Angela Merkel tut so, als wäre sie in der falschen Partei. In der Kohl-Frage formulierte sie die Lebenslüge der Union, ihre Kritiker stehen für die historisch gewachsene Weisheit der CDU.
Der Altkanzler könne nicht länger das Schlachtross der Partei sein - so erklärte Frau Merkel. Sie hat unverkennbar recht. Doch so etwas sagt man erst, wenn man ein neues Klassepferd im Stall hat. Rühe sollte das werden. Vermasselt ihm die Spenden-Affäre die Wahl in Schleswig-Holstein, hat er seine Zukunft hinter sich, und die CDU bleibt weiter ohne Wundermann. Weil der noch fehlt, kann ein wichtiges Ritual erfolgreicher Parteien zur Zeit nur mühsam exekutiert werden: die Absage an den Mächtigen von gestern.
Die Generalsekretärin verlangt, der Ehrenvorsi
t, der Ehrenvorsitzende solle seine Gönner nennen. Schäuble und das Präsidium der CDU sagen das auch, meinen es aber weniger ernst. Das geht nämlich nicht. Redet Kohl, läuft er Gefahr, dass er von seinen Geldgebern ebenfalls verpfiffen wird. Sie könnten zum Beispiel enthüllen, wie viele Millionen sie ihm tatsächlich - über die von ihm eingestandene Summe hinaus - zugesteckt haben. Auch weitere Empfänger mögen bei einer solchen Gelegenheit sichtbar werden. Ihrem Schutz sollte aber gerade sein erstes - allgemein gehaltenes - Schuldbekenntnis dienen.Erinnern wir uns: Es begann mit dem Verdacht, durch Schmiergelder seien Waffenexporte ermöglicht worden. Im Mittelpunkt dieser Affäre stand der ehemalige Schatzmeister Kiep. Kohl hat erfolgreich von dieser heißen Spur abgelenkt. Nennt er Namen, wird sie vielleicht wieder aktuell.So geht es also nicht. Andererseits wird ein Ausweg gefunden werden müssen - vielleicht dadurch, dass Ersatzleute sich als Spender outen. Die hessische CDU bedient sich zu diesem Zweck der Toten: Erbschaften sollen die Parteikasse gefüllt haben. Der Trick ist auch schon von anderen benutzt worden. Deshalb wird diese Version wohl nicht von allen geglaubt werden.Da Frau Merkel aus dem Osten kommt, ist sie mit der Intimgeschichte der westlichen Union wahrscheinlich nicht genügend vertraut. Wenn sie fordert, die CDU müsse sich von der Vergangenheit verabschieden, meint sie, es dürfe in Zukunft keine schwarzen Kassen mehr geben. Damit wird sie gegen eine Wand laufen. Seit der Gründung der Bundesrepublik ist die Parteienfinanzierung ein ungelöstes Problem. Dass keine Abhilfe möglich ist, zeigt die Folgenlosigkeit der Flick-Affäre, deretwegen immerhin einige Spitzenpolitiker sich Vorstrafen zuzogen.Laut Grundgesetz geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Naivlinge meinen, die Mehrheit ihrer Stimmen forme die Politik. Aber die Finanzierung des Aufwands, den die Parteien für richtig halten, ist auf legalem Wege offenbar nicht möglich. In diese Lücke tritt - hm, nun ja: - das Kapital. Es kauft keine einzelnen politischen Handreichungen, aber es schafft für die Führungen genehmer Parteien ein angenehmes Klima. Wer sich daran gewöhnt hat, achtet darauf, das erlangte Wohlwollen nicht aufs Spiel zu setzen. Wer illegale Parteienfinanzierung abschaffen will, greift die Realverfassung der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung an.Das ist kein Spaß. 1993 verschwand fast über Nacht die italienische Schwesterpartei der CDU. Es hatte mit einem Schmiergeld-Skandal begonnen, der zunächst Craxis Sozialisten hinwegraffte. Als er auf die Democrazia Cristiana übergriff, begannen einige jüngere Funktionäre zu plappern, man müsse mit der Vergangenheit brechen. Das war das Ende. Muss die CDU zweieinhalb Millionen zurückgeben und fünf Millionen Strafe zahlen, braucht sie noch mehr Spender als bisher, legale und illegale. Schäuble, mit Merkels Aufklärungsbegehren konfrontiert, sagt deswegen: Mit so etwas fangen wir lieber gar nicht erst an. Und er meint, wie gerade offenbar wird, nicht nur seine Partei, sondern auch sich selbst und einige seiner Mitstreiter.Was machen die Parteien mit dem vielen Geld? Unter anderem müssen sie sich auf der Höhe der Werbe-Industrie halten. Würde Eichels Sparpolitik für die Parteien stilbildend, könnten sie das eine Nummer kleiner machen. Damit ist nicht zu rechnen, denn die Kolonisierung des Wahlvolks wäre in Frage gestellt.In einem noch von Kohls Bundeskanzleramt 1998 veröffentlichten Buch mit dem Titel Deutsche Einheit wurde vorgeführt, dass die BRD für die Wende im Osten Mil liarden zahlte. Dort galt der Oggersheimer als der Dicke mit dem Geld. Innen- und Parteipolitik ist etwas billiger, in diesem Fall: Millionen für die Union. (Bei der Konkurrenz wird es kaum anders aussehen.) Jetzt soll ein Pate verabschiedet werden, dessen zahlungs- und kassierfreudige Großzügigkeit man sich nicht mehr leisten zu können meint.Es ist aber vor allem Heuchelei. Mit der akkreditierten Käuflichkeit wächst die Ehrpusseligkeit. Kein ländlicher Tischtennisverein der mittleren Klasse kommt ohne örtliche Sponsoren aus, mit deren Hilfe er Spieler einkauft. Universitäten werden angehalten, auf den Basar zu gehen. Politik gilt als gut, wenn sie "wirtschaftsnah" ist. Es soll jedoch alles ordentlich verbucht werden. Das ist im Einzelfall wohl schwer durchzuhalten.Frau Merkel vergisst, dass Vatermord sich nur lohnt, wenn das Vermögen erhalten bleibt. Hierin könnte sie von den Achtund sechzigern lernen. Die verfluchten ihre Nazi-Väter, nahmen Jahrzehnte später aber deren Wertpapiere und Immobilien meist recht gerne an.Oder erinnern wir uns an eine Episode aus dem achtzehnten Jahrhundert. Österreich, Preußen und Russland teilten Polen unter sich auf. Die Kaiserin Maria Theresia dachte an die armen Menschen und brach in Tränen aus. Friedrich der Zweite spottete: "Sie weinte, aber sie nahm".Trauern und Erben fällt zuweilen nicht auf ein und dieselbe Person. Frau Merkel weint, die Union muss weiter nehmen. Sonst könnte sie eines Tages noch nicht einmal mehr ihre Generalsekretärin bezahlen.