Vieles spricht dafür, dass bei der Entscheidung über die Laufzeitverlängerung der 17 deutschen Atomkraftwerke acht Personen eine wichtige Rolle spielen werden. Der Streit um den Weiterbetrieb der Reaktoren wird vermutlich in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ausgetragen. Die acht Richter müssen dann entscheiden, ob der Bundesrat dabei mitreden darf oder nicht.
Seit in Nordrhein-Westfalen eine rot-grüne Minderheitsregierung die Geschäfte führt, hat die Koalition aus Union und FDP ihre Mehrheit in der Länderkammer verloren. Nun kann der Bundesrat die schwarz-gelben Atompläne blockieren. Im ersten halben Jahr der Regierungszeit hätte Schwarz-Gelb das Problem noch umschiffen können. Doch Angela Merkel hat das Pro
at das Problem ausgesessen, aus Angst vor einer Niederlage in Nordrhein-Westfalen. Längere Reaktorlaufzeiten sind unbeliebt in der Bevölkerung, selbst unter CDU-Wählern. Das weiß auch die Kanzlerin.Eine Frage, drei AntwortenInzwischen drückt Merkel auf die Tube, die nervige Atomfrage soll vom Tisch. Im Kanzleramt wurde ein Spitzentreffen anberaumt, es wurde ein zwölfstündiger Verhandlungsmarathon mit den zuständigen Ministern und den Bossen der Energiekonzerne. Das Ergebnis: Die Atommeiler sollen bis zu 14 Jahre länger am Netz bleiben. Doch zu Ende ist die Geschichte damit noch lange nicht: Der Bundestag muss solch ein Gesetz erst verabschieden, und die Opposition droht schon mal mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, sollte der Bundesrat übergangen werden.Selbst Umweltminister Norbert Röttgen soll im vertrauten Kreis gesagt haben, er glaube, das Bundesverfassungsgericht werde die Laufzeitverlängerung kassieren, wenn sie an der Länderkammer vorbei beschlossen wird. Das Ministerium dementierte zwar umgehend eine entsprechende Zeitungsmeldung, doch der Verdacht liegt nahe, dass sich die Regierung intern noch immer nicht einig ist, ob der Bundesrat nun ein Vetorecht hat.Tatsächlich streiten sich auch die Rechtsgelehrten. Jedes Ministerium, jede Partei bestellt ihre eigenen Gutachten – doch am Ende herrscht mehr Unklarheit als zuvor. Prinzipiell lassen sich drei Antworten geben: Ja, längere Laufzeiten sind zustimmungspflichtig. Nein, sie sind es nicht. Oder: Jein, es hängt davon ab. Und zwar von dem Ausmaß. Moderate Verlängerungen sind demnach zustimmungsfrei, bei deutlichen Änderungen dürfen die Länder mitentscheiden. Hier schließt sich direkt die nächste Frage an: Wie viele Jahre dürfen die Reaktoren noch laufen, damit die Verlängerung als „moderat“ gilt?Dass bei diesen Fragen soviel Unklarheit herrscht, liegt daran, dass im Grundgesetz grundsätzlich geregelt ist, dass der Bund bei Atomfragen alleinige Gesetzgebungskompetenz besitzt. Allerdings wurde den Ländern mit dem Atomgesetz die Auftragsverwaltung übertragen. Zum Beispiel werden die Reaktoren von den Atomaufsichten der Länder überwacht.Nun argumentiert mancher Jurist, jeder Weiterbetrieb verursache höhere Kosten für die Länder, alleine deswegen müssten sie an der Entscheidung beteiligt werden. Atomgegner glauben aber, dass der Bund im Zweifelsfall sämtliche Mehrkosten übernehmen könnte, um die Opposition in der Länderkammer auszutricksen. Darüber hinaus haften die Länder allerdings auch mit Millionenbeträgen bei möglichen Atomunfällen. Die Anlagenbetreiber müssen im Schadensfall maximal 2,5 Milliarden Euro zahlen, danach blechen Bund, Land und vor allem die Allgemeinheit. Wenn sich nun das Haftungsrisiko für ein Land erhöht, müsse es auch mitentscheiden dürfen, sagen manche Experten.Prominentester Vertreter einer generellen Zustimmungspflicht des Bundesrats ist Hans-Jürgen Papier. Er war acht Jahre lang Präsident des Bundesverfassungsgerichts und hat im Auftrag des Bundesumweltministerium die Bundesrats-Frage untersucht. Besonders interessant: Papier ist CSU-Mitglied und daher nicht gerade verdächtig, eine juristische Argumentation nur vorzuschieben, um den Weiterbetrieb der Atomreaktoren zu verhindern.Auf der anderen Seite gibt es Rechtswissenschaftler, die mehr Jahre für die Atommeiler als eine rein quantitative Änderung betrachten, die nicht ausreiche, um eine Zustimmungspflicht zu rechtfertigen. Ausschlaggebend sei die Frage, ob Entscheidungsverfahren und Organisation der Länderverwaltungen umgestaltet würden, sagt etwa der Staatsrechtler Christoph Moench. Um die Laufzeiten zu verlängern, sei dies aber nicht erforderlich.Auch der so genannte Atomausstieg von SPD und Grünen wurde alleine vom Bundestag beschlossen. Warum sollte nun der Bundesrat mitreden dürfen, wenn die Laufzeiten wieder verlängert werden? Eine Antwort: Der Ausstieg sei für die Länder günstig gewesen, nun aber sehe die Situation anders aus, sagt beispielsweise der Jurist Joachim Wieland. Andere wiederum glauben, dass auch damals der Bundesrat hätte befragt werden müssen – nur hätten sich die Länder ihr Recht nicht eingeklagt.Wiederwahl ausgeschlossenOffiziell hat sich die Bundesregierung eine dritte Auffassung zu eigen gemacht hat: Eine „moderate“ Laufzeitverlängerung könne das Parlament problemlos beschließen, ohne die Länder zu befragen. Beamte aus Innen- und Justizministerium haben Expertisen angefertigt zu der Frage, wo denn die Schwelle sei zu einer „deutlichen Verlängerung“. Medienberichten zufolge wurde die Grenze mal bei zehn Jahren, mal bei zwei Jahren und vier Monaten angesetzt. Offiziell gab es keine Stellungnahmen – bis zum großen Atomgipfel im Kanzleramt. Dort hat Merkel nicht nur mit Umwelt- und Wirtschaftsministerium beraten, sondern auch mit Innen- und Justizministerium. Herausgekommen sind je nach Reaktor 8 bis 14 zusätzliche Betriebsjahre – möglich angeblich ohne Zustimmung des Bundesrats.Die Opposition sieht das anders, die SPD-geführten Landesregierungen aus Rheinland-Pfalz und Bremen ebenfalls. Prinzipiell könnte ihnen auch Bundespräsident Christian Wulff zuvorkommen. Er braucht das Gesetz nicht unterzeichnen, falls er der Auffassung ist, der Bundesrat müsse mitentscheiden. Es ist aber davon auszugehen, dass er die knifflige Entscheidung lieber dem Verfassungsgericht überlässt.Für die Regierung hätte das auch eine positive Seite: Aus dem politischen Streit um den Weiterbetrieb würde ein juristischer Streit im Paragrafendschungel. Die Verantwortung trügen dann scheinbar nicht mehr Merkel, Röttgen und Brüderle, sondern acht Verfassungsrichter, die sich keine Sorge um ihre Wiederwahl machen müssen, denn die ist ohnehin ausgeschlossen.
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