A-Z Drogerie Schlecker musste Insolvenz anmelden. Wie es weitergeht, ist offen. Dass eine Drogerie aber mehr ist als nur ein Ort, um Hygieneartikel zu erwerben, zeigt unser Lexikon
Sie war wie ein Code: „Action“?, fragte man die Freundin, wenn sie gut roch. Diese rosa Dose mit schwarzer Schrift gab es nicht überall. Das Deo-Spray der Firma Florena (11,50 Ost-Mark) kam 1985 auf den Markt und war immer schnell vergriffen. Wir aber fanden diese kleine Drogerie unter der Brücke. Und rannten nach der Schule in den Laden, den wir zuvor als Seifenhöhle für Altweiber empfunden hatten. Nun war er für uns wie Chanel, und wir fühlten uns wie Göttinnen der Disco, umweht von beerig-frischem Duft aus dem „VEB Aerosol-Automat Karl-Marx-Stadt“. Es gab auch „Action“-Haarspray, Nagellack und Lippenstift. Was roch wie unser kleiner Westen, ist heute Ostalgie. Action-Spray kann man jetzt in Online-Shops erwerbe
kann man jetzt in Online-Shops erwerben (für 9,50 Euro!), neben Pitti-Platsch-Seife, Putzi-Zahncreme oder NVA-Schokolade. Die Magie von damals ist verflogen. Auch die des Drogerie-Besuchs. In jedem Späti kann man jetzt zwischen zehn Deos auswählen. Maxi LeinkaufChelsea DrugstoreMit Fug und Recht kann der Chelsea Drugstore als berühmteste Drogerie der Welt gelten, auch wenn es das Original nur drei Jahre gab. Das Gebäude wurde 1968 in der Londoner Kings Road als Mischung aus Ladengeschäft und Pub eröffnet. Außen lockte der Shop mit einer damals gewagten Aluminium-Glas-Fassade, die drei Stockwerke im Innern hatten jeden Wochentag 16 Stunden lang geöffnet, was Anwohner auf die Barrikaden brachte. Legendär machten den Drugstore die Rolling Stones, weil sie ihn in „You can’t always get what you want“ (1969) erwähnten. Diese Zeile soll Mick Jagger in einem anderen Drugstore im US-Ort Excelsior gekommen sein: Als seine geliebte Kirsch-Coke nicht gelistet war, tröstete ihn sein Hintermann, Mr. Jimmy: „You can’t always ...“Der Chelsea Drugstore diente zudem als Filmset für Stanley Kubricks Klassiker Clockwork Orange. „Droogs“ ist zufälligerweise der Name der Gang um den Protagonisten Alex. Nach dem erzwungenen Aus für den Chelsea Drugstore eröffneten verschiedene Nachahmer an der Stelle, die aber ein Abklatsch blieben. Mittlerweile ist mit McDonald’s eine Art anderer Drogendealer eingezogen. Tobias PrüwerNachdem im Oktober Kritik am denglischen Schlecker-Slogan „For You. Vor Ort“ laut geworden war, hat ein Schlecker-Sprecher betont, dass der durchschnittliche Schlecker-Kunde über ein „niederes bis mittleres Bildungsniveau“ verfüge. Richtig ist wohl: Bei Schlecker kaufen Stammkunden ein. Am Warenangebot hat sich seit den Achtzigern kaum etwas getan, geradezu museal wirken die spärlich bestückten Regale im Vergleich zu jenen der Konkurrenz.Etwa Rossmann, wo es allerhand Heizdecken-Tand gibt. Wogegen dm vor allem bei jungen Öko-Eltern (➝Wickeltisch, ➝Utopie) beliebt ist. Es gibt dort vegetarische Lebensmittel und ein großes Müsli-Sortiment. Und in der Kassenschlange kann man im Gratismagazin nachlesen, welcher Prominente die Naturkosmetik-Linie benutzt. Sophia HoffmannWas man als Kind so dachte: In der Drogerie gibt es Drogen, wie schon der Name sagt. Doch wohin man auch blickte – nur Klopapier, Shampoo und Creme. Wurde der Stoff heimlich unter der Ladentheke vertickt?Was nicht einmal jeder Erwachsene weiß: Der Begriff Droge wurde früher nicht ausschließlich auf Kokain, Heroin oder Marihuana angewendet. Er stand generell für Wirkstoffe von Pflanzen, Tieren oder speziell Pilzen, die einen signifikanten Effekt auf Menschen haben. Vorzugshalber einen heilenden. Und wo konnte man diese Produkte kaufen? Eben, wie schon der Name sagt. Auch heute haben Drogerien noch freiverkäufliche Arzneimittel im Angebot. Daher muss von Rechts wegen immer eine Person im Laden sein, die über einen sogenannten „Sachkundeausweis“ verfügt. So ein Drogist braucht also mehr als die Lizenz für Lippenstift. Mark StöhrWerbespots aus den sechziger Jahren erinnern noch daran: E 605, das Universalmittel gegen Insekten und andere unliebsame Mitbewohner. Meine Mutter hat, soweit ich mich erinnere, dieses sogenannte Schwiegermuttergift noch in der Drogerie erworben. Man musste dazu nur den Personalausweis vorweisen, weil das Teufelszeug in der Volksgiftküche gelegentlich zweckentfremdet wurde.Bei uns stand E 605, das in Europa seit 2002 übrigens verboten und mit dem gleichnamigen Lebensmittelzusatzstoff nicht zu verwechseln ist, ganz harmlos neben dem Scheuerpulver Ata: Wie viele Kleinkinder im Krabbelalter sind da wohl dem potenziellen Tod gerade noch so entronnen? Ulrike BaureithelFilmIm Film Drugstore Cowboy (1989) spielen Matt Dillon und Kelly Lynch ein Bonny-und-Clyde-Pärchen auf der Heroinspur. Mit einer Gruppe anderer Drogenabhängiger ziehen sie durch den Westen der USA, überfallen Drogerien und rauben Betäubungsmittel – bis sie ihr Glück verlässt. Als sie eine Leiche entsorgen wollen, geraten sie mitten hinein in ein Treffen von Sheriffs.Die Regie bei diesem Narko-Road-Movie führte Gus Van Sant (Milk, Good Will Hunting) nach der gleichnamigen autobiografischen Romanvorlage von James Fogle. Dieser saß noch im Gefängnis, als der Film Premiere feierte und wurde auch später immer wieder des Gesetzesbruchs überführt. Der heute 75-Jährige überfiel einen Drugstore und eine Apotheke und wurde 2011 wegen Raubs zu einer längeren Haftstrafe verurteilt. TPKleptomanenNicht umsonst hängen in Drogerien Warnschilder, auf denen über die Folgen von Ladendiebstahl informiert wird. Nicht umsonst gibt es in einigen Filialen Sicherheitsangestellte in adretten Anzügen, die strengen Blicks die Regalreihen abschreiten. Doch helfen diese Maßnahmen nur bedingt. Kleptomanie ist ein verbreitetes Drogerie-Phänomen und hat bei Teenagern eine lange Tradition. Es sind wohl hauptsächlich Mädchen, auf die das Angebot an Kosmetika eine verlockende Wirkung hat. Da die Vielfalt der Beautyartikel aber in einem bedauerlichen Missverhältnis zum ausgezahlten Taschengeld steht, sehen es viele Heranwachsende geradezu als Sport, sich heimlich einzudecken.Im Falle des Erwischtwerdens drohen Hausverbot und im schlimmsten Fall ein paar Sozialstunden, die im Tierheim sogar noch gerne abgeleistet werden. Ich kenne viele Frauen, die zugeben, in ihrer Jugend Drogerie-Kleptomaninnen gewesen zu sein. Eine Jugendsünde, die wohl nicht aus der Mode kommt. SHMoralisches DilemmaBei Schlecker war die Sache lange klar. Menschen mit auch nur einem Funken Ethik im Leib kauften nicht bei der Drogeriemarktkette. Firmengründer Anton Schlecker und seine Frau wurden 1998 wegen Betrugs verurteilt, weil sie Angestellten vorgetäuscht hatten, sie nach Tarif zu bezahlen. Tatsächlich lagen die Löhne niedriger. Viele Mitarbeiter wurden auch gefeuert und über eine eigene Zeitarbeitsfirma zu schlechteren Konditionen wieder angestellt. An Schlecker pappte das Image des Ausbeuters.Und jetzt? Soll man nach der Insolvenz aus Solidarität mit den Mitarbeitern dort einkaufen? Oder eben nicht, weil die Schlecker-Familie den Untergang verdient? Wahrscheinlich ändert weder das eine noch das andere was – wie das mit dem Gewissen so ist, am Ende muss es jeder selbst mit sich ausmachen. Jan PfaffWer heute bei Halsweh ein Ricola-Bonbon aus dem Papier schält, packt ein Stück Schweizer Medizin-Tradition aus. Der Schweizer Pfarrer Johann Künzle (1857-1945) hat die Ricola zwar nicht erfunden, begründete aber 1900 mit seinem Kräuterbüchlein Chrut und Uchrut („Kraut und Unkraut“) einen regelrechten Kräuterboom (➝Drogen). Mit dem Bestseller, der sich hunderttausendfach verkaufte, wurde der Kräuterpfarrer mit dem weißen Bart zum Inbegriff der Schweizer Kräutermedizin, die später von Alfred Vogel und Konsorten weitergeführt wurde und die 1930 dann auch das Ricola auf den Markt brachte.Die 1924 in Zürich gegründete Berg-Apotheke, die durch den Vertrieb der Bergkräuter des Pfarrers zu ihrem Namen kam, stellt auch heute noch Naturheilmittel her – Zehntausende Kapseln und Zäpfchen sowie etwa eine halbe Tonne Salben aus 16 Tonnen Heilkräutern aus den Alpen. Gina BucherUtopieSo sehr man auch sucht, man findet nichts: keine gesundheitsschädlichen Stoffe in Produkten, keine Dumpinglöhne, kein Mobbing. Beim Drogeriemarkt dm scheint alles geradezu perfekt (➝Wickeltisch). Nach dem Umsatz ist die Kette vor Rossmann und Schlecker in Deutschland Marktführer. Sogar die Zahlen stimmen also. dm-Gründer Götz W. Werner, der sich 2008 aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen hat und in den Aufsichtsrat wechselte, kann zufrieden sein Lebenswerk betrachten. Er war einer der ersten, der ökologische Lebensmittel zu bezahlbaren Preisen auf den Markt brachte. Vorbildlich auch seine interne Unternehmensführung. Filialleiter legen das Sortiment, die Dienstpläne, sogar die Gehälter fest. Mitarbeiter sind für den bekennenden Anthroposophen „Kreativposten“, die Auszubildenden heißen „Lernlinge“ und müssen ein mindestens einwöchiges Theaterseminar besuchen, um sich und ihre Umwelt besser zu begreifen. Das ist dann fast schon wieder zu viel des Guten. MSDer zweitperfideste Trick des deutschen Einzelhandels ist die sogenannte Impulsware, jene Bonbons und Schokoladen, die stets in Augenhöhe von Kindern vor den Kassen liegen. Die Drogerie dm hat sich einen noch schlaueren Trick ausgedacht: Sie stellt Wickeltische in die Babyabteilungen ihrer größeren Läden, ausgestattet mit kostenlosen Windeln, Wundschutzcremes und Feuchttüchern. Über der Wickelfläche baumeln im Sommer schon mal Kindersonnenbrillen, im Winter Hausschühchen. Meistens hat man als Elternteil am Wickeltisch aber anderes zu tun, als Kaufimpulsen nachzugeben. Und so verlässt man den Laden voll Stolz auf die eigene Standhaftigkeit – und kauft im Hinausgehen einen Öko-Schoko-Riegel zur Belohnung. Steffen KraftVor rund zehn Jahren entdeckte ich, dass man eine Rossmann-Zahnbürste wunderbar zum Ohrring entfremden kann. Ohrstecker ist wohl treffender: Der abgesägte Griff des Perlodent-Modells passt mit seinen 13 Millimetern Durchmesser perfekt in mein gedehntes Ohrläppchenloch. Er kostet nur 99 Cent – und: Es gibt die Zahnbürste in verschiedenen Farben, so dass ich mal Rot, mal Grün, mal Blau tragen kann. Falls ich ihn verliere, ist schnell Ersatz besorgt, bundesweit. Manchmal sprechen mich Menschen auf der Straße an, die den Hygieneartikel erkennen. Die meisten aber denken, die 08/15-Bürste sei ausgesuchter Ohrschmuck. TP
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