Oh nein, noch fünf Jahre Roland Koch." Diesen Satz hatten nicht wenige Oppositionspolitiker auf den Lippen, als sich am Abend des 2. Februar abzeichnete, dass der CDU-Mann zum zweiten Mal als Sieger aus der hessischen Landtagswahl hervor gehen sollte. Dabei war der mittlerweile vor allem in rechtskonservativen Unionskreisen als möglicher Kanzlerkandidat gehandelte Koch kurz nach seiner ersten Wahl zum hessischen Ministerpräsidenten Anfang 1999 in eine in Deutschland bisher beispiellose Affäre verstrickt. Diese hätte sicherlich bei vielen anderen Politikern ein jähes Karriereende zur Folge gehabt: Schwarze Kassen, eine dubiose Stiftung in Liechtenstein, rund 21 Millionen Mark unbekannter Herkunft auf Konten in der Schweiz - und mittendrin Koch, der in Zusammenh
enhang mit der Schwarzgeld-Affäre seiner Hessen-CDU zwar mehrfach der Lüge überführt wurde, doch gegenüber der Öffentlichkeit stets versicherte, von den besonders heiklen Vorgänge nichts gewusst zu haben. Ein "geheimbündlerisches System" (Zitat Koch) um die Personen Casimir Prinz Wittgenstein, langjähriger Schatzmeister der hessischen CDU, Horst Weyrauch, Ex-Finanz-Berater der Partei, und Manfred Kanther, ehemaliger Landesvorsitzender, habe allein die Schwarzgeld-Affäre zu verantworten, und er selbst sei nur ein von den dubiosen Machenschaften seiner Parteifreunde überraschter Zeitgenosse. Trotz dieser absurden Beteuerungen "überlebte" Koch die Affäre. Mehr noch: Die hessische CDU erzielte - nicht zuletzt, weil sich die SPD in einem desolaten Zustand präsentierte - bei den Landtagswahlen vor einem halben Jahr erstmals die absolute Mehrheit. Schwarzgeld-Affäre? Schnee von gestern.Doch nun ist die Hessen-CDU beim Thema "Finanzen" wieder in die Schlagzeilen und in Erklärungsnot geraten. Es geht diesmal nicht um verschobene Parteispenden unbekannter Herkunft, sondern um Steuerhinterziehung erheblichen Umfangs, die von den hessischen Behörden eine kuriose Rückendeckung erhielt. Durch einen Bericht im Spiegel waren die hessischen Oppositionsparteien SPD und Grüne erst Anfang vergangener Woche auf einen Vorgang aus dem Jahr 2001 aufmerksam geworden, den Vertreter beider Parteien inzwischen als "Steuerfahndungs-Skandal" bezeichnen. Der Hintergrund: Ermittler des Finanzamts stellten 1998 bei Banken Unterlagen über nicht-deklarierte Auslandsguthaben ihrer Kunden sicher. Wegen dieser Fälle und der damit verbundenen Arbeit habe die damalige rot-grüne Landesregierung sogar die Fahndungsstelle des Finanzamts Frankfurt V von 47 auf 80 Mitarbeiter verstärkt, erklärt der SPD-Abgeordnete Norbert Schmitt.Doch nachdem Koch im Kampf um den Chefsessel in der Wiesbadener Staatskanzlei gegen den einstigen Ministerpräsidenten Hans Eichel (SPD) erfolgreich war, und der CDU-Mann Karlheinz Weimar an die Spitze des hessischen Finanzministeriums gelangte, wehte nur kurze Zeit später den Steuerfahndern der Wind ins Gesicht. Höhepunkt der "neuen Linie" war eine Mitte 2001 erfolgte Minister-Anweisung: Demnach sollten nur noch die Fälle untersucht werden, bei denen das Auslandsguthaben mindestens 500.000 Mark betrug und das Geld nicht zwischenzeitlich ausgegeben wurde.Während die Medien von einer "Amnestie durch die Hintertür" sprechen, legen SPD- und Grünen-Politiker nun den Finger in eine andere Wunde. Für sie gilt die Anweisung Weimars, die lange Zeit der Öffentlichkeit verborgen blieb, als Indiz für Doppelmoral und eine politischen Kultur, die nach Ansicht des SPD-Abgeordneten Schmitt "von der Taktik des Tarnens und Täuschens" gekennzeichnet ist. Es sei eine zentrale Frage der Steuergerechtigkeit, ob unter der CDU-FDP-Landesregierung bestimmte Fälle "systematisch der Verjährung zugeführt", gleichzeitig aber einfache Steuerzahler scharf kontrolliert wurden. Er verweist in diesem Zusammenhang auf das Land Nordrhein-Westfalen, das nach eigenen Angaben 2002 mit der Verfolgung so genannter "Bankenfälle" Mehreinnahmen von 1,7 Milliarden Euro erzielte. Dem steht in Hessen im gleichen Zeitraum nur die bescheidene Summe von insgesamt 137 Millionen Euro gegenüber. Es bestehe der begründete Verdacht, meint der SPD-Finanzexperte, dass die Landesregierung gezielt prominente Steuersünder vor Verfahren habe schützen wollen. "Finanzminister Weimar kann sich nun nicht länger wegducken, sondern muss sofort für umfassende Aufklärung sorgen", forderte Mitte letzter Woche der Fraktionsvorsitzende der grünen Landtagsfraktion, Tarek Al-Wazir. "Angesichts der Tatsache, dass aufgrund der schlechten Haushaltslage sozialen Einrichtungen die Zuwendungen radikal gekürzt werden, ist es ein Skandal, dass das Land freiwillig auf die Verfolgung von Steuersündern verzichtet". Das Wort "Amigo" sei sicher verbraucht, so Al-Wazir weiter, aber seine Partei würde es schon sehr interessieren, welche Personen oder Personenkreise von der "laissez-faire"-Haltung des Finanzministers profitiert hätten.Als Konsequenz daraus, dass sich Weimar bisher hartnäckig weigert, einen von SPD und Grünen erstellten Fragekatalog zu beantworten, haben die beiden Oppositionsparteien für diese Woche die Einberufung des Haushaltsauschusses beantragt. Die CDU reagiert unterdessen wie zu Zeiten, als die Schwarzgeld-Affäre über Wochen und Monate die Schlagzeilen bestimmte: Der Opposition gehe es nicht um die Sache, erklärte dieser Tage der CDU-Abgeordnete Gottfried Milde, "sondern ausschließlich um Krawall".Solche Stellungnahmen begleiteten in den vergangenen Jahren immer wieder Forderungen nach rascher Aufklärung der Affäre um schwarze Kassen und geheime Konten. Sie scheinen nun, da die schützenden Hände über der eigenen Klientel ins Gerede gekommen sind, wieder Hochkonjunktur zu haben. Fest steht immerhin, dass der am Abend des 2. Februar mehrfach zu hörende Stoßseufzer "Oh nein, noch fünf Jahre Roland Koch" einigen vermögenden Hessen wohl kaum über die Lippen gegangen ist. Denn seine Wiederwahl zum Ministerpräsidenten bedeuteten für sie nichts anderes als bares Geld. Sogar einige Selbstanzeigen waren danach, um den Preis erheblicher Einnahmeverluste in der Landeskasse, auf wundersame Weise gegenstandslos.