In Persepolis gibt es keine Zwischentöne, nur den scharfen Kontrast zwischen Schwarz und Weiß. Figuren werden mit einigen Strichen skizziert, ihre Wiedererkennbarkeit durch wenige Eigenschaften gewährleistet. Dass man die einzelnen Charaktere trotzdem erkennt, spricht für die künstlerische Leistung der iranischstämmigen Comic-Zeichnerin Marjane Satrapi. Wohlverdient ist daher der Erfolg, den sie mit ihren Comics erzielte. In Frankreich bewegt sich die Auflagenzahl der vierbändigen Ausgabe im sechsstelligen Bereich. Auf der Frankfurter Buchmesse 2004 wurde Eine Kindheit im Iran zum Comic des Jahres gekürt. Der Name der 1969 am Kaspischen Meer Geborenen wird oft in einem Atemzug mit Comic-Größen wie Art Spiegelman, der in Maus die Geschichte
Maus die Geschichte seines Vaters in Auschwitz niederlegte, oder Joe Saccos Comic-Reportage Palästina genannt. Für die neue Form von Erzählung, die sich mit diesen Namen verbindet, kursiert sogar eine eigenständige Bezeichnung: Comic-Autobiografie.Geht es in Persepolis jedoch um Biografisches? In einem Interview ließ Satrapi einmal verlauten, sie beschreibe in ihren Comics "lediglich eine Situation". Dabei sei sie vorrangig "ein Mensch, der Zeuge einer Revolution und eines Kriegs war". Genau genommen wird also in Persepolis weitaus mehr niedergelegt als ein persönlicher Lebensweg, handelt es sich doch um das Zeugnis einer Wahrnehmung, in der die eigene Geschichte immer auch exemplarisch für andere einstehen kann, weil sich an ihr gesellschaftliche Bedingungen aufzeigen lassen. Satrapi ist folglich für das grafische Erzählen, was Brecht für das Theater war: eine Umgestalterin der formalen Möglichkeiten, eine Übersetzerin in den sozialen Raum. Sie selbst hat nie die Biografie als Genrebezeichnung für sich in Anspruch genommen, sondern bezeichnet ihr Werk als "Auto-Fiction": Eine Bedeutungsverschiebung, deren Tragweite Fahimeh Farsaie in ihrem Text in aller Deutlichkeit zu Tage treten lässt.Im zweiten, Jugendjahre genannten Band steht die Erfahrung der Heimatlosigkeit im Mittelpunkt. Denn Hauptfigur Marjane wird mit 14 Jahren von ihren Eltern nach Österreich geschickt, damit sie sich frei von revolutionswächterlichen Repressalien entfalten kann. Doch Marjane findet dort keine Gleichgesinnten. Bereits die erste Taxifahrt vom Flughafen nach Wien hinein, als Marjane von exilierten Freunden der Familie abgeholt wird, lässt grundverschiedene Einstellungen aufeinanderprallen. Während Marjane sich freut, in der Schule keinen Repressionen mehr ausgesetzt zu sein, schwärmt die gleichaltrige Shirin von aromatisierten Lippenstiften und Ohrenschützern. Für Marjane bedeuten diese Banalitäten einen Verrat an all jenen Nahestehenden, deren Leben durch den Irak/Irankrieg bedroht ist - ein Verlust an lebensweltlicher Nähe, dem auch sie nicht entkommt. Zu entfernt ist ihr Alltag von den Geschehnissen im Iran. Um Freunde zu finden und sich zugehörig zu fühlen, raucht sie Joints und schneidet sich eine Punkfrisur. Die Eltern belügt sie am Telefon, um ihnen das wahre Ausmaß ihrer Veränderungen vorzuenthalten. Wenn im Fernsehen Bilder aus dem Iran zu sehen sind, wechselt sie das Programm. Sie lernt Schwule und Anarchisten kennen sowie ihren ersten Freund. Aber nirgends ist sie zu Hause, niemand fängt sie auf. Mit wiederkehrendem Rassismus und ihrer ersten Trennung konfrontiert, bindet sie sich ein Kopftuch um und pfeift auf Europa: "Ich musste dringend nach Hause."So kehrt Marjane in ein Land zurück, das von Krieg und Diktatur geprägt ist. In dem es ihr ebenfalls schwer fällt, einen Platz für sich zu finden. Dreimal taucht in Jugendjahre das Thema Sexualität auf, begleitet von trockenen Randbemerkungen. In Wien sieht Marjane nach einer Party ihrer Freundin Julie erstmalig männliche Hoden. Peinlich berührt rettet sie sich in die Assoziation von Pingpongbällen. "An jenem Abend begriff ich, was "sexuelle Befreiung" bedeutete", heißt es lakonisch im Kommentar. Im Iran wird sie mehrfach damit konfrontiert, dass Freundinnen und Kommilitoninnen entsetzt über die Tatsache sind, dass sie bereits mit Männern geschlafen habe. "Nach und nach lernte ich Studenten kennen, die dachten wie ich. Wir waren zahlreicher, als ich gedacht hätte", heißt es dann. Idealistische und linkspolitisch denkende Menschen, die ihr ein "Zuhause" geben, lernt Marjane in der Erzählung erst allmählich kennen. Leser, die Verhaltensmaßregelungen der Mullahs mit den Vorstellungen der Bevölkerung in Eins setzen, werden eines Besseren belehrt.Anders als die meisten hiesige Fernsehbilder vermitteln Satrapis Geschichten und Anekdoten aus dem Iran Einblicke in ein zutiefst gespaltenes Alltagsleben. Während an der Universität der Schleier zu tragen ist und die Revolutionswächter die kleinste Übertretung von Kleiderregeln ahnden, werden hinter geschlossenen Türen ausgelassene Parties gefeiert. Die Schminke im Gesicht und der Walkman in der Tasche werden zum Symbol eines stillen Widerstands. Es spricht für Satrapis Erzählung, dass diese kleinen, alltäglichen Dinge zur Geltung gelangen. Aber auch die unzähligen, unbekannten Toten, die durch Krieg und Verfolgung gestorben sind, haben dort ihren Platz. Beispielsweise, wenn Hauptperson Marjane durch die Straßen Teherans geht und unterirdisch unzählige Totenköpfe zu sehen sind. Oder wenn der Vater von der Liquidation politischer Gefangener durch die Mullahs berichtet, und dieses Geschehnis als ganzseitige Zeichnung wiedergegeben wird.Diese Bilder legen Zeugnis einer Wahrnehmung ab, die durch die personale Erzählhaltung Satrapis nie für eine offizielle Wahrheit, sondern nur für den subjektiven Bericht einstehen kann. Ihrer Vermittlung dienen die Bilder, denen es deshalb nicht im Geringsten an Glaubwürdigkeit fehlt. Vielmehr ist es die Stärke der graphischen Geschichten von Marjane Satrapi, individuelle Beobachtungen und Vorstellungen zur Verfügung zu stellen, die mit jeder Wendung an eine allgemeinere Geschichte anschließen. Nahezu anti-biografisch mutet die Erzählung an, hält sie doch ein, was Brecht für das Epische Theater forderte: "Die Umwelt groß und bedeutend zur Geltung zu bringen".Marjane Satrapi: Persepolis 2. Jugendjahre. Ueberreuter, Wien 2006, 160 S., 9,95 EUR
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