So so, ab 2006 wird Harald Schmidt im Ersten dreimal in der Woche auf Sendung sein - jedenfalls wünschen sich das "einflussreiche Stimmen" in der ARD, die sich jetzt laut Spiegel zu Wort gemeldet haben. Da zu diesen einflussreichen Stimmen die des ARD-Programmdirektors Günter Struve gehört, ist davon auszugehen, dass der geäußerte Wunsch ein brennender ist und vermutlich in Erfüllung gehen wird. "Wir sind uns einig, dass die Sendepause von Donnerstag bis Mittwoch ein wenig lang ist" - das hat Struve hinzugefügt und somit auch gleich definiert, was eine Sendepause ist: ein Rund-um-die Uhr-Sendebetrieb, der zeitweise ohne Schmidt auskommen muss.
Schmidt selbst hatte ja schon mit seiner "Kreativpause" nach seinem Ausstieg aus dem "Unterschichtenfernsehen" (au
tenfernsehen" (auf den Begriff wird noch zurückzukommen sein) dafür gesorgt, dass wir alle zu begreifen lernten, was eine Wüstenwanderung ohne Wasser bedeutet oder ein Tunnel, an dessen Ende uns, wenn alles schlimm ausgeht, nie mehr ein Licht erwartet. Es ist nicht schlimm ausgegangen, seit Januar gibt es wieder Licht. Wir haben Harald Schmidt mittwochs und donnerstags im Ersten, und wenn Herrn Struves Wunsch in Erfüllung geht, werden wir ihn ab 2006 zusätzlich am Dienstag haben.Um all das zu verstehen, muss man wissen, dass Schmidt kein Kabarettist, kein Entertainer, kein Moderator, sondern eine Kunstfigur ist, ein Fernseh-Homunculus, der sich selbst erschaffen hat und inwendig einen leise surrenden, manchmal schnarrenden Mechanismus mit sich herumschleppt. Eine kleine Maschine, die aufsaugt, was durch die Luft schwirrt, das aufgeschnappte Zeugs im Handumdrehen zu mal zündenden, mal weniger zündenden Wortwitzen zerhackt und das Ganze so auszuspucken versteht, dass es ein bisschen kracht und zischt - und niemand weiß genau, warum.Für den, der Harald Schmidt zusieht und zuhört, bleibt am Ende eine seltsame Leere im Kopf und ein schwer definierbares Unbehagen zurück, über das man nicht weiter nachdenkt, weil nach ihm, donnerstags jedenfalls, Polylux mit Tita von Hardenberg kommt. Das ist eine Sendung für RTL II-Seher, die trotzdem einen Schulabschluss haben. Der Dauerkunde macht sich allmählich Sorgen um die Anatomie der Moderatorin: Wer weiß, welche Verschraubungen sie ihrem Körper beim nächsten Mal zumuten wird.Zum Glück klebt Schmidt, wenn er sich erst einmal gesetzt hat, kerzengerade und stocksteif wie weiland Joachim Fest bei Panorama an seinem Tisch. Tatsächlich funktioniert seine Sendung am besten, wenn sie so aussieht, wie ein politisches Magazin Anfang der sechziger Jahre ausgesehen hat. Nur so ist übrigens zu verstehen, dass Leute, die sich noch an Peter Merseburger oder Franz Alt erinnern, über Schmidts Charakter gegrübelt haben und ihn arrogant oder gar zynisch finden.Der Kunstfigur Charaktereigenschaften zu attestieren, ist der gröbste Fehler, den man als Medienkritiker begehen kann. Schmidts Qualität ist die Leere als artistisches Programm. Man kann seine Sendung ertragen, weil es dreißig Minuten lang weder Gut noch Böse, geschweige denn Rechts oder Links oder überhaupt eine Welt außerhalb des Fernsehens gibt.Das ist natürlich nicht ganz richtig, denn irgendwo muss es ja die Unterschichten geben, für die das Unterschichtenfernsehen gemacht wird, mit dem wiederum Harald Schmidt nun nichts mehr zu tun hat. Dies wurde klar, als neulich in der mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten und auch von Schmidt ausdrücklich gepriesenen WDR-Sendung Hart aber fair - es ging um die verarmten Menschen in unserem reichen Land und um das Problem der Gerechtigkeit - der Stern-Autor Walter Wüllenweber beiläufig den Begriff "Unterschichten" einfließen ließ. Frank Plasberg, der Moderator der Sendung, runzelte die Stirn und wies Wüllenweber sanft, aber bestimmt darauf hin, dass der Begriff - na ja, sagen wir mal: möglicherweise ein bisschen verächtlich sei. Wüllenweber verteidigte sich mit dem Hinweis, dass Harald Schmidt mit dem Begriff "Unterschichtenfernsehen" auch die Unterschichten selbst in den Diskurs eingeführt habe; im übrigen sei er der Auffassung, dass die solchermaßen bezeichnete gesellschaftliche Gruppierung nicht durch den Mangel an materiellen Gütern, sondern durch Armut im Geiste gekennzeichnet sei.Damit ist nun eine vollkommen neue Situation entstanden. Wir haben uns der Tatsache zu stellen, dass ein Begriff, der seit etlichen Jahrzehnten in dieser Republik nicht in Gebrauch war, wieder die Runde macht, und müssen uns nun fragen, ob die Ursache dafür in der sozialen Lage oder bei Harald Schmidt zu suchen ist. Pointiert könnte man fragen: Sind wir Deutschen so arm dran, weil wir jetzt Hartz IV haben, oder weil wir Harald Schmidt nicht nur nicht loswerden, sondern ihn zur Zeit zweimal und demnächst sogar dreimal pro Woche haben (werden)? Meine These: Hartz IV und Schmidt sind zwei Seiten einer Medaille, und der Wunsch der ARD-Oberen nach mehr Schmidt bestätigt die Prognose renommierter wirtschaftswissenschaftlicher Institute, dass es mit Deutschland insgesamt erst einmal weiter bergab gehen wird.Ich will nicht missverstanden werden: Es geht hier nicht um die Qualität eines Programms oder die Talente der Kunstfigur Schmidt. Seitdem Dieter Hildebrandt im Ruhestand ist und die ARD glaubt, sie müsse die Reste des Scheibenwischers pulverisieren, ist Schmidt im Ersten das Markenzeichen für Spaßmacherei mit gelegentlich politischen Untertönen. Er kann nichts dafür. Viel hat er von seinem Idol David Letterman abgeschaut, den er inzwischen übertrifft. Viel verdankt er seinem Knecht Ruprecht, dem treuen Manuel Andrack, der meist mit Erfolg seine Intelligenz versteckt, um seinen Meister nicht in die Bredouille zu bringen.Schmidts Witze, die er freilich ziemlich geizig über dreißig lange Minuten verteilt, kommen bei eben jenen Zwischenschichten an, die nach den Tagesthemen noch fernsehen und Angst haben, in die Unterschichten abzurutschen, für die Schmidt kein Fernsehen mehr macht, und die, wenn sie erst einmal abgerutscht sind, obendrein befürchten müssen, von Leuten wie Walter Wüllenweber als geistig arm disqualifiziert zu werden. Ergo: dem Phänomen Schmidt ist nur soziologisch beizukommen.
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