Es ist überraschend, wie schnell man sich an Umstände gewöhnt, die anfangs ärgerlich erscheinen. Seit zwei Wochen nun durchsucht die New Yorker Polizei per Zufallsprinzip die Taschen und Rucksäcke der U-Bahn-Fahrgäste, patrouilliert die langen unterirdischen Gänge auf und ab und hat an einigen Stationen kleine Tische aufgebaut, auf denen sie die Tornister, Reisetaschen oder Aktenkoffer durchwühlt. Als ich anfangs an den Kontrollen vorbeiging, hielt ich meine Tasche noch fest unterm Arm und hatte ein kleines Wutgefühl im Bauch, jene automatische Trotzreaktion, die einsetzt, wenn übergeordnete Personen auf etwas suspekte Weise ihre Macht ausüben.
Man muss hinzufügen, dass ich eine spezielle Beziehung zu meiner Tasche pflege. Sie ist
. Sie ist wie ein kleiner Alltagsfetisch für mich, den ich seit drei Jahren bei mir trage, mit kurzen Riemen unter die Schulter geklemmt, sieht sie aus wie ein großer Strandbeutel aus den fünfziger Jahren. Eine bekannte australische Designerin hat dafür Retro-Zeltplanen mit orange, hellbraunen und beigefarbenen Streifen sehr elegant zusammengeschnitten. Zudem bietet sie genug Platz für einen überquellenden Taschenkalender, Zigaretten, alte U-Bahntickets, eine Reihe von Vanity Fair Ausgaben, die ein oder zwei Bücher, die ich im Moment lese, Kassenbons, jede Menge Streichholzheftchen und viel Kleingeld. Dass ich notorisch unordentlich alles in ihr aufhebe, ist der eigentliche Grund, warum mir offizielle Taschenkontrollen so unangenehm sind. Könnte doch jeder sehen, wie schlampig ich bin.Spätestens seit den Terroranschlägen in London hat jeder hier in New York seine kleinen Rituale für die Subway. Viele steigen früher aus der U-Bahn und warten auf den nächsten Zug, falls ihnen etwas verdächtig vorkommt. Ein voller schwarzer Müllsack, der unbeaufsichtigt in einer Station steht, verursacht einen beachtlichen menschenfreien Radius um sich herum. Natürlich weiß man, dass es sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Müllsack handelt, der bald vom Bahnhofspersonal beseitigt wird. Aber es bleibt diese klitzekleine Ungewissheit, die einen veranlasst, ein paar Meter entfernt auf den Zug zu warten. Eine Freundin, die im Brooklyner Park Slope wohnt, aber in Manhattans Downtown als Anwältin arbeitet, übernachtet neuerdings regelmäßig bei ihrem Lebensgefährten, um zu Fuß zum Gerichtshof gehen zu können. Ich lege meine täglichen Termine wenn möglich so, dass ich nicht vor halb neun in die U-Bahn muss.Dabei ist die einhundert Jahre alte Subway New Yorks, die MTA, ohnehin eine wunde Stelle im städtischen Bewusstsein. In vielen Stationen fallen die Fliesen reihenweise von den Wänden und jeden Monat springt irgendwo eine Sicherung raus, was dann den Nahverkehr für Stunden lahm legt. Bei starken Regenfällen werden die U-Bahnschächte derart überflutet, dass die altertümlichen Pumpen nicht mit dem Wasseransturm zurechtkommen. Umleitungen werden auf Flyern bekannt gegeben, die wie aus dem Nichts auftauchen, so dilettantisch, dass man sich weder auf die Verspätung vorbereiten kann, noch nach jahrelangem Training versteht, welche Ausweichroute man nehmen müsste. Die Ticketpreise steigen beständig, repariert aber wird nur das Allernötigste. Wenn man sich in der Subway schon vorher etwas unwohl gefühlt hat, so ist das Unwohlsein erheblich gestiegen, seitdem viele Plakate und Lautsprecherdurchsagen an die Terrorgefahr erinnern. Alleinstehende Gepäckstücke müssen dem Bahnhofspersonal angezeigt werden, damit sie beseitigt oder notfalls gesprengt werden können.In der letzten Zeit machen zudem verstärkt Sicherheitstipps die Runde, die dabei helfen sollen, Selbstmordattentäter zu erkennen. Zunächst einmal seien lange Mäntel und große Rucksäcke suspekt. Aber in New York wimmelt es von Touristen, die Backpacks mit sich tragen, und im Juli und August wird es so extrem heiß, dass selbst Terroristen bessere Methoden finden dürften, als ihre Sprengstoffgürtel unter einem dicken Wintermantel zu verstecken. Mein Lieblingsgerücht ist, dass man alarmiert sein soll, wenn der Geruch von Rosenwasser in der Luft liegt. Islamistische Märtyrer, so die offizielle Bekanntmachung des Sekretariats für Homeland Security, würden sich nämlich rituellen Waschungen unterziehen und sich mit Rosenwasser besprühen, bevor sie für Allah in den Tod gehen. Aber wie so oft beim amerikanischen Anti-Terrorkampf ist es schwierig zu unterscheiden, ob es sich um Fakt oder Fiktion handelt. Zu viele Geschichten von 40 im Paradies wartenden Jungfrauen wurden schon in Fernsehnachrichten und auf Meinungsseiten präsentiert, als seien sie der Weisheit letzter Schluss.Die Anschläge auf den Nahverkehr in Madrid und London und die auf das World Trade Center fanden alle in den Morgenstunden statt, um acht Uhr herum, als die meisten Stadtbewohner schon an ihrem Arbeitsplatz oder noch auf dem Weg dorthin waren. Das ist ein Detail, das sich unauslöschlich in den Kopf gebrannt hat, wenn man in New York wohnt. Auch wenn jener 11. September mit seinen niederstürzenden Zwillings-Türmen nun schon bald vier Jahre her ist, wirkt die terroristische Bedrohung real. Realer als anderswo. Wenn Terroranschläge im Rest der Welt stattfinden, so erschöpft sich die emotionale Reaktion hier nicht in Mitgefühl und der oftmals uneingestandenen Erleichterung darüber, dass man verschont geblieben ist. In New York weiß man nicht nur, dass das Bush-Amerika die größte Zielscheibe der muslimischen Extremisten ist, es kommen auch die Erinnerungen an die Anschläge von vor vier Jahren wieder hoch. Man denkt daran, wie es war, morgens von einem großen Knall aufzuwachen, einer Explosion, die Wände erschütterte und die Luft für Wochen mit Gebäudepartikeln und unglaublichem Gestank erfüllte. Das ständige Angstgefühl, mit dem man leben muss, kann im Verborgenen an einem nagen und ganz plötzlich in der U-Bahn aufbrechen.Natürlich versichert man sich in Gesprächen oft der eigenen Gelassenheit gegenüber der ganzen Terrorangelegenheit. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der vor sich hinrottenden U-Bahnhöfe über einem zusammenbricht sei doch größer als die, Opfer eines Anschlags zu werden. Doch das sind rhetorische Figuren. Man muss die MTA benutzen, man hat keine andere Wahl. Die kollektiven Augen jedoch legen sich länger auf einen jungen Muslim, der mit einer arabischen Zeitung in der Hand den U-Bahnwagen betritt. Als letzte Woche in einem Zug der F-Linie, die Manhattans sechste Avenue mit Brooklyns Downtown verbindet, zwei schwitzende, dunkelhäutige Männer mit Bärten saßen, die verdammt an Osama bin Laden erinnerten, wurde es ein bisschen stiller im Waggon. Ich stand neben ihnen und überlegte, ob ich den Wagen wechseln sollte. Als die beiden nach zwei Stationen ausstiegen, war ich erleichtert, und schämte mich gleichzeitig ein bisschen für meine Panik. Für uns westliche Linksliberale ist Toleranz ein fester Bestandteil unseres Selbstbildes, doch das wird durch solche Episoden erheblich erschüttert. Wir bemerken, wie schnell sich diskriminatorische Wahrnehmungsmuster ins Gehirn brennen. Der internationale Terrorismus wird in einem New Yorker U-Bahn-Wagen schnell zum vertrauten Gefühl, zum eigenen, ganz privaten Terror.Vor diesem Hintergrund wundert es nur wenig, dass die polizeilichen Taschendurchsuchungen und die Einschränkung des Rechts auf Privatheit, die sie darstellen, nur vereinzelte Proteste hervorrufen. Im Vergleich zu den schaurigen Gesetzgebungen des Patriot Act, der gerade vom Abgeordnetenhaus auf unbestimmte Zeit erneuert wurde, ist diese Einschränkung tatsächlich auch kaum der Rede wert. Für ein paar Tage drohte die linke Civil Liberties Union mit einer Klage. Aber selbst das scheint inzwischen unwahrscheinlich. Von rechter Seite wurde kritisiert, dass die Polizisten dazu angehalten sind, bei ihren Kontrollen nicht nach ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit vorzugehen, das heißt, nicht nur arabische oder südasiatische junge Männer zum Screening heranzuwinken. Auch diese Kritik ist glücklicher Weise folgenlos verhallt. Die bisherigen Kontrollen gingen alle recht ereignislos vonstatten. Ein bisschen Privatheit gegen ein bisschen mehr Sicherheit zu tauschen, scheint kein schlechter Deal. Auch wenn die Sicherheit so groß nicht ist. Die Polizei sucht nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen und die Maßnahmen zielen eher darauf, das Gefühl hervorzurufen, dass etwas unternommen wird, als wirklich etwas zu bewirken. Das ist sehr amerikanisch, aber viele New Yorker fühlen sich damit tatsächlich ein bisschen besser.Was meine orange gestreifte Tasche betrifft, so bin ich inzwischen gewappnet. Ich habe sie endlich einmal aufgeräumt, die alten Zeitschriften und Kassenbons entfernt und das viele Kleingeld in Rollen gepackt und zur Bank gebracht. Das war sowieso mal an der Zeit. Auch die Polizisten sehen jetzt plötzlich nicht mehr so nervig aus wie noch zu Beginn der Kontrollen vor zwei Wochen. Ich habe mich so an die blauen Uniformen gewöhnt, dass ich mich neulich sogar dabei erwischte, einem Polizisten zuzulächeln, als dieser mir auf ganz sympathische Weise zunickte.
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