Berlin-Mitte, Bahnhof Friedrichstraße. Die Hauptstadt liegt nass vor den Scharen der Touristen, die von hier aus jeden Tag auf die Prachtboulevards strömen. Hier schlägt das politische Herz Deutschlands: ein paar hundert Meter die Spree hinunter ragt das Bundeskanzleramt in den Himmel, nicht weit davon steht der Reichstag. Vom Bahnhof Friedrichstraße aus kann man die schwarz-rot-goldenen Fahnen auf seinen Türmen im Wind wehen sehen.
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Zwischen den Mega-Läden internationaler Nobelmarken und den Hoheitsgebäuden des Staats liegen die Büros der Einflüsterer: die der Lobbyisten. Schätzungsweise 5.000 tummeln sich in der Hauptstadt. Wieviele genau es sind, darauf hat auch Heidi Klein keine Antwort, das Gewerbe der Meinungsmacher agiert diskret. Klein ist eine der Gründerinnen von Lobbycontrol, eines gemeinnützigen Vereins, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Verquickungen von Politik und Wirtschaft aufzudecken.Polierte Klingelschilder ...Um die Nähe von gewählten Volks- und bezahlten Interessenvertretern anschaulich zu machen, führen Klein und ihre Kollegen regelmäßig Besuchergruppen durch Berlin-Mitte. Nun haben sie ihr Wissen in einem Reiseführer zusammengefasst. Das Buch heißt Lobbyplanet und ist auf lobbycontrol.de für 7,50 Euro bestellbar. Darin finden sich Routen, die zu mehr als 50 Interessenvertretungen führen und die Geschichten hinter den glänzenden Fassaden erzählen.An diesem Tag geht Kleins Tour direkt gegenüber dem Bahnhof Friedrichstraße los, in der Neustädtischen Kirchstraße. Hier hat der Verband der Chemischen Industrie (VCI) sein Hauptstadtbüro. Sieben Mitarbeiter vertreten dort die Interessen von rund 1.600 Mitgliedsunternehmen. „Eine Spezialität des VCI ist es, junge begabte Menschen mit politischen Ambitionen anzustellen“, sagt Klein. So habe Friedrich Merz, später Fraktionschef der CDU im Bundestag, in den Achtzigern für den VCI gearbeitet. In den Sechzigern auch ein aufstrebender Jungpolitiker namens Helmut Kohl. „Die strategische Personalpolitik ist ein wichtiges Einflussinstrument des VCI“, so Klein.Zweimal um die Ecke, und Klein steht auf der Friedrichstraße selbst. Ein wenig zurückgesetzt hinter einem Starbucks-Café ragt das Internationale Handelszentrum in die Höhe, ein Betonbau mit einer dunkel verglasten Fassade. Hier sitzt RWE, „Nummer zwei unter den deutschen Energieanbietern und die Nummer eins der deutschen CO2-Emittenten“, sagt Klein. Wie eng die Verbindungen von RWE in die Politik sind, wurde 2004 offenbar. Damals wurde bekannt, dass der Konzern sowohl den damaligen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer als auch den Bundesvorsitzenden der CDU-Arbeitnehmerorganisation, Hans-Josef Arentz, weiter bezahlte, obwohl beide längst nicht mehr für RWE arbeiteten. Meyer nannte das Geld damals eine „Sonderausschüttung“. Als der öffentliche Druck zu groß wurde, spendete er das Geld SOS-Kinderdörfern. Er musste das Amt des Generalsekretärs aufgeben, durfte aber weiter im Bundestag bleiben – bis heute. Hermann-Josef Arentz hingegen war nach diesem Vorfall politisch erledigt.Klein geht weiter die Friedrichstraße hinunter. Immer wieder hält sie an, zeigt auf kleine Plaketten von Verbänden und Agenturen. „Agenturen vertreten meist kleinere Unternehmen, die sich kein eigenes Lobbybüro in Berlin leisten können. Bei den Verbänden weiß wenigstens jeder, wer dahinter steht, bei Agenturen ist das völlig unklar“, sagt sie.Noch ein paar hundert Meter weiter liegt die Kreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden. Klein wendet sich Richtung Brandenburger Tor. Souvenirshop drängt sich hier an Souvenirshop. Bären in jeder Form und Farbe stehen zum Verkauf, Postkarten und „originale Mauerstücke“....und schmutzige GeschäfteDoch Klein zieht es in die Hauseingänge, zu den Klingelschildern. Zu vielen ist etwas zu sagen. Da ist das Pharmaunternehmen, das Patientenorganisationen für sich einspannte, um Demonstrationen gegen eine unliebsame EU-Richtlinie zu organisieren. Oder der Energiekonzern, der eine Sondererlaubnis für eine vom Kartellamt abgelehnte Fusion beantragte, bekam – und den damaligen Wirtschaftsminister ebenso wie seinen Staatssekretär nach deren Amtszeit mit Jobs in Tochterunternehmen versorgte. Weil sich Unter den Linden tausende solcher Geschichten erzählen ließen, nennt Klein die Straße „Unter den Lobbyisten“.Eigentlich seien Interessengruppen wichtige Bestandteile von Demokratie, sagt Klein. Aber: „Die Methoden von vielen Lobbyisten sind nicht demokratiekompatibel.“ Und inzwischen zähle die lauteste Stimme, nicht mehr die vernünftigste. Die Lautstärke, mit der Argumente vorgetragen werden könnten, hänge von zwei Dingen ab: vom Zugang zur Macht und von Geld. „Wir haben ein Ungleichgewicht zwischen Habenden und Nichthabenden“, sagt sie, „deshalb stehen nicht mehr das Gemeinwohl im Mittelpunkt des Handelns, sondern Partikularinteressen großer Unternehmen.“Klein ist am Pariser Platz angekommen, direkt vor dem Brandenburger Tor. Um sie herum liegen die Büros von großen Banken und internationalen Waffenherstellern. Ihre Schilder sehen aus wie die von Anwaltskanzleien. Die meisten Menschen laufen achtlos an ihnen vorbei. Noch.