Musikindustrie Auf dem Kongress "all2gethernow" geht es um die Zukunft der Musikindustrie. Sie braucht dringend neue Geschäftsmodelle, sagt Musikproduzent Tim Renner
Als sie zum siebten Geburtstag einen iPod bekam, hat sie alle ihre CDs überspielt. Dann hat sie freundlich gefragt, ob die nun Sondermüll seien.
Die Konsumentin der Zukunft?
Ja, aber immerhin weiß sie, dass Mülltrennung was Gutes ist.
Gut erzogen.
Danke. Für sie gab es keinen Grund, die Musik, die man sich nun immer wieder anhören konnte, auch noch physisch zu besitzen. Wozu auch? Mein Kind wollte das überflüssige Artefakt lieber ordentlich entsorgen.
Demnächst wird der physische Tonträger, also aktuell die CD, flächendeckend entsorgt.
Da bin ich optimistischer. Das physische Produkt wird nicht zur Gänze verschwinden, aber zugegeben: In absehbarer Zu
ie CD, flächendeckend entsorgt.Da bin ich optimistischer. Das physische Produkt wird nicht zur Gänze verschwinden, aber zugegeben: In absehbarer Zukunft wird das nur noch ein Nischenmarkt sein, aber ein bedeutender. Das Vinyl stirbt ja auch nicht, sondern hat seinen Umsatz zuletzt sogar um 50 Prozent gesteigert.Von eigentlich gar nichts auf so gut wie gar nichts. Da geht es um ein bis zwei Prozent vom Gesamtumsatz.Ja, aber immerhin. Ich glaube, die Schallplatte, die CD oder auch die DVD haben einen ähnlichen Wert wie ein Buch. Die meisten Bücher werden nur ein einziges Mal gelesen und trotzdem gekauft. Eigentlich hätte die Erfindung der Bibliothek das Ende des Buches sein müssen.Im Internet ist man aber schneller als in der Bibliothek. Und was man aus dem Internet saugt, muss man am Ende der Ausleihfrist auch nicht zurückgeben.Das ist wahr, aber das ist nicht das Problem der Musikindustrie.Was ist dann ihr Problem?Ihr Problem ist, dass die Branche immer noch davon ausgeht, dass ein analoges Geschäftsmodell in einem digitalen Umfeld funktionieren kann. Diese Auffassung teilt sie mit anderen Branchen wie dem Print-Business. Aber das klappt nicht – weder mit Musik noch mit Zeitungen oder Zeitschriften, die denken, ein Klick auf ihrer Web-seite wäre dasselbe wie ein Leser am Kiosk.Genauso rechnet aber noch die Musikindustrie: Jeder illegale Download wäre eigentlich eine gekaufte CD. Dieter Gorny, der Chef der deutschen Musikwirtschaft, hat die Absage der Popkomm, der Leistungsschau seiner Branche, der Internet-Piraterie in die Schuhe geschoben. Das hat viele Leute aus der Branche empört. Egal ob Veranstalter, ob Leute aus der Internet-Community oder von Plattenfirmen – wir haben uns erst mal aufgeregt, und dann haben wir festgestellt, dass sich auch alle anderen aufregen und wir zusammen vielleicht schon eine kritische Masse erreicht haben, um was zu machen.Daraus ist all2gethernow entstanden, die anstelle der Popkomm die Zukunft diskutieren soll.Genau.Noch eine Tagung zur Zukunft der Kreativindustrie. Nach allein in diesem Jahr: Dem Mannheimer Future Music Camp (FMC) und in Berlin der Transmediale, den Kongressen Dancing with myself, re:publica und Audio Poverty. Bringt das ganze Gerede was?Ich glaube ja. Wenn es noch einer Konferenz mehr bedarf, um Lösungen für die Probleme zu finden, die wir haben, dann bereite ich die gerne vor. Wir müssen Dinge endlich völlig neu denken innerhalb eines neuen Mediums. Das fällt Leuten einfacher, die neu in den Markt reinkommen. Und denen schwerer, die etwas zu verlieren haben. Das ist das Gemeine an Umbruchsituationen: Ausgerechnet die, die ihren Job bisher gut gemacht haben, tun sich schwer, ein neues Geschäftsmodell zu etablieren. Deshalb kann man ihnen gar nicht häufig genug in den Hintern treten. Und wenn die all2gethernow so ein Tritt ist, dann hat sie ihre Funktion erfüllt.Warum braucht die Musikindustrie diesen Tritt?Weil wir rausfinden müssen, was geht. Wir als Kreativwirtschaft müssen uns endlich hinstellen und positiv kommunizieren. Und nicht künstliche Feinde wie Internet-Piraten aufbauen, weil die Übertragung unseres alten Geschäftsmodells aufs Internet nicht klappt. Das müssen wir schon aus psychologischen Gründen: Wer immer nur nach hinten guckt und nur mit gesenktem Kopf läuft, der kann den Weg nach vorne nicht finden.Ihre Karriere in der Musikindustrie begann als punk-sozialisierter Musikschreiber, der sich als Praktikant in einen Unterhaltungskonzern einschlich …Als Praktikant hätte ich da nicht so viel machen und erfahren können: Zum Glück hat die Polydor mich Westentaschen-Wallraff als sogenannten Junior A eingestellt.Also als Verantwortlichen für „Artist Repertoire“. Sie haben Musiker gefunden und betreut. Auf jeden Fall haben Sie bei Ihrer Arbeit festgestellt, schrieben Sie später, dass „der Feind nicht böse, sondern nur blöde“ war. War Ihnen schon damals klar, dass der Feind so blöde war, dass er schon bald offenen Auges in sein Verderben rennen wird?Ich ging als junger Mensch fest davon aus, dass die Industrie wahnsinnig intelligent ist. Ich musste dann aber feststellen, dass der Feind gar nichts Böses will, sondern eher in seinen eigenen Strukturen gefangen ist. Aber damals konnte niemand damit rechnen, ich erst recht nicht, dass sich das Geschäftsmodell der Branche in Luft auflösen würde. Seitdem benimmt sich die Branche wie der Kojote in den Roadrunner-Zeichtrickfilmen: Der ist über den Rand der Schlucht hinausgelaufen und rennt nun in der Luft weiter und weigert sich, nach unten zu gucken und festzustellen, dass er den Grund unter den Boden verloren hat. Jetzt müsste ihm mal jemand zurufen: Hey, Du stürzt gleich ab.Rufen das nicht viele schon?Ja, bloß hören tut einen diese laute Branche nicht. In der Musikindustrie gibt es immer noch relativ wenige positive Diskussionen über die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet. Stattdessen gibt es engagierte Diskussionen darüber, wie die Realitäten des Netzes noch einzudämmen sind. Wenn es um Verbote geht, da wird die Musik-industrie wach. Im Moment ist die Musikindustrie eine Branche, die noch versucht zu retten, was zu retten ist. Anstatt neu zu definieren, was sie neu definieren muss.Wie könnte diese Neudefinition aussehen?Das wird man sehen müssen. Es betrifft nicht nur die Musik-industrie. Die Tatsache, dass es noch nicht genügend vernünftige Geschäftsmodelle für die digitalisierte Welt gibt, betrifft auch Medien wie Film, Literatur oder den Journalismus. Man muss anerkennen: Die Lösungen für die Musikindustrie werden sich nicht nur in der Musikindustrie finden lassen.Welche Lösungen?Eine Lösung könnte zum Beispiel die Flatrate sein.Die Idee, zu einem monatlichen Abo-Preis den Zugang zu jeder denkbaren Musik bereitzustellen, wird seit Jahren diskutiert, aber die Plattenfirmen können sich nicht einigen.In der Diskussion spiegeln sich die Probleme der Branche. Dem Konsumenten ist es egal, ob ein Wettbewerber legal oder illegal ist. Es kommt nur darauf an, besser zu sein. Der Konsument wird erst davon abgehalten BitTorrent oder andere Tauschbörsen zu nutzen, wenn ihm legal mindestens dieselbe Vollständigkeit, dieselbe Aktualität geboten wird und dazu noch eine größere Bequemlichkeit, weil er soll ja auch noch zahlen.Das würde reichen?Das wäre zumindest ein Anfang. Ich weiß ja nicht, ob Sie als ehrliche Haut sich manchmal Musik über BitTorrent aus dem Netz laden?Ähem.Aha. Ich jedenfalls finde die Benutzerfreundlichkeit nicht gerade hoch. Man wird nie vermeiden können, dass Menschen, die viel Zeit, aber wenig Geld haben, sich Sachen umsonst besorgen. Aber Du wirst die Menschen, die wenig Zeit, aber Geld haben, als Kunden gewinnen, wenn Du Zuverlässigkeit und Service bieten kannst. Man zahlt doch auch für den Zugang zu Fernsehen und Radio, die allermeisten jedenfalls. Und mir kann keiner erzählen, dass er wirklich Angst vorm GEZ-Kontrolleur hat. Das sagt auch die Marktforschung: Die Leute wären bereit, zwischen 9,90 und 14,90 pro Monat zu zahlen. Was einen nicht wundert: Denn das ist ungefähr ein Album pro Monat.Aber ist durch den jahrelangen quasi kostenfreien Zugang Musik nicht entwertet worden?Da bin ich optimistischer. Schon weil mich nicht interessiert, wer Bambi umgebracht hat, sondern wie man es wieder zum Leben erweckt. Wenn der kostenlose Zugang zu Musik automatisch zu ihrer Entwertung führen würde, dann müssten wir uns mit diesem Phänomen seit 1928 rumschlagen, denn seitdem gibt es Radio. Das ist also nicht neu.Neu ist aber, dass eine Generation nachwächst, die mit Musik keine CD mehr verbindet, die sich ihre Musik nicht mehr in den Schrank stellen will – eine Generation wie ihre Tochter.Stimmt, da wächst eine Generation mit einer ganz anderen Einstellung heran. Die brauchen das haptische Erlebnis – einen Tonträger, eine DVD anzufassen – nicht mehr, vielleicht wollen sie demnächst nicht mal mehr ein Buch anfassen. Aber andere Elemente verändern sich nicht: Es gibt weiterhin das Bedürfnis, sich über die Kultur, die man konsumiert, zu definieren. Da hat das Kulturprodukt dann doch wieder einen Wert. Und hinter allem, was einen Wert hat, steckt immer auch ein potenzielles Geschäftsmodell.Welches Modell wäre das?Dazu eine Geschichte. Beim bereits erwähnten Mannheimer „Future Music Camp“ ging es bei einer Session darum, wie die Leute aus den Datenmassen, die sie sich aus dem Internet saugen, die Daten rausfiltern können, die es auch wert sind, damit Zeit zu verbringen. Da wurde geklagt: Ach, gäbe es doch nur eine vernünftige Filter-Software für gute Musik, dafür würde ich sogar richtig Geld zahlen. Da sagte ich: Was Du da suchst, das gibt es in der analogen Welt schon – das nennt sich Plattenhändler.Ihr kleiner Plattenladen mit dem informierten Verkäufer, mit dem man über die ausgefallene Indie-Scheibe aus Neuseeland fachsimpeln konnte, der war doch das allererste Opfer der Krise.Da bin ich Romantiker, den Glauben an den Schallplattenladen als mythischen Ort habe ich nach wie vor. Aber zugegeben: Das ist nur ein Teil-Markt. Trotzdem wird der Plattenhändler nicht aussterben. Die Frage ist nur, wie dessen Know-How demnächst weiter gegeben wird. Wenn nicht mehr physisch im Plattenladen, dann vielleicht non-physisch im Netz. Aber es geht in unserem Geschäft immer darum, reale Personen miteinander zu verkoppeln, vor allem natürlich Künstler und Konsumenten – egal in welchem Umfeld.Interview: Thomas Winkler
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