Es ist die letzte Woche des Bundestagswahlkampfes und man will noch mal sehen, wie die Stimmung ist. Wo geht man also hin? Genau, zu den Wahlkämpfern auf der Straße. Alexander Neubauer kämpft jeden Tag für seine Partei Bündnis 90/Die Grünen im Bezirk Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf. Der 25-jährige Alexander fürchtet, dass es schlecht enden könnte für die Grünen. "Sollte die PDS in den Bundestag einziehen, dann gibt es eine große Koalition", sagt er und lächelt, weil das ein bisschen hilflos klingt. "Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, wäre dann Vizekanzlerin." Am Wahlstand, über dem ein großer grüner Sonnenschirm aufgespannt ist, liegen grüne Broschüren, Heftchen und Zeitungen, die auf Verteilu
ilung warten. Wahlgekämpft wird bis zum Schluss. Und obwohl sich viele wie Alexander noch mal ins Zeug legen, haben sie Sorge, dass es am Ende für Rot-Grün nicht reichen wird. Sie befürchten eine große Koalition und damit die Verbannung in die Opposition. Nicht nur zwischen den beiden großen, SPD und Union, ist es in diesen Tagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Alle im Bundestag sitzenden Parteien bangen und hoffen.Dabei ist der Wahlkampf schon fast vorbei, die Schlacht um die Macht in Berlin ist so gut wie entschieden. Zumindest können die Parteistrategen und Wahlkampfplaner jetzt nichts mehr tun, zwei Tage vor der Abstimmung. Zum Glück. Denn die Wähler sind der Stimmungsmache leid. Und das besonders in den letzten zwei Wochen des Bundestagswahlkampfes, wo eine heftige Zweitstimmenkampagne vor allem der Mehrheitsbeschaffer zu beobachten war, von Bündnis 90/Die Grünen, der FDP und der PDS. Am kommenden Wahltag dürften immer noch mindestens ein Viertel der Wähler, die in die Stimmkabinen gehen, bis zum Moment des Kreuzchenmachens unentschieden sein. Dabei gaben sich die Parteien doch alle Mühe, das Stimmvieh, sorry, die Wahlberechtigten auf ihre Seite zu ziehen.In der letzten Woche des Bundestagswahlkampfes griffen noch einmal vor allem zwei Parteien tief in die Mottenkiste der Wählermobilisierung. Auch aus Panik. So zum Beispiel die Christenparteien des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber, die wieder Mal mit Ressentiments gegen Ausländer Stimmen gewinnen wollen. Der Burschenschaftler und CDU-Ministerpräsident in Hessen, Roland Koch, drängte Merkel und Stoiber in dieser Woche, die Angst-vor-Fremden-Karte zu spielen. Und die zogen mit. Wenige Tage vor der Wahl würgt Stoiber die Kreide raus und spricht wieder mit klarer, bayerischer Bierzelt- und Stammtischstimme. Schon in der Bundestagsdebatte am vergangenen Freitag forderte er die Ausweisung von Ausländern allein schon bei "Verdacht einer möglichen terroristischen Aktion". Zuwanderung und Arbeitsmarkt bewege die Menschen in Deutschland, sekundiert die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. "Es besteht ein Zusammenhang zwischen Zuwanderung und internationalem Terrorismus", sagt das ewige niedersächsische Unions-Nachwuchstalent Christian Wulff. Aber so kurz vor der Wahl dürfte der Rechtsaußenkurs nach Vorbildern wie der "Inder statt Kinder"-Kampagne (in Nordrhein-Westfalen) und der "Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft"-Unterschriftenaktion (in Hessen) die Wahlkämpfer nicht mehr zum sicheren Sieg führen. Zumindest hoffen dies Sozialdemokraten und Grüne.Es kommt halt mal wieder vielmehr auf die Kleinen an, auf die Mehrheitsbeschaffer FDP, Grüne und PDS. Sie haben im Schlussspurt des Wahlkampfes eine Zweitstimmenkampagne angeleiert, bei der vor allem ein Wort im Mittelpunkt des Propagandavokabulars stand: Verhindern. FDP-Chef Guido Westerwelle tönt, er wolle überhaupt eine erneute Regierungszeit von Rot-Grün verhindern. Grüne und PDS wollen Stoiber verhindern. Die Union jedoch will eine Beteiligung der PDS an der Macht mit Rot-Grün verhindern.Aber der Reihe nach. Guido Westerwelle, Chef und Kanzlerkandidat der 18-Prozent-Projekt-Partei FDP, hatte vergangenen Samstag in Halle seine politische Erleuchtung. Die 18 Prozent seien zwar nicht mehr zu erreichen, sah er ein, aber wenigstens könne man stärker werden als die Grünen, die derzeitigen Teilhaber an der Macht. Also rief Guidomobilfahrer Westerwelle die Wähler aus dem bürgerlichen Lager der Christenparteien auf, mit dem zweiten Votum für die Freien Demokraten zu stimmen. Der letzte Rettungsanker für das bürgerliche Lager seien die Freidemokraten. Wenigstens zum Teil erreiche man aber mit ihnen einen Politikwechsel, denn an den Sieg der CDU/CSU mag kaum einer noch glauben, sagt der FDP-Chef. Ausgerechnet dem scheinbar natürlichen Koalitionspartner will der FDP-Vorsitzende Westerwelle Prozente abnehmen, um eigene Reformvorstellungen durchzusetzen. Und weil sich Westerwelle alle Optionen offen lässt, sandte er Signale aus an die Rechten mit der Ankündigung, das Zuwanderungsgesetz nochmals überarbeiten zu wollen. Noch vor einigen Wochen hieß es, das Gesetz, dem im Bundesrat ja auch die FDP zugestimmt hatte, sei mit den Freidemokraten nicht zu verändern. Nun aber doch. Regierungsteilhabe um jeden Preis ist die Devise der ehemaligen Dreipünktchenpartei. Die PDS dagegen bleibt bei der eingeschlagenen Linie und wirbt für sich mit dem Slogan "PDS wählen - Stoiber verhindern". Aber woher sollen die Stimmen für die Verhinderungsmacht kommen, fragt man sich. Klar, die drei Direktmandate seien zu schaffen, versichert die Parteichefin Gabi Zimmer. Die Fünf-Prozent-Hürde allerdings scheint zu hoch als dass die Sozialisten leichthin darüber springen könnten. Vor allem aber von der grünen und der sozialdemokratischen Klientel sollen die nötigen Voten kommen. Seitdem sich aber die Wahlumfragen zugunsten der Regierungskoalition gedreht haben, warnen nun vor allem die Grünen davor, PDS zu wählen. "Wer PDS wählt, macht die große Koalition möglich", sagt der Grünen-Parteivorstand Fritz Kuhn. Die Sozialdemokraten mit dem obersten Wahlkämpfer Generalsekretär Franz Müntefering an ihrer Spitze zählen auf Abwanderungen aus dem PDS aber auch aus dem grünen Lager. Kampa-Chef Mathias Machnig gab die Parole aus: "Wer Stoiber nicht als Bundeskanzler will, der muss sozialdemokratisch wählen." Mit dem Thema Irak-Krieg schielte Gerhard Schröder, den die Flutwelle nach oben spülte, auf das linke politische Spektrum. Strategisch verhält sich die SPD frei nach der Devise: Wir kämpfen für Rot-Grün, aber wir schenken auch dem Koalitionspartner keine Stimme. Dabei gab es vom kleinen Partner Erststimmenempfehlungen für die SPD in einzelnen bayerischen wie baden-württembergischen Wahlkreisen. Alexander wird am Samstag vor dem Charlottenburger Rathaus noch mal kämpfen für eine Fortsetzung der Regierung. Und noch oft mit Passanten diskutieren. Auch bei seiner Devise fehlt das Codewort nicht: "Stoiber als Kanzler und Merkel als Vizekanzlerin verhindern."