Verlust

Erinnerungsarbeiter Eine Erinnerung an den griechischen Schriftsteller Aris Fakinos

Bei allem, was in der Welt heute vor sich geht, steht außer Zweifel, dass die Macht alsbald eine andere Art von Revolutionären verfolgen und beseitigen wird, nicht mehr diejenigen, die für eine andere, bessere Zukunft streiten, sondern diejenigen, die sich darauf versteifen, die Vergangenheit zu nennen und von ihr Bericht zu geben, die Erzähler, die auf der Flucht vor Verfolgung bei Tag über Berge und durch Einöden irren und nur bei Nacht die Städte und Dörfer betreten werden, um vor gut verriegelten Türen und fest geschlossenen Fensterläden die Geschichten von den nurmehr verbotenen Zeiten zu flüstern."

Nichts könnte das, was den griechischen Schriftsteller Aris Fakinos ein Schreiberleben lang an- und umgetrieben hat, besser zusammenfassen als dieser Satz aus seinem 1995 in französischer Übersetzung erschienenen Roman Das gestohlene Leben. Trauer angesichts des Versickerns so vieler nicht erzählter Vergangenheiten bestimmt ebenso den Ton von Fakinos´ Büchern wie Erbitterung über die herrschende Zivilisation, die Gedächtnisverlust noch nach Kräften befördert. Bericht von den verlorenen Zeiten ist einer der ersten Romane des 1935 in Maroussi geborenen, als Musikologe ausgebildeten Autors überschrieben, der 1967 vor der Obristendiktatur ins französische Exil floh. In Fakinos´ 1992 in Athen und Paris erschienenem Roman Die Zitadelle der Erinnerung werden als Retter des kollektiven Gedächtnisses schreibkundige Mönche gewürdigt, die in ihrem abgelegenen Bergkloster unersetzbare Aufzeichnungen vom Kampf der Griechen gegen die Armeen des Osmanischen Reichs anfertigten.

Fakinos´ Befürchtungen sind im Jahr 1989 von der Realität noch übertroffen worden. Auf Beschluss der Athener Regierung wurden damals alle zwischen 1936 und 1980 von verschiedenen Diktaturen angelegten Polizei- und Geheimdienstakten verbrannt, zum Zweck der inneren Befriedung der Gesellschaft, wie es hieß. Fakinos und andere griechische Intellektuelle protestierten wütend gegen diesen Akt der Erinnerungsvernichtung und appellierten an Kollegen aus anderen europäischen Ländern, ihrerseits gegen diese Barbarei zu protestieren. Doch außerhalb Griechenlands wurde die Athener Aktenvernichtung so wenig zur Kenntnis genommen, wie dort ein Bewusstsein von den ungeheuren Opfern vorhanden ist, die die Griechen erst im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen die italienische und dann die noch viel grausamere deutsche Besatzung und nach 1945 in einem Bürgerkrieg bringen mussten, der die griechische Antwort auf die aufgezwungene Aufteilung Europas durch die Großmächte war.

Bis zu seinem unerwarteten Tod in einem Pariser Krankenhaus im Mai 1998 wurde Fakinos nicht müde, in wechselnden Formen von dieser griechischen und zugleich europäischen Geschichte zu erzählen, die dem übrigen Europa allerdings ziemlich gleichgültig ist. Die Bücher des in Griechenland nicht nur seiner Romane, sondern auch seiner politischen Interventionen wegen geschätzten und populären Aris Fakinos sind bisher nur in die Sprache seines Exillands Frankreich übersetzt worden. In Deutschland, dem Täterland, das Griechenland einst vier Jahre lang wie kaum ein anderes überfallenes Land barbarisch terrorisierte, ist der gegen Vergessen und Verleugnen anschreibende Fakinos, was Wunder, ein Unbekannter geblieben.

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