Vandana Shiva, Umweltaktivistin, Globalisierungsgegnerin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises 1993, eröffnet den G20-Gegengipfel in Hamburg.
Ob sie nach zweieinhalb Stunden Vortrag und einem Fernsehinterview keine Pause braucht, frage ich sie. Shiva winkt ab: Keine Zeit, am Mittag wird sie den Gipfel verlassen, aber kein Problem. Wir sind drei Printjournalisten und dürfen sie ins Bistro der Kulturfabrik Kampnagel begleiten. In den missionarischen Eifer, mit dem sie spricht, mischt sich die Routine der vielen Jahre, die sie ihre Botschaft schon verbreitet.
Frau Shiva, was ist Ihre Vision – wie würde Ihr G20 aussehen?
Oh, mein G20 würde kein G20 sein. Wenn wir kein Bewusstsein haben für die anderen Spezies, die auf dem Planeten leben, erschaffen wir eine Wirtschaft der Exklusion. Sehen Sie ein Huhn, das auf einer Wiese Würmer pickt. Stecken Sie das in eine Fabrik, müssen Sie ihm den Schnabel abschneiden, damit es nicht statt der Würmer seine Artgenossen pickt. Und wenn wir das tun, vergessen wir, dass wir selber Tiere sind, dass wir auch in einer Legebatterie sitzen, die dem einen Prozent der Weltbevölkerung gehört, das entscheidet.
In Indien sind Sie ein Idol. Funktioniert diese Vorbildrolle auch für andere Länder?
Vieles ist in allen Ländern gleich. Zum Beispiel sind wir überall darauf angewiesen, dass der Boden fruchtbar ist. Und wenn das nicht der Fall ist, weil zum Beispiel Monsanto Saatgut und Pestizide an die Bauern verkauft, und sie dadurch in ein Armutssystem geraten, verursacht das überall ähnliche Probleme. In Indien gibt es massenhaft Selbstmorde von Kleinbauern.
Könnten wir mit biologischer Nahrung die ganze Menschheit ernähren?
Wenn man dem Boden gute, organische Nährstoffe gibt, geht das auch ins Essen. Gutes Essen ist konzentrierter, und ein guter Boden ernährt langfristig viel mehr Menschen als ein ausgelaugter Boden. Es gibt viele Studien, die das inzwischen beweisen. Deshalb geht es langfristig nur mit biologischer Nahrung.
Das wären doch gute Nachrichten.
Das Problem ist, dass es Gesetze gibt, die lokale Ernährungskooperativen kriminalisieren, die das Gute, das Gesunde, das Nachhaltige, das Lokale kriminalisieren und die Türen öffnen für das nicht Nachhaltige, das Undemokratische, das Zentralisierte, die schlechten Systeme.
Wenn Mikro-Landwirtschaft die Menschen ernähren kann, bleibt immer noch die Frage nach der allgemeinen Produktivität. Unsere Wirtschaft basiert auf Mehrwert, der aus Überproduktion erwirtschaftet wird. Können wir Bereiche wie Mobilität, Gesundheit oder Sozialsysteme erhalten, ohne intensiv zu wirtschaften?
Beim Thema der Produktivität wird die öffentliche Meinung manipuliert. Mikrofarmer zum Beispiel arbeiten nicht unproduktiv. Mikro- Landwirtschaft könnte das Bruttoinlandsprodukt sogar verdreifachen. Was bei den meisten Industrien nicht eingerechnet wird in die Bilanz, sind ja die externen Kosten. Trotzdem gibt es sie. Die Gesellschaft muss sie tragen. Das Wirtschaftssystem, wie es jetzt ist, gibt von der Arbeit der Vielen immer mehr an das eine Prozent der Menschen ab, das bereits reich ist. Die Pyramide dreht sich immer weiter um, das ist strukturell so angelegt. Produktivität heißt in dieser Logik: Effizienz. Ist die Natur effizient? Kann ich ein effizienter Baum sein? Für den Vogel, der darauf wohnt, ist der Baum sehr effizient – aber auf andere Weise.
Ist die Globalisierung das Problem?
Globalisierung ist nichts anderes als die Deregulierung von Allgemeingütern und Machtkonzentration. Schauen Sie die Softwarekonzerne, sie bezahlen praktisch keine Steuern. Dieses System beruht auf Gier, und diese Gier-Ökonomie zerstört unsere Gesellschaften.
Haben Sie selbst denn einen Computer?
Ich habe einen Computer, und das ist gut. Meine Kritik zielt auf etwas anderes. Wir hatten vor der Globalisierung auch Technologien, vielleicht andere, aber sie haben funktioniert. In Kerala, wo ich herkomme, haben wir viele Kokospalmen. Die Fasern der Kokosnüsse nutzen wir für viele Produkte, auch industriell.
Indien und andere Schwellenländer haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Stichwort Modernisierung: Ist Modernisierung immer schlecht?
Viele IT-Spezialisten haben dort neue Jobs bekommen, das ist ok. Aber in anderen Sektoren verlieren wir Jobs, wie in der Landwirtschaft. Sie holt eine Ausgabe der „Newsweek“ aus ihrer Tasche: Sehen Sie, die „Newsweek“ hat hier das Thema „Wandel“ auf dem Titel. Klingt erstmal gut. Und dann schreiben sie: „Natur hat ihre Grenzen, also müssen wir diese Grenzen überwinden“. Aber wie soll das gehen, die Grenzen der Natur zu überwinden? Wir sind doch Teil dieser Natur. Was zählt, sind ja die Muster, das Programm dahinter. Und dieses Programm haben wir auch in unseren Köpfen.
Unser Programm ist aber auf das Wirtschaftssystem ausgerichtet, das wir haben. Wie können wir dieses Bewusstsein verändern?
Das Problem ist ja die Gier, die dahinter steht. Aber Gier ist eigentlich nicht Teil der menschlichen Natur. Es gibt da auch Verbundenheit, Mitgefühl. Und Mitgefühl allein reicht noch nicht, um die Probleme zu lösen, wir brauchen Mitgefühl in Aktion.
Es gibt so vieles, was geändert werden müsste, und das blockiert viele Menschen. Wo sollen wir anfangen?
Die Frage ist nicht, womit wir anfangen, sondern dass wir anfangen. Es ist wichtig, den ersten Schritt zu tun, einfach da, wo man ist, und als die Person, die man ist, mit dem, was man kann. Nach dem ersten Schritt wird der zweite Schritt von selbst kommen, es wird weiter gehen. Das ist das Gesetz der Zwischenmenschlichkeit.
Kommentare 14
schade - zu kurz.
die frau sagt, was sache ist.
und, die interviewer zu berichtigen:
mehrwert stammt nicht aus der überproduktion:
er ist die form des mehrprodukts,
der aus privater gewinn-erzielungs-absicht entsteht.
das konkrete produkt ist im k-system sekundär,
die gewinn-höhe nicht.
kosten gegen die natur(auch des menschen)
sollen nach privaten gewinn-berechnungen möglichst
außen-vor bleiben.
über-produktion stellt sich systemisch her
durch die anarchie der markt-kalkulationen:
ohne gesellschaftliche planung nicht zu vermeiden.
die überschrift ist wiedermal: weit weg vom ziel der aussagen.
dem vergessen ausgesetzt ist:
daß wir lebewesen sind,
mit qualitativen ansprüchen
an unsere sozietät und umwelt.
und das dazu ein denken aller
für gemeinsame ziele vonnöten wäre,
die bevor-zugung der gewinn-interessen weniger
eher hinderlich ist.
mein head-line-vorschlag:
gegen den gipfel der gier.
„Wir haben vergessen, dass wir Tiere sind“
Wer sich selbst als solches begreift; meinetwegen. Nur, auch Frau Shiva sollte ihre (anscheinend heuristisch intendierten) Metaphern besser wählen – es gibt treffendere(!) - und bitte nicht von sich pauschal auf andere schließen. So wird das nämlich nichts mit “ alternativen Formen des Wirtschaftens, Gier und Visionen“. Flach, gaaanz flach! Denn mit solchen Prämissen kommt nichts anderes heraus als –selbstreferentiell: tierische ‚Ambitioniertheit‘, vulgo: Gier- u. Triebbefriedigungsbedürfnis-Option.
Eine „Alternative“ ist das nämlich absolut nicht, wovon sie redet; allenfalls eine selbstreferentielle Variante, nicht aber mal eine Option.
"
Und wenn wir das tun, vergessen wir, dass wir selber Tiere sind, dass wir auch in einer Legebatterie sitzen, die dem einen Prozent der Weltbevölkerung gehört, das entscheidet."
und
"Wir sind doch Teil dieser Natur. Was zählt, sind ja die Muster, das Programm dahinter. Und dieses Programm haben wir auch in unseren Köpfen."
und
"Das Problem ist ja die Gier, die dahinter steht. Aber Gier ist eigentlich nicht Teil der menschlichen Natur."
Wenn sich die Umweltaktivistin ihren Text aus einer etwas allgemeineren Perspektive nochmals durchlesen würde, müsste sie eigentlich ihre Widersprüche darin bemerken.
Was soll man auch machen, wenn eine "Programmierung" in uns drinsteckt (wer oder was hat das denn verursacht?) und gleichzeitig der Antrieb allen Unheils, die Gier, die außerhalb dieser Programmierung vermutet wird, wiederum als Dominante auftritt. Insoweit kann ich auch @Gebe zustimmen.
tja, wenn manmenschheit ,
ungeteilt nach klassen-spezifischen interessen,
als nur gegen die natur gerichtet versimpelt,
kommt man halt zu unkontrollierten aussagen.
verräterisch dabei: wie kommt gerade eine inderin dazu,
das lege-batterie-hafte der menschen zu betonen
und nicht das abrackern im hamsterrad?
daß zum jetzigen stand
ein grad der zu-richtung(programmierung) gehört,
liegt nahe, ist aber genauer zu ermitteln.
nach meiner einschätzung:
ein un-befriedigendes mini-interview,
das die schale ritzt,ohne an den kern zu kommen:
sattsam bekannter profi-pfusch.
Is scho a Wahnsinn, was so alles im Menschen steckt.
Ich bin auch nicht in allen Punkten mit Shiva einverstanden, in der Art, wie sie das Thema angeht - wie im Vorspann angedeutet. Aber in einem gehe ich gegen die Kommentatorin mit ihr mit: Wenn sie sagt, Gier liegt nicht in unserer Natur, meint sie m.E. mit "Natur" eine Matrix, die noch unter der sozialen Prägung liegt, die sie als "Programm" bezeichnet. Unsere Natur ist demnach angeboren, das Programm anerzogen.
S. Kommentar unten:
Zur Gier gesellt sich noch die Angst, z.B. vor sozialem Abstieg, Jobverlust, Mißerfolg, Sanktionen im H4-System usw.
Der Wachstumszwang kommt aus der Warenform. Selbst wenn es weder Gier noch Angst gäbe, wäre dieser Zwang da.
es gibt ja viele köche auf allen seiten, die bekanntlich die suppe versauen.
das ökologische prinzip, das die inderin mit ein par simplen bespielen vorträgt, ist nicht in frage zu stellen.
doch eine gewaltige tatsachen tage sie alle wie einen balken im auge und sehen ihn nicht.
schon mal was vom rattenkäfigversuch gehört??
1972 kam der bericht an den club of rome heraus: Die Grenzen des Wachstums.
und was treiben nicht nur alle g20er? wachstum, wachstum und nochmal wachstum.
der rattenkäfigversuch hat gezeigt, das die wenigen tiere zu anfang des versuchs sich wie ratten in freier natur verhalten. mit zunehmender vermehrung der nager wirds im käfig. das futter wird weiter zur verfügung gestellt, aber der raum wird immer enger, den die tiere zum normalen leben brauchen.
die erde ist der endliche raum oder die grenzen des käfigs sind großzügig vorgegeben. aber mit genug wachstum werden sie früher oder später erreicht. in der enge des rattenkäfigs verändert sich ihr verhalten, bis sie den nachwuchs töten und sich gegenseitig beißen.
wer den versuch nicht kennt, versteht die welt nicht.
das wörtchen eng fehlt in dem satz: mit zunehmder vermehrung der nager wirds eng im käfig.
? - welcher?
Sie sagten, es wäre ein Widerspruch, dass einerseits Gier in unserer Natur läge, andererseits aber nicht. Ich habe das anders verstanden: " Wenn sie sagt, Gier liegt nicht in unserer Natur, meint sie m.E. mit "Natur" eine Matrix, die noch unter der sozialen Prägung liegt, die sie als "Programm" bezeichnet. Unsere Natur ist demnach angeboren, das Programm anerzogen."
"Unsere Natur ist demnach angeboren, das Programm anerzogen."
Wenn das mal sooo einfach wäre.^^ Ich denke, Sie und sie^^ sollten vielleicht mal das gedankliche Wagnis^^ unternehmen, zwischen 'Natur', 'Kreatur' und Kreateur und zudem auch noch hinsichtlich des Wesens eines individuellen Kreateurs zu unterscheiden bedenken. Da tuen sich in der Tat ganze Differenzierungswelten auf.^^