Sauberkeit ist aller Laster Anfang. Warum? Weil Sauberkeit ohne Wasser nicht zu machen ist. Doch obwohl Sauberkeit auf das Wasser angewiesen ist, schließt sie es aus. Denn Sauberkeit setzt Grenzen, das Wasser nicht. Das Wasser löst jede Grenze fließend, strömend, brausend, murmelnd, glucksend, spritzend, siedend, schäumend, kochend, springend, zischend, gischtend, wallend, wälzend, wogend, steigend, fallend, stürzend, gurgelnd, brodelnd auf (*). Ob in einer Pfütze, Lache, in einem See oder Meer: Jede Grenze zerrinnt. Wem jemals die Waschmaschine die Wohnung überschwemmte, der weiß, welche Naturkatastrophe sich in der Kulturleistung der Sauberkeit verbirgt. Sauberkeit ist also mit dem befasst, was weder zu fassen ist noch angefasst werden da
Waschen Sie mit dem Maule!
METAPHYSISCHER, PHYSISCHER UND HISTORISCHER WASCHGANG Ein Exkurs zur Kulturleistung der Sauberkeit in staatsbürgerlicher Absicht
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darf: Das Wasser. Sauberkeit hält zu etwas an, was sie nicht einhalten kann, was ihr durch die Finger glitscht: Das Wasser. Wo immer es auftaucht, es wird kanalisiert und reguliert. Wo immer es überschwappt, es wird aufgetrocknet. Mit jedem Wischlappen übertritt die Sauberkeit ihr eigenes Berührungsverbot. Sie ist aller Laster Anfang. Wer oder Was behauptet, sauber zu sein, der oder das kommt ohne faulen Zauber nicht aus.Zauber zieht an, was er abwehrt. Er entschmutzt, indem sich das, was putzt, verschmutzt: Das Wasser. Sauber und faul zugleich, schwankt es doppeldeutig, ohne dass sein Zauber zu vereindeutigen ist. Gegen seine Ambivalenz gibt unsere Kultur zwei Wege vor, mit dem Ziel, dass eindeutig nur einer davon betreten wird: Jener, der geradewegs und trockenen Fußes zur Sauberkeit führt. Wer schlüpfrigen Fußes den anderen betritt, rutscht ab, endet im Sumpf. Die Richtung beider Wege bestimmt das System der Sauberkeit, das ein Entweder-Oder polarisiert: Entweder Tod, der unrein, oder Auferstehung, die engelrein ist. Doch da, wo die Entscheidung für das eine oder andere Ende von Anfang an zu fallen hat, da schwankt die Doppeldeutigkeit, da muss jeder, ob er stinkend vor Dreck oder blitzsauber sein will, durch den Schmutz und das Wasser hindurch. Sie ergeben, vermischt, einen Morast, der sich von der Moral zwar durch seine Endung, aber nicht durch seinen Anfang unterscheidet. Das System der Sauberkeit ist darum das einer permanenten Krise, da weder Moral und Morast noch Entschmutzung und Beschmutzung zu trennen sind.Jeder Waschgang vermischt aufs neue, was ihm, entmischt, vorausgesetzt ist. Trockenes wird nass, Festes weich, beides verknäult sich zum Klumpen, in dessen Verwicklung jede, von der Ungestalt zur Gestalt führende Entwicklung rückläufig wird. Zwar gilt dies nur vorläufig, nur während des Waschgangs und seiner maschinellen Progression, die diese stoffliche Regression steuert, aber kein Waschprogramm kann die Garantie dafür übernehmen, dass die im Innern der Waschmaschine eingedämmte Krise nicht außerhalb derselben, uneingedämmt, eskaliert - beispielsweise hier auf diesem Platz: Stellen Sie sich vor, Sie würden jetzt nicht nur bis aufs Hemd, sondern ganz ausgezogen. Sie würden, nackt und bloß, anstelle Ihrer Wäsche, gründlich eingeseift, vollkommen ausgelaugt und langsam, während Sie rotieren, zum Kochen gebracht, x-mal herumgeschleudert, bis zum letzten Tropfen ausgewrungen, dann auseinandergezerrt, einzeln aufgehängt und schließlich durch die Mangel gedreht - wie würden Sie reagieren? Sie würden selbstverständlich revoltieren! Damit ist bestätigt, dass kein Waschprogramm eine Krise verhindern kann, aber auch, dass Sie im Fortschritt seines Waschgangs ein nicht tolerierbarer Rückschritt sind.Stoffliche Regression und maschinelle Progression entsprechen den zwei Wegen, von denen nur einer gültig ist, da unsere Kultur auf eine alternativlose Sauberkeit zielt, die den Schmutz, wie der Geist den Körper, transzendiert. Jeder physische Waschgang ist als metaphysischer Waschzwang organisiert, jeder Aufstieg vom Morast zur Moral ist eine Säuberung als Läuterung, die sich gewaschen hat. Denn der ideelle, in ihrer materiellen Kosten-Nutzen-Rechnung enthaltene Preis für Sauberkeit - der Preis: mens sana in corpore sano - wird nicht erst in der Moderne ausgeschrieben. Schon die Antike stellt dem gesunden Geist im gesunden Körper einen Waschzettel seines Denkens aus, dessen Kurzfassung nicht mehr, aber auch nicht weniger, als die Kalkulation von Gesellschaft über Wert und Unwert einschließt. Platon in der Politeia: »Wer siech am Körper ist, den sollen die Ärzte sterben lassen, wer an der Seele mißraten und unheilbar ist, den sollen sie sogar töten«. Sauberkeit, Gesundheit, Ordnung, Vernunft sind das Gebot, das dem Verbot von Schmutz, Krankheit, Chaos, Wahnsinn, einerseits mit Belohnung, andererseits mit Bestrafung versehen, durch unsere Geschichte hindurch gegenübersteht.Das Licht der Vernunft bekämpft die Finsternis des Wahnsinns, die Klarheit der Ordnung das Dunkel des Chaos, die Reinheit der Gesundheit die Trübsal der Krankheit im Namen eines mit Erbsünde befleckten Körpers, dem das Geschlecht näher als der Kopf ist. In dem Maß, wie sich die Sünde dieses biblischen Erbes in der Moderne zur Erbbiologie transformiert, in dem Maß wird das Sterben-lassen mit einem Leben-machen kombiniert, das aus seinem Unternehmen einer strahlend weißen Rasse heute die geschichtsbereinigenden Konsequenzen einer Genetik zieht, die, angesichts dieser Bioschuld, ihre Hände in DNS-Unschuld wäscht. Dabei verspricht sie jedem einen Klon seiner selbst, der frei von diesem Erbe ist. Und sollten die Effekte seiner geschichtslosen Moleküle dennoch defekte sein: Stecken Sie ihn in die Waschmaschine, die in Deutschland, symptomatischerweise, ihren Siegeszug erst nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg antritt, obwohl sie schon vor dem Ersten Weltkrieg erfunden wird. Nutzen Sie den Geschichts- als Waschgang! Drücken Sie die Spartaste! Denn heute realisiert sich der Traum vom neuen Menschen jenseits des Alptraums von Arterhaltung und Entartung, von positiver und negativer Eugenik, ohne stoffliche Regression und konform zur maschinellen Progression, weil dieser neue Mensch ein Klon des alten ist.Entspränge er einer Waschtrommel, als sei sie ein Uterus, dann wäre dies in der Tat nicht verwunderlich. Denn Waschtrommel und Uterus, die einerseits für die Erneuerung der Wäsche, andererseits für die Neugeburt eines Leibs zuständig sind, können, bezogen auf die weibliche Reproduktionsfunktion, miteinander vertauscht werden. Es ist also kein geschichtlicher Zufall, dass die Technologisierung der Großen Wäsche bis hin zu ihrer Vollautomation, mit der Technologisierung der Lebensentstehung bis hin zu ihrer Klonierung zusammenfällt. Beides gilt als Inbegriff der »Befreiung« der Frau, die dort darin besteht, dass sie die Wäsche in die Waschtrommel geben kann, hier darin, dass die Lebensentstehung aus ihr herausgenommen ist. Das heißt, die Frau hat während der eventuellen Säuberung ihres genkontrollierten Embryos durch Gentherapie ebenso frei wie während der Säuberung ihrer Wäsche: Sie hat sozusagen keimfrei, da ihre Neugeburt eines Leibs ebenso wie ihre Erneuerung der Wäsche technisch ersetzt und besetzt werden, wobei die maschinelle Progression, die eine stoffliche Regression von Leib und Wäsche verhindern soll, mit der Erfindung der Waschmaschine beginnt.Ihr elektrisch betriebener Start, die selbsttätige Waschtrommel, tabuisiert das, was die Große Wäsche enttabuisiert. Denn bei ihrer Erneuerung der Wäsche hebt sie das durch die Sauberkeit verhängte Berührungsverbot auf, was ebenso bei einer Neugeburt zutrifft. Beides ist mit dem Zauber von Entschmutzung und Beschmutzung verbunden. Beides bringt das ans Licht der Welt, was im Trüben, Dunkeln, Finstern verborgen ist. Doch im Unterschied zur Unschuld des Neugeborenen offenbart die Große Wäsche die Schuld der Spuren, Flecken und Besudelungen im Stoff, als sei es der Stoff des Leibs. Sagen wir es klar, die Große Wäsche ist ein Skandal! Sie entgrenzt im doppeldeutig schwankenden Wasser den grenzenlos sich verflüssigenden Schmutz. Sie zerrt, außerhalb der Szene des Sauberen und Trockenen, auf dem Waschplatz das, was off-scene, das, was obszön und doch öffentlich ist, an den Tag: Nächtliche Sauereien, die beim Entseuchen sich verseuchende Waschweiber herausschrubben, reiben, rubbeln, walken, stampfen, ihre Titten mit dem Klumpen der Wäsche vermischt, während der Arsch unter hochgeschlagenen Röcken in Entsprechung dazu die Kehrseite zeigt, was sie an Scheiße zu bearbeiten haben. Sagen wir es klar, die Große Wäsche ist die Krise schlechthin! Was da in der Gosse landet, was da an Ekelhaftem, Kriminellem, Gewaltttätigem den Bach runtergeht, was da mit dem Pleuel herausgeschlagen wird, jeder Hieb auf den Dreck ein Klatsch, ein Schall und Wort, was nicht Schall und Rauch ist, sondern ein Gerücht, was richtet, sagen wir es klar: Die Große Wäsche mußte verschwinden!Die Erfindung der Waschmaschine bringt zwar das ungewaschene Maul des Waschweibs zum Schweigen, aber ihr Siegeszug wird von der Organisation der Frauenbewegung begleitet: Doch kaum, dass sie ihr zunehmend gewaschenes Maul aufmacht, wird auch ihr angehängt, dass sie, Schlag um Schlag, die weiße Weste des Patriarchats beschmutzt, dass sie klatscht. Wäre es doch so! Doch den Frauen ist der Pleuel aus der Hand genommen. Auf diesem Platz bürgen 104 weiße Waschmaschinen dafür, dass ihnen das Maul ebenso wie der Muttermund gestopft ist. Mit der Technisierung der Großen Wäsche und derjenigen der Lebensentstehung hat der metaphysische Waschzwang im physischen Waschgang von Wäsche und Leib gesiegt und darüber hinaus: Denn der Sündenpfuhl des Lebens wurde auch sonst ausgehoben. Durch den Genpool, und aus demselben, soll er endgültig bereinigt werden, angesichts der Infektion, die das Leben ist. Es hat gegen sein contagium vivum immun zu werden. Noch immer ist es nicht keimfrei, noch immer steckt es an, noch immer wird es durch Keime, durch Eier und Samen weitergegeben, in denen es von Kleinstlebewesen wimmelt!In Abwässerrohren, Samenkanälen und Eileitern beweisen toxische Spermien und Pseudo-Östrogene, dass die Infektion des Lebens nicht auszurotten ist. Seine Desinfektion steht unter Wiederholungszwang. Eier und Samen werden auf Eis gelegt, der Fallout des Geschlechts wird geoutet. Wie immer es ausscheidet, es verschmutzt, was immer es ausscheidet, es verseucht, wo immer es ausscheidet, es ist deplaziert. Es gehört der sexuellen Vergangenheit des alten, des veralteten Menschen an. Der neue Mensch trennt sich von ihm zugunsten einer asexuellen Gegenwart, die das, was bisher nur im Jenseits zu haben war, das Engelreine geschlechtsloser Auferstehung, ins Diesseits einführt: Der Klon ist der Weg dahin. Schon ist an die Stelle der Mischung des Fleisches die Teilung der Moleküle, an die Stelle des körperlichen Kontakts die körperlose Information, an die Stelle des geschlechtlichen Unwesens das genetische Wesen getreten, das unverweslich ist. Der alte, der veraltete Mensch zählt, eben darum, seine Muttermale allmorgend- und abendlich als Melanome. Sein unreiner Tod kriecht, eben darum, aus allen Ecken und Enden. Die Krankheitspropaganda dringt, eben darum, in Poren, Zellen, Zellkerne, weil sie das, was der Waschzwang negiert, unter Wiederholungszwang produziert.Dreck macht fett: Lassen Sie sich von der Desinfektion nicht infizieren! Sie können nicht vom Vielzeller zum Einzeller werden, der heute als neue Einheit des Subjekts gehandelt wird. Sein neodarwinistisches Paradigma der Unsterblichkeit hat im wilhelminischen Denkmal, das - als Kaiser hoch zu Ross - auf dem Berliner Schlossplatze stund, sein Pendant, aus dessen Perspektive Sie in jedem Fall, auch dann, wenn ein bundesrepublikanisches Denkmal an seine Stelle träte, ein Kleinstlebewesen sind, beispielsweise ein sterblicher Virus, der es nicht einmal zum Einzeller bringt. Weisen Sie Virchow, den kaiserlichen Zeitgenossen, und jene heute zurück, die in der Kontinuität Platons vertreten: »Politik ist weiter nichts, als Medicin im Großen«. Denn sonst müssen Sie dran glauben, dass »das Recht zum Leben endet, wenn die Kraft zum Kampfe um die eigene Gesundheit nicht mehr vorhanden ist«. Politik als Medizin verquickt Recht und Leben, Gesetz und Biologie - heute: Molekularbiologie - unter der Bedingung, dass Sie es sind, die sich zu entsorgen haben, damit Sie sorgeberechtigt sind, was die schiefe Bahn Richtung Vielheit, Vielzeller, Kleinstlebewesen aus-, die gerade Bahn Richtung Einheit, Einzeller, Größtlebewesen einschließt, zu dem Sie jedoch nur auf einem Sockel gehören, sonst sind Sie Gesocks.Identifizieren Sie sich mit keinem Staats- oder Volkskörper aus Zellen oder Genbausteinen! Denn dieser Vergleich impliziert einen mikroskopischen Panoptismus, der sein Röntgen- und Videoauge nächstens auf jedem Platz installiert! Genießen Sie die Schlossfreiheit, die - noch - frei von Schloss und Riegel ist. Die 104 weißen Waschmaschinen bürgen nicht nur für den metaphysischen Waschzwang der Geschichte, sondern auch dafür, dass sie diesen Platz frei gewaschen hat. Denken Sie nicht an ein Denkmal, da jedes Waschweib Ihnen zuschreien wird, dass es ein Schandmal ist. Klatsch! Benutzen Sie den Berliner Schlossplatz als Waschplatz. Waschen Sie hier die schmutzige Wäsche des Tages und der Geschichte in aller Öffentlichkeit. »Waschen Sie mit dem Maule«, wie Luther sagte. Denn Sie haben Zeit, Sie haben frei, während die Maschine rotiert. Doch vergessen Sie am Ende nicht: Sauberkeit ist aller Laster Anfang! Viel Spaß!(*) Vgl. Gerburg Treusch-Dieter, Lebensquelle Wasser - Eine kleine Kulturgeschichte des Flüssigen, in: hg. Dresdner Sezession 89, WasserKUNSTaktionen am Prießnitzbach Dresden-Neustadt 1997 (Katalog)
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