu hofieren, die berechtigte Ängste artikulierten, all das hat ihn seit Jahren gestärkt.
Der Versuch, den explizit rechts motivierten Teil der Wählerschaft der AfD und zuvor jene der NPD und DVU im Osten an andere Parteien zurückzubinden, ist seit langem gescheitert. Dennoch suchen Politiker immer wieder den Dialog ausgerechnet mit dem Milieu aggressiver rechter Schreihälse, die gut darin geübt sind, sich und ihre Propaganda in sozialen Netzwerken wirkungsvoll in Szene zu setzen. Diese Vorgehensweise stärkt sie und schwächt die kritische Zivilgesellschaft.
Die Debatte um die Äußerungen von Marco Wanderwitz verläuft wie ein Abend im Ohnesorg-Theater in Hamburg: Handlung, Figuren und Verlauf sind sehr vorhersehbar. Es ist ermüdend, in Bezug auf die Stärke der extremen Rechten im Osten die immer gleichen Phrasen zu hören. Der gesellschaftliche Resonanzraum der extremen Rechten im Osten ist gut erforscht und empirisch belegt. Zahlreiche Wissenschaftler und Praktiker von vor Ort können differenziert Auskunft zu Stand und Perspektiven der Demokratie in Ostdeutschland geben. Es kommt darauf an, ihnen zuzuhören.
David Begrich ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V.
Kommentare 16
Ich denke auch, dass diese ganze Entwicklung eine Mixtur ist aus ererbten Haltungen, die aber gleichzeitig in eine merkwürdig illusorische und wirre "Freiheitsidee" mündeten, die schnell von rechts genutzt werden konnte.
Eine repräsentative Demokratie mit ihren langen Wegen und Fallen und Debatten konnte dies nicht befriedigen. Das ist ja bis heute so. Da muss immer irgendjemand "weg" oder "an den Galgen" oder sowas, um dem Ausdruck zu verleihen.
++ Mitverantwortung für die Entwicklung des Rechtsextremismus in Ostdeutschland tragen jene politischen Akteure in den ostdeutschen Bundesländern, die das Ausmaß der sich seit 30 Jahren in Wellen vollziehenden rechten Mobilisierung stetig leugneten und kleinredeten.++
Das war wirklich ein Grundübel. Dieses Leugnen und eigentlich auch heimliche Bekämpfen z. B. durch Mittelkürzungen für Initiativen gegen Rechts. Das Wegsehen als Regierungsdoktrin.
Die Debatte um die Äußerungen von Marco Wanderwitz verläuft wie ein Abend im Ohnesorg-Theater in Hamburg: Handlung, Figuren und Verlauf sind sehr vorhersehbar. Es ist ermüdend, in Bezug auf die Stärke der extremen Rechten im Osten die immer gleichen Phrasen zu hören.
Das stimmt. Aber für welche Debatte und welchen Bezug gilt das eigentlich nicht?
Im Übrigen ist der Vergleich mit dem Ohnsorg-Theater nicht besonders fair.
Wiederhole mich ja immer wieder mal gern.
Wie ist die US-Demokratie samt wirtschaftlicher Begleitung 1945 nach Westdeutschland gekommen? Und wie ist die westdeutsche Demokratie samt wirtschaftlichen Folgen ab 1990 in die DDR gekommen? Das sind schon gewaltige Unterschiede.
Im sog. Vereinigungsprozess sind ostdeutsche Erfahrungen und Stimmen jedenfalls kaum gehört, geschweige denn berücksichtigt worden. Da hat sich so mancher dann verabschiedet. Man braucht sich ja bloß mal die Nachwende-Wege der gefeierten Bürgerrechtler ansehen.
Hätte die westdeutsche Politik bei Stasi und SED die Augen auch nur annähernd so zugedrückt, wie es die westlichen Alliierten bei den Nazis aller Grade damals getan haben, dann hätten wir die letzten 30 Jahre ein paar sehr wesentliche Probleme weniger gehabt.
So, so: "Marco Wanderwitz (CDU), Ostbeauftragter der Bundesregierung, ... sagt nichts Neues."
Mit diesem artikel hat David Begrich gezeigt, dass er Wanderwitz in nichts nachsteht. Auch er sagt nichts neues.
Im kern läuft das fortwährende gejammer über den zustand der demokratie im osten doch lediglich darauf hinaus, das die etablierten (west)parteien es nicht schaffen, eine west-ost-angleichung auf der ebene der parteienwahl herzustellen.
Irgendwie schafft es doch dieser rechtsextreme verein AfD immer wieder so aufzutreten, dass die rückständigen und verbohrten ostdeutschen zustimmen. Die sind einfach unbelehrbar, diese ddr-idioten.
Da bleibt - für Wanderwitz wie Begrich - freilich nur das hoffen auf eine künftige generation von jungmerkelianer*innen.
Stefan Heym hatte ja Recht:Die DDR war eine Fußnote der Geschichte. Aber eben offensichtlich doch eine größere und wichtigere, als die im Moment Regierenden und Herrschenden zugeben wollen und können. Alles in Allem eine doch erstaunlich wirksame. Seit nunmehr 30 Jahren.
Um das Eingeständnis, dass das eben keine Vereinigung war, kommt man nicht mehr herum. Das wäre der Anfang, um diesen elenden Knoten zu lösen. Aber davon sind wir aus den bekannten Gründen weit entfernt. Nur werden wir alle miteinander noch feststellen müssen, dass die Zeit eben keinesfalls Wunden heilt. Und schon gar nicht alle. Sicher, wird man eben dann als Nostalgiker bepöbelt. Aber das ist schon lange völlig egal. Will ich die DDR zurückhaben? Natürlich nicht. Was für eine unsinnige Frage, die da immer wieder auftaucht. Wir werden, wenn es ganz, ganz schlimm kommt, gänzlich anderes wiederholen.
Der Herr Wanderwitz, so unterstelle ich mal, hat ja nicht so nebenbei in der Frühstückspause geredet. Der hat sich ja bei seiner Wortmeldung was gedacht. Und etwas beabsichtigt. Und er wäre nicht in der Position, in der er nunmal ist, könnte er die Dinge anders sehen.
Marco Wanderwitz hat das gesagt um die Jungen gegen die Alten aufzuhetzen!!
Es ist das ganz perfide "Teile und herrsche" , das Wanderwitz umtreibt.
Es soll ein Keil zwischen die Generationen getrieben werden mit solchen
Äußerungen!
So kennen wir sie, die Christdemokraten!! Man will spalten dann bei der Wahl der
lachende Dritte sein! Für ein paar Wählerstimmen opfern sie kaltlächelnd die Solidarität der Gesellschaft.
Diese Christdemokraten sind und bleiben erbärmlich!
Der Name ist Programm.
Und die glauben immer noch ... dass der klassische AfD-Wähler ein DDR-Kind ist, geprägt von Meister Nadelöhr. Jene Beamtenbesoldung für die Heeresgruppe Ost können wir uns sparen!
Besser als Herr Wanderwitz kann man nicht Wahlkampf für die AFD machen...
"Es ist ermüdend, in Bezug auf die Stärke der extremen Rechten im Osten die immer gleichen Phrasen zu hören. Der gesellschaftliche Resonanzraum der extremen Rechten im Osten ist gut erforscht und empirisch belegt. Zahlreiche Wissenschaftler und Praktiker von vor Ort können differenziert Auskunft zu Stand und Perspektiven der Demokratie in Ostdeutschland geben. Es kommt darauf an, ihnen zuzuhören."
Na dann, Freitag, mal rein ins Blatt damit. Beiträge wie dieser hier - zu Diskursen über Diskurse über Diskurse - reichen nicht. Leider.
Wanderwitz ist in der gleichen Partei wie Maaßen ! Gerade in Sachsen wurden und werden rechtsextremistische Vorgänge seit >30 Jahren vertuscht und geleugnet. Dafür sorgte allen voran die Partei des Herrn Wanderwitz.
Mit einer vernünftigen Sozial- und Bildungspolitik wäre sowas vieleicht zu vermeiden gewesen, aber der Herr Schröder und der Herr Fischer führten lieber Krieg und beraubten und entrechteten die sowieso schon gebeutelten.
Die CDU hat neben Friedrich Merz offenbar noch weitere Fettnäpfchensuchmaschinen im Angebot! Oder die Union spielt über Bande und lässt Hinterbänkler die Verachtung ausdrücken, die die CDU in Wahrheit für ihre Wähler empfindet!
Sehr richtig! (*****)!
Als Zeitzeuge kann ich nur bestätigen, dass die ganzen Rechtsextremisten – Oberen in das Gebiet der ehemaligen DDR einfielen und völlig unterschätzt wurden. Bei der "Aufbauhilfe" wundert mich das nicht. Und dann gibt es DIE – bis heute - wo der Feind links zu stehen hat – bis HEUTE liebe Leute! ( Landräte, Sicherheitsbehörden, Stammtischtypen, Konservative usw … )
Beispiel: ( Aktuell )
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Diese Ostexperten brauchen nur lesen und nachdenken! Besonders der Herr Ostbeauftragten Marco Wanderwitz - rufen sie Ihren ex Parteikumpel an!
Solange mir Leute, die um die Wende herum das Grab ihrer Großtante im Osten aufsuchten um Hinweise auf Liegenschaften und neues zu eroberndes Terrain zu erfahren und die DDR und die Seele der Ostdeutschen erklären wollen, ist die Übernahme der DDR und seiner Bürger ein feindlicher Akt.
Eine weitere mögliche Ursache wurde bisher überhaupt nicht weiter beleuchtet: Die Glaubwürdigkeit der Politik. Im Osten gab es in großen Teilen der Bevölkerung meiner Ansicht nach einen hohen Vertrauensvorschuss in die Politik(-er). Der wurde brachial verspielt. Übrig blieben Angst, Frust, Desillusionierung. Das kann ein Beweggrund für verstärkte Extremismuszuwendungen sein, denke ich.
Das Schlimme: Daraus hat kaum jemand gelernt. Politik und Medien haben alles dafür getan, dass deren Glaubwürdigkeit auch weiter sank. Die Folgen werden sich erst noch zeigen.
Ich würde sagen, in Deutschland sind es vor allem die Eliten, die erst einmal an die Demokratie herangeführt werden müssen!!