Mit einem Zischen schließt sich die Tür. "Willkommen!" Eine Frauenstimme begrüßt uns. Eingeschlossen in einer engen Raumkapsel, erkenne ich im Schummerlicht etwa 15 weitere Reisende. "Beachten Sie bitte folgende Sicherheitshinweise: Obwohl unsere Kapsel nahezu vollkommen isoliert ist, kann es dennoch zu Vibrationen kommen, da wir mit einem Vielfachen der Lichtgeschwindigkeit reisen. Benutzen Sie bitte das Geländer, um sich festzuhalten. Wir danken Ihnen und wünschen Ihnen eine aufregende Reise." Auf den Monitoren läuft der Count Down: two ... one ... zero - lautes Getöse, das Raumschiff vibriert. Eine Sekunde später ist alles still. Aus dem Fenster sehe ich unsere Erde kleiner und kleiner werden. Wir entfernen uns schnell, fliegen vorbei an Jupi
an Jupiter und Saturn, verlassen unser Sonnensystem, wenig später sogar unsere Galaxis. Immer schneller geht die Fahrt, während wir Stimmen und Geräusche längst vergangener Zeiten hören. Und durch einen Strudel aus Licht und Farben gelangen wir schließlich ans Ziel unserer Reise: zu einem winzigen Lichtpunkt, inmitten von Dunkelheit und Stille. Dies ist der Anfang von Raum und Zeit. Der Moment vor dem Urknall. Dann, plötzlich, geht es in atemberaubender Geschwindigkeit zurück: 15 Milliarden Jahre, durchlaufen innerhalb weniger Sekunden. Kaum wieder gelandet, öffnet sich die Tür. Licht und Lärm empfangen uns. Ein wenig benommen noch betrete ich festen Boden und lasse mich in einer Horde rennender Kinder treiben. "Hier, das ist geil." Ein Junge lotst uns vorbei an einem dunkelblau gewölbten Sternenhimmel und wir betreten den "Raum der gefrorenen Schatten". Ein Lichtblitz zuckt und für einen Moment erstarren unsere Umrisse dunkel vor einem blass-grün schimmernden Hintergrund. Die Jungs stellen sich breitschultrig vor die Wand und heben die Hände mit gespreizten Zeige- und Mittelfingern. Ein paar Sekunden später blitzt es erneut und bannt ihre Pose auf die Schattenwand. "Cool!"Bildungsreise ins virtuelle Siena "Kosmos" heißt unsere Expedition. Der inszenierte Trip durch Raum und Zeit ist Teil der Ausstellung im Bremer Science Center Universum. Doch nicht nur den "Kosmos" auch die Themen "Erde" und "Mensch" präsentieren die Ausstellungsmacher seit Sommer 2000 in interaktiven Exponaten und Installationen. "Hier gehen die Besucher auf Expedition. Das bedeutet Abenteuer und Überraschung", erklärt Friedo Meger das Konzept. Meger ist Geschäftsführer der Hamburger Firma Kunstraum, einer Gruppe von Theaterpädagogen, Wissenschaftlern und Künstlern, die die Ausstellung im Universum entwickelt und gestaltet hat. "Wir wollen die Besucher zum Staunen bringen." Dadurch, so der Wunsch der Aussteller, werden Neugier und Lust auf Wissenschaft geweckt. Und in der Tat. Trotz Pisa-Schock und Bildungsmisere, mit ihrer Mischung aus Abenteuer-Spielplatz und Wissenschaftslabor haben Science Center in Deutschland Konjunktur. In den USA und einigen europäischen Ländern seit Jahrzehnten wahre Publikumsmagneten, sollen in den kommenden Jahren gleich mehrere Wissenschaftsmuseen in Deutschland entstehen. Im November ist die Eröffnung eines Mathematik-Museums, des Mathematikums, in Gießen geplant. Phaeno, ein Science Center in Wolfsburg, soll im Sommer 2003 folgen. Und auch in Darmstadt tüfteln Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung bereits jetzt an gut 90 virtuellen Exponaten, die ab September 2004 im Cybernarium gezeigt werden. Anfang des Jahres gab es bereits die ersten virtuellen Illusionen während der Cybernarium Days zu sehen. So lud Luigi, ein virtueller Reiseführer, zu einem Rundgang durch den Dom von Siena. Die Besucher konnten mit Taschenlampen ausgerüstet buddhistische Tempelhöhlen im chinesischen Dunhuang erforschen und in das Ozeanarium von Lissabon tauchen, Graffitis an New Yorker Hauswände sprühen oder eine chirurgische Operation leiten. Dass sich das Geschäft mit den Wissenstempeln lohnt, zeigt das Bremer Universum. 400.000 Besucher allein im ersten Jahr zählten die Betreiber. Und auch die Cybernarium Days entpuppten sich als Publikumsmagnet: 10.000 Besucher haben die Ausstellung in sechs Tagen gesehen, viele von ihnen nahmen bis zu drei Stunden Wartezeit in Kauf.Hands on: Anfassen und Mitmachen Spielende Erwachsene und konzentrierte Kinder, die sich mit wissenschaftlichen Phänomenen auseinandersetzen, sind in einem Science Center nichts Ungewöhnliches. Nur eine Frage der Motivation, weiß Joachim Hackler, Lerntherapeut aus Osnabrück. "Die Anziehungskraft eines Science Centers liegt doch auf der Hand: hier wird mein Unterhaltungsbedürfnis ernst genommen." "Edutainment" heißt das Zauberwort: durch Unterhaltung bilden. Dafür setzen die Ausstellungsmacher auf unterschiedliche Konzepte. Während das Cybernarium die Besucher in virtuelle Welten entführt, setzt man im Universum auf handfeste "reale" Inszenierungen: neben der Zeitreise zum Urknall zählen eine begehbare Gebärmutter, ein Tasttunnel und eine Erdbebenkammer zu den Höhepunkten der Ausstellung. Verglichen damit, mutet die bereits in den 1980er Jahren gegründete Phänomenta beinahe spartanisch an. "Unsere Inszenierung ist die Reduzierung", erklärt Achim Englert, Geschäftsführer der Flensburger Wissenschaftsausstellung. "Wir beschränken uns auf einfache Experimente, die wissenschaftliche Phänomene zeigen, ohne viel Tamtam." So zeigen Seifenblasen die Farben des Regenbogens und Sandkörnchen ergeben auf Holzscheiben symmetrische Muster, wenn diese mit einem Geigenbogen gestrichen werden. In einem aber sind sich die Macher der Science Center einig: "hands on" - zum Anfassen und Mitmachen lautet die Devise. Nur wer die Dinge selbst in die Hand nimmt, begreift auch. Und so verwundert es nicht, dass sich die Leitsprüche der bestehenden und künftigen Wissenschaftsausstellungen fast alle beim chinesischen Philosophen Lao Tse bedienen. Was im Bremer Universum "Erzähle es mir und ich werde es vergessen; zeige es mir und ich werde mich erinnern; beteilige mich und ich werde es begreifen" heißt, wird im Darmstädter Cybernarium mit: "Ich höre - ich vergesse; ich sehe - ich erinnere mich; ich probiere - ich habe verstanden" übersetzt. Doch lernt man durch Handeln tatsächlich besser als durch Zuhören oder Sehen? Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Stefan Aufenanger ist skeptisch. "Es gibt keine einzige wissenschaftliche Studie, die einen derartigen Zusammenhang belegt." Viel wichtiger als das bloße Erleben sei es, Erfahrungen zu machen. Und Erfahrungen entstehen erst durch die Auseinandersetzung mit dem Erlebten, so Aufenanger. "Die Ausstellung bietet sehr viel Anschauungsmaterial", beschreibt ein Lehrer, der mit einer 7. Klasse das Universum besucht, seinen Eindruck. "Doch ich vermisse die Vermittlung zwischen Anschauung und Theorie." Dass die Schüler konkrete Fragestellungen und Aufgaben brauchen, um aus der Flut von Eindrücken tatsächlich etwas zu lernen, davon ist auch Joachim Hackler überzeugt. "Ohne pädagogische Begleitung lerne ich im besten Wissenschaftsmuseum nichts." Lerngarantien gibt es also nicht. "Der Besuch in einer Mitmach-Ausstellung kann den Physik- oder Chemieunterricht nicht ersetzen", räumt auch Achim Englert von der Phänomenta ein. Wie und vor allem was lernt man in einem Science Center aber dann? Für Gerhard Fischer vom "Zentrum für Lebenslanges Lernen" der Universität Colorado, bieten die Science Center die Möglichkeit, das Lernen selbst zu lernen. "Wir müssen uns vom rein kognitiven Lernbegriff verabschieden", sagt der Mathematiker und plädiert dafür, Lernen als einen emotionalen und kommunikativen Prozess zu begreifen. Mit ihren interaktiven Angeboten seien Science Center bestens geeignet, auf spielerisch-unterhaltsame Weise zu faszinieren und Forschergeist zu wecken. Eine Idee, die das Universum bereits umzusetzen versucht, wie Carlo Petri, geschäftsführender Gesellschafter der Universum Management GmbH, erklärt. "Wir wollen kein Fachwissen vermitteln, sondern ein nachhaltiges Interesse für wissenschaftliche Phänomene wecken." Im Idealfall, so Petri, sollen die Exponate beim Besucher Fragen aufwerfen, auf die er sich dann eigenständig Antworten sucht. Ob diese Suche erfolgreich verläuft, lässt sich allerdings nur schwer überprüfen. "Die Besucher erinnern sich oft noch lange an einzelne Exponate", weiß Achim Englert. "Doch wie intensiv die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Hintergründen erfolgt, bleibt ungewiss." Gerade das aber könnte nach Ansicht von Wolfgang Nahrstedt, Leiter des Instituts für Freizeitforschung und Kulturarbeit der Universität Bielefeld, ein wichtiges Qualitätskriterium für die Wissenschaftsmuseen sein. "Bisher messen diese Einrichtungen ihren Erfolg vor allem an der Zahl der Wiederholungsbesucher", bedauert er. Nahrstedt leitete eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Studie, die die Lernmöglichkeiten von Zoos, Museen und Science Centers untersucht hat. Ende Juni haben die Wissenschaftler ihren Bericht vorgelegt. Das Fazit der Studie: Edutainment funktioniert in erster Linie als Entertainment. "Vor allem für junge Besucher spielen Unterhaltung, Spaß und Vergnügen die Hauptrolle", so Nahrstedt. Albrecht Beutelspacher, Mathematiker an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, sieht Deutschland dagegen erst am Anfang einer Entwicklung. Beutelspacher ist Initiator der Wanderausstellung "Mathematik zum Anfassen", die allein im vergangenen Jahr weit über 100.000 Besucher in ganz Deutschland angezogen hat. Ab Herbst dieses Jahres wird die Ausstellung permanent im Mathematikum in Gießen zu sehen sein. "Ich finde es schon großartig, dass sich die Besucher überhaupt auf Mathematik und Naturwissenschaften einlassen - wenigstens für die Dauer ihres Besuches. Das ist ein Potenzial, das sich die Schule künftig zu nutze machen sollte." Interaktive Lernangebote stärker in das Schulsystem zu integrieren, fordert auch Achim Englert. Gute Ansätze gäbe es zwar bereits. So bieten die meisten Science Center inzwischen Kurse für Schulklassen zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen an. "Doch nach wie vor denken wir von Lernen und Schule auf der einen Seite und Freizeit und Unterhaltung auf der anderen Seite als voneinander getrennten Welten", beklagt Englert. International ist man da wieder einmal weiter. So haben sich gerade das Science Center Exploratorium in San Francisco, das Kings College in London und die Universität von Kalifornien in Santa Cruz zusammen getan und ein "Zentrum für informelles Lernen und Schulen" gegründet. Dort werden Lehrer und Museums-Pädagogen gemeinsam ausgebildet, spezialisiert auf das unterhaltsame Lernen in einem Science Center. Mittlerweile habe ich die Expedition "Kosmos" absolviert und stelle verblüfft fest, dass ich allein für diesen Teil der Ausstellung beinahe zwei Stunden gebraucht habe. Schon etwas müde folge ich den Wegweisern zur Expedition "Mensch". Am Eingang treffe die Jungs von der Schattenwand wieder. Wir müssen uns bücken, um in die dunkelrot beleuchtete Höhle zu gelangen. Leise blubbernde Geräusche dringen herein, das Licht ist gedämpft. In einer mit Kissen gepolsterten Nische lümmelt ein Pärchen und betrachtet lächelnd einen im Zeitraffer wachsenden Embryo. Gemütlich, so eine Gebärmutter. Ich lasse mich auf ein Kissen fallen und sehe den Jungs nach, die sich gerade durch den Geburtskanal drängen, bereit zu einem neuen Abenteuer.PhänomentaDie Phänomenta, eines der ersten Science Center in Deutschland, präsentiert etwa 100 naturwissenschaftliche und technische Exponate. Ableger der Phänomenta gibt es mittlerweile auch in Lüdenscheid, Bremerhaven, Peenemünde und Templin.Phänomenta, Norderstraße 157 - 163, 24939 FlensburgFon: 04 61 - 14 44 90, Fax: 04 61 - 1 44 49 20www.phaenomenta.deUniversumDer spektakuläre Bau im Bremer Universitätsviertel beherbergt auf 4000 Quadratmeter Fläche mehr als 200 Exponate und Installationen. Die Ausstellung ist in Expeditionen zu den Themen "Erde", "Mensch" und "Kosmos" gegliedert. Besondere Highlights: Erdbebenkammer, Zeitreise und Tasttunnel. Universum(r) Science Center, Wiener Str. 2, 28359 BremenFon: 0421-3346-0, Fax: 0421-3346-109www.usc-bremen.deMathematikumAm 19. November 2002 eröffnet das weltweit erste rein mathematische Science Center in Gießen. Auf rund 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche präsentiert das Mathematikum dann etwa 40 Exponate, darunter zum Beispiel die so genannte Leonardo-Brücke, eine Konstruktion aus einfachen Latten, die ohne Leim, Nägel oder Schrauben zusammen hält. Bislang tourt die Ausstellung "Mathematik zum Anfassen" quer durch Deutschland. Noch bis zum 6. Oktober 2002 ist sie in München im Kinder- und Jugendmuseum zu sehen. Mathematikum, c/o Mathematisches Institut, Arnstdstr. 2, 35392 GießenFon: 0641 99 32083, -85 oder -80, Fax: 0641 99 32089www.mathematikum.deCybernariumDer Erlebnispark Cybernarium wird voraussichtlich im September 2004 in Darmstadt öffnen. Geplant sind etwa 90 Exponate. Virtuelle Reisen in den Dom von Siena oder die buddhistischen Tempelhöhlen im chinesischen Dunhuang sollen dann ebenso möglich sein wie Tauchfahrten in das Ozeanarium in Lissabon. Zentrum der Ausstellung ist der so genannte Cyberdom, ein Kuppelsaal, in dem ständig wechselnde Projektionen gezeigt werden. Cybernarium Projektgesellschaft, Fraunhoferstr. 5, 64283 DarmstadtFon: 06151/155-661, Fax: 06151/ 155-663www.cybernarium.de
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