Mehr als 50 Jahre, nachdem die Europäische Union sich zum Grundsatz der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern bekannt hat, liegen die durchschnittlichen Stundenlöhne von Frauen in Deutschland immer noch 23 Prozent unter denen der Männer. Obwohl Frauen immer besser qualifiziert und zunehmend erwerbstätig sind, gelingt es nicht, den Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern, den sogenannten Gender Pay Gap zu verringern. Die Zahlen stagnieren seit Jahrzehnten. Im europäischen Vergleich liegt der Gender Pay Gap zwischen 3,2 und 25,9 Prozent. In vier von fünf EU-Ländern ist der Gender Pay Gap niedriger als in Deutschland. Es geht also schon. Warum aber nicht in Deutschland?
Eine Erklärung ist mittlerweile parat. Eine frauenspezifisch
le parat. Eine frauenspezifische Berufswahl, die in schlechter bezahlten Stellen mündet, Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kindern oder Pflege von Angehörigen, Teilzeit oder geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sowie eine geringere Bereitschaft zur Übernahme von Führungspositionen werden häufig als Begründungsbündel für die niedrigeren Gehälter angeführt. Stimmt diese These, dann müssten im Umkehrschluss Frauen mit der gleichen Ausbildung in vergleichbaren Positionen ohne Erwerbsunterbrechungen, Teilzeit und frauenspezifische Berufswahl die gleichen Gehälter erwarten können wie Männer.Kein Mut oder keine Quote?Wissenschaftlerinnen der Hochschule Pforzheim, die dieser Frage nachgingen und die Einstiegsgehälter von Uni-Absolventinnen und Absolventen über zehn Jahre hinweg betrachteten, kamen zu einem anderen Schluss: Einheitlich über alle Studiengänge hinweg verzeichneten die Männer deutlich höhere durchschnittliche Einstiegsgehälter als die Frauen, obwohl die Frauen die besseren Noten hatten. Im Durchschnitt ergab sich ein Unterschied von acht Prozent. Damit verdienen die Absolventinnen, nur weil sie eine Frau sind, schon im ersten Jahr ihrer Berufstätigkeit – vor jeder Elternzeit oder Aufstiegschance – jeden Monat 250 Euro weniger als die Männer.Die öffentliche Debatte bietet derzeit zwei unterschiedliche Antworten auf die Frage, wie es dazu kommen kann.Erstens: Die Frauen sind selbst schuld an ihrer Situation. Sie sind zu feige und haben sich in die Komfortzone zurückgezogen. So ähnlich formuliert es aktuell die Ex-taz-Chefredakteurin Bascha Mika, doch nicht nur sie allein. Die Lösung lautet folgerichtig: Die Frauen müssen sich selbst helfen.Zweitens: Die Frauen werden diskriminiert. Die Netzwerke der Männer hindern sie am beruflichen Aufstieg. Dies wäre – abgesetzt von Mika – der feministische Traditionsansatz. Lösung: die Quotenregelung.Wahrscheinlich aber bringt weder das eine noch das andere die Frauen weiter. Junge Frauen haben es geschafft, sich die Gleichstellung an Schulen und Hochschulen zu erobern. Dort können sie mittlerweile mit ihren männlichen Gleichaltrigen bestens konkurrieren. Deshalb haben sie auch nahezu gar kein Bewusstsein dafür, dass es irgendwann anders sein könnte.Ohne Burn-Out kein ErfolgDie Situation ändert sich schlagartig, wenn sie ins Berufsleben eintreten. Dort herrschen nämlich noch andere – von Männern geprägte – Normen vor. Karriere und Erfolg werden an Äußerlichkeiten festgemacht, für die Frauen jedoch meistens nicht viel übrig haben. Ein Manager, der sich nicht selbst ausbeutet und kurz vor dem Burn-Out steht, kann nicht erfolgreich sein. Auszeiten („ich bin dann mal in Elternzeit“) und Teilzeitarbeit („ich hol dann mal meinen Sohn vom Klavierunterricht ab“) sind tabu. Die Frage lautet für viele Frauen nicht, wie sie das auch schaffen, sondern: Warum sollen sie das schaffen wollen? Was aber sollen Frauen demnach mit einer Quotenregelung für unattraktive Arbeitsmodelle? Eine Teilzeitstelle, bei der sich frau einen individuellen Aufgaben-Mix zusammenstellen kann, erscheint da mancher Frau viel attraktiver. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) hat das vielleicht erkannt. Es könnte auch ein Grund sein, warum sie die Quote ablehnt. Sie ist wiederum nicht die einzige, die für Wahlfreiheit zwischen unterschiedlichen Lebens- und Partnerschaftskonzepten plädiert.Es ist eben kein Rückschritt zu postulieren: Die Mehrzahl der Frauen wollen nicht die gleichen Karriere-Wege wie die Männer einschlagen. Sie wollen ihren eigenen Weg finden. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dabei vielen Frauen wichtig. Damit aber werden sie weitgehend allein gelassen. Die Versorgung mit Kinderbetreuung und Ganztagesschulen ist in Deutschland nach wie vor katastrophal. Finanziell können sich Ganztagesbetreuung übrigens fast nur Familien mit einem Kind oder sozial Bedürftige leisten, weil letzteren die Beiträge erstattet werden. Ein Arbeitgeber, der die Kinderbetreuungsbeiträge übernimmt, darf das steuerfrei nur bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes. Und dann? Hier ist für Ministerin Schröder noch viel zu tun.Verhandeln lernenTrotz eigenständiger Lebensmodelle bleiben die Leistungen der Frauen dort, wo sie mit Männern konkurrieren, in keiner Weise hinter denen der Männer zurück – sie schaffen es nur nicht, sie auch so gut zu verkaufen. Es ist aber nicht einzusehen, warum sie für die gleiche Leistung schlechter bezahlt werden sollen. Eine Möglichkeit, die schlechtere Bezahlung von Frauen zu vermeiden, ist, sie auf Gehaltsverhandlungen besser vorzubereiten.Dass dies etwas helfen könnte, darauf deuten die Ergebnisse einer Folgestudie hin, die aktuell an der Hochschule Pforzheim ausgewertet und demnächst veröffentlicht wird. Wenn Frauen in die Lage versetzt werden, in der Verhandlung von Gehältern oder Gehaltserhöhungen ihren Standpunkt besser zu vertreten, dann besteht die Chance, dass sich der Gender Pay Gap mit der Zeit verkleinert. Die jungen Frauen an den Schulen und Hochschulen müssen lernen, ihre Interessen – beruflich und privat – auch in Verhandlungssituationen und bei viel Gegenwind durchzusetzen. Da hat Mika wieder Recht. Sie brauchen aber auch die Freiheit, ihre eigenen Lebenskonzepte umsetzen, ohne dass ihnen Feigheit oder Egoismus vorgeworfen wird. Denn mancher Mann beneidet die Frauen auch um diese Art der Freiheit.