Die Regierung Berlusconi macht mit aggressiver Rhetorik gegen Italiens Arbeitnehmer mobil, sie will, koste es, was es wolle, den Kündigungsschutzartikel 18 des Arbeiterstatuts aushebeln. Wer dank harter Arbeitskämpfe in den sechziger Jahren Rechte genießt, die vor willkürlichem Rausschmiss bewahren, muss sich heute als elender Egoist fühlen, der den nachkommenden Generationen legitime Zukunftschancen verbaut. Fett und satt sitzt der Vater auf seinem Arbeitsplatz (womöglich als Staatsdiener, die - wie man ja weiß - ohnehin nicht arbeiten und praktisch unkündbar sind), während sein Sprössling sich mit Zeitverträgen, unbezahlten Praktika oder Schwarzarbeit durchschlagen muss. Nach dem neuen "Generationenvertrag" von Silvio Berlusconi soll
sconi sollen die Väter auf Teile ihrer Rechte, die nun "Privilegien" heißen, zugunsten der Söhne verzichten - die absurde Solidarität, mit der sich das italienische Tollhaus anno 2002 zu schmücken hat. Diese Zumutung wollen die Gewerkschaften nicht schlucken. Der Sekretär der sozialdemokratisch orientierten CGIL, Sergio Cofferati hat sich in seiner Rede bei der Massenkundgebung am 23. März klar gegen diese abstruse Logik ausgesprochen, die darauf hinausläuft, den Standard erkämpfter Rechte insgesamt zu senken. Dennoch kann von "Gewerkschaftsfront" nicht die Rede sein - wie brüchig und rissig die ist, ließen die bisherigen Verhandlungen mit der Regierung deutlich zu Tage treten. Der katholisch orientierte Gewerkschaftsbund CISL und die UIL waren fast bis zur Selbstverleugnung bereit, mit Wohlfahrtsminister Roberto Maroni (Lega Nord) über Arbeitsmarktreformen zu verhandeln, um sich der Öffentlichkeit als "verantwortungsbewusst" und "moderat" zu präsentieren - im Gegensatz zu den vermeintlich "radikalen" Maximalisten der CGIL. Dass es voraussichtlich am 12. April doch zum gemeinsamen Generalstreik kommt, ist allein der Sturheit Berlusconis zu verdanken, der mit seinen Plänen in Sachen Kündigungsschutz unbeeindruckt die Kraftprobe sucht. Da können auch CISL und UIL nicht mehr mitspielen. Nach Jahren der Nullrunden bei den Tarifverhandlungen und des Stillhaltens, um Italien "europafähig" zu machen, schieben sich die Gewerkschaften nun gegenseitig als Hauptakteure auf die Bühne der Politik zurück. Schlagender Beweis war die jüngste Demonstration in Rom mit über einer Million Teilnehmern. CGIL, wie auch CISL und UIL haben offensichtlich begriffen, dass mehr auf dem Spiel steht als nur der Artikel 18, der letztlich ohne große Effekte für den Arbeitsmarkt bleiben dürfte. In Betrieben mit mehr als 15 Angestellten bot er bisher eine Garantie, dass grundlos entlassene Arbeitnehmer dank Arbeitsgerichtsurteil wieder auf ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. Die Regierung will nun diesen Artikel probeweise für vier Jahre aussetzen und das in drei konkreten Fällen: Wenn eine schwarz arbeitende Firma sich legalisieren will; wenn eine Firma durch Neueinstellungen mehr als 15 Angestellte hat; und wenn ein befristeter Arbeitsvertrag in einen unbefristeten umgewandelt wird. Diese Deregulierungen seien geeignet - so die Regierung - Arbeitsplätze zu schaffen, vor allem im Mezzogiorno. Die "Rigidität" des Kündigungsschutzes hemme dort jede Entwicklung. Keine ernsthafte Studie stützt diese These. "Die Regierung schreit ins Land, wenn die Firmen endlich nach Gutdünken entlassen könnten, würde Italien vor Unternehmen blühen, wäre produktiver und wettbewerbsfähiger in Europa", schreibt ironisch die linke Politikerin Rossana Rossanda. Bezeichnenderweise will Berlusconi gleichzeitig das Rentenalter anheben. Doch wenn die Väter wegen überlasteter Rentenkassen länger auf ihren Arbeitsplätzen bleiben, fällt für die Söhne wieder nichts ab. Ein krasser Widerspruch. Außerdem kann in Italien, dem Land der Schwarzarbeit in vielen klein- und mittelständischen Unternehmen, ein großer Teil der Arbeitenden ohnehin nicht von Artikel 18 profitieren. Warum also inszeniert Berlusconi gerade jetzt seinen Frontalangriff gegen die abhängig Beschäftigten? Offenbar sollen die Gewerkschaften als soziale Gegenmacht ausgeschaltet werden, bevor sie zur politischen Gegenmacht werden. Berlusconi braucht das, um all jenen Unternehmern Genugtuung zu verschaffen, die eine organisierte Interessenvertretung der Arbeitnehmer als "total anachronistisch", "konservativ" und "altbacken" denunzieren. Der erste Streich wurde geführt, um CGIL, CISL und UIL zu entzweien, was zum Teil bereits gelungen ist. Das Attentat auf Marco Biagi, den Berater des Wohlfahrtsministers, liefert nun den willkommenen Anlass für einen zweiten. Die Aufrufe Berlusconis zur "nationalen Einheit" sind nichts weiter als eine raffinierte Falle, nachdem Europaminister Umberto Bossi (Lega Nord) und Verteidigungsminister Antonio Martino (Forza Italia) die CGIL beschuldigt haben, mit ihrem harten Kurs gegenüber der Regierung für den Mordanschlag mit verantwortlich zu sein. Eine Demagogie, die an die "bleierne Zeit" der siebziger Jahre und die "Strategie der Spannung" erinnert. Entweder ihr unterwerft euch freiwillig, oder wir unterwerfen euch mit der Macht, die wir haben. Tatsächlich scheint zuallererst die Gewerkschaftsbewegung durch das Attentat getroffen. Berlusconi ist es ein Leichtes, Mutmaßungen über die Täter anzustellen, um den sozialen Widerstand zu diskreditieren. Verteidigungsminister Martino spricht angesichts der Demonstration in Rom denn auch prompt von "einer Gefahr für die Demokratie" und einer "überzogenen Macht der Gewerkschaften", die sich anmaße, die Regierung zu bremsen. Die Stoßrichtung ist klar, die Gewerkschaften sind das letzte Hindernis für die neoliberale Deregulierungspolitik Berlusconis, nachdem die Parteien der Linken davor weitgehend kapituliert haben. Aber gerade deshalb wird die Kraftprobe am 12. April unerbittlich sein - Ausgang offen.