Griechenland Bei den Wahlverlierern hat die Suche nach Erklärungen begonnen. Für die neue Regierung ist das deutsche Besatzungsregime im II. Weltkrieg kein abgeschlossenes Kapitel
Seit Sonntag muss der Krawattenhandel in Griechenland mit Umsatzeinbußen rechnen. Im gewohnten Dresscode, mit offenem Hemdkragen, Jackett und ohne Krawatte, bestreitet Alexis Tsipras seine ersten Termine als Regierungschef. Das muss nicht so bleiben. Mir ihrem phänomenalen Aufstieg ist Syriza als erste Anti-Austeritäts-Partei in der Eurozone an die Macht gelangt. Und sie ist der erste Partei, die eine jahrzehntelange Alleinherrschaft der sozialdemokratischen Pasok wie der konservative Nea Dimokratia durchbricht. Während ein strahlender Tsipras das Ende der »zerstörerischen Sparpolitik« erklärt, geben die Wahlverlierer im klassizistischen Zappeion reihum Presseerklärungen ab.
„Man hat mir angetragen, glühende Kohlen in die Hände zu
ir angetragen, glühende Kohlen in die Hände zu nehmen, und ich habe es getan“, sagt ein sichtlich niedergedrückter Ex-Premier Antonis Samaras. Seine Nea Dimokratia, die statt bisher 129 nur noch 76 Parlamentsmandate beanspruchen kann, richtet sich als Opposition ein. Auch Pasok-Chef Evangelos Venizelos hat wenig Grund zur Freude. Die einstige Volkspartei schaffte zwar mit 4,7 Prozent den Sprung ins Parlament, erzielte aber das schwächste Wahlergebnis ihrer Geschichte und schrumpft nun endgültig zum politischen Zwergen. Verantwortlich für das schlechte Abschneiden seiner Partei sei Jorgos Papandreou, so Venizelos. Der Sohn des Pasok-Gründers Andreas Papandreou hatte 20 Tage vor der Wahl eine eigene Partei, die Bewegung der Demokraten und Sozialisten, ins Leben gerufen, scheiterte aber an der Drei-Prozent-Hürde. Nicht minder verantwortlich sei Jorgos Papandreou für das Aufrücken der rechtsextremen Goldenen Morgenröte zur drittstärksten Kraft im Parlament. Die Neonazipartei erhielt 6,3 Prozent, obgleich ihre Parteiführung seit Monaten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft sitzt, von wo aus sie den Wahlkampf führte. Mutmaßungen über BallonsDie liberal-konservative Tageszeitung Kathimerini erklärt den kometenhaften Aufstieg Syrizas mit einer verfehlten, bürgerlichen Politik und einem ansteigenden, aggressiven Populismus. Sie wird sich in ihrem Urteil bestärkt finden angesichts der Links-Rechts-Allianz zwischen Tsipras und den Unabhängigen Griechen (ANEL), deren Parteichef Pamos Kammenos immerhin das Verteidigungsministerium übernimmt. Was alle Parteien eine, so das Blatt, sei die Dämonisierung der EU, die Wehklage über das Not leidende Volk und je nach politischer Ausrichtung, der nachlässige oder übereifrige Standpunkt in Sachen Migration. Syriza sei in Wirklichkeit eine Luftblasen-Partei, die wie jeder Ballon irgendwann platzen müsse. Was das Land jetzt brauche, sei eine nationale Übereinkunft in den dringlichsten Fragen und eine Opposition, die verantwortungsbewusst und ohne die üblichen parteitaktischen Manöver handelt. Die linksliberale Ta Nea, die jahrzehntelang die Pasok-Sozialdemokratie unterstützt hat, sieht im Wahlsieg Syrizas dagegen eine historische Chance für einen Linksruck in Europa.Tatsächlich zeugt das Votum vom 25. Januar nicht von einer neuen ideologischen Ausrichtung der Bürger oder gar vom Wunsch nach einem Linksruck innerhalb Europas, auch wenn es in Deutschland zuweilen so aussehen mag. Eine Nation, in der der Klientelismus so tief verwurzelt ist wie der Glaube an Gott, wandelt sich nicht über Nacht zum Verfechter des Sozialismus. Richtig ist: Syriza hat in Massen Wähler hinzugewonnen – doch eine Massenbewegung, wie vormals Pasok und Nea Dimokratia, ist sie nicht. Wie auch, wenn bei einer Wahlbeteiligung von 63 Prozent 36,4 Prozent Syriza gewählt haben. Was die meisten Bürger bewog, für Tsipras zu stimmen, sind vielmehr die vielen und zu hohen Steuern und eine, wie es landesweit empfunden wird, mit Füßen getretene Volksseele. Zuallererst aber war es der schlichte Wunsch, die Chefs der seit über 30 Jahren abwechselnd regierenden Klientel-Verbände Nea Dimokratia und Pasok endlich aus dem Amt zu fegen. Zu groß war die angestaute Wut über die bis in die Knochen vom Klientelismus durchdrungenen Politiker. Mit anderen Worten: Syrizas Aufstieg ist ein Erfolg der Troika.Wenn sich jemand zum linken Lager zählen darf, dann ist es Alexis Tsipras selbst. Unmittelbar nach der am Montag im Eiltempo vereinbarten Koalition mit ANEL, der Partei der Unabhängigen Griechen, und seiner Vereidigung als Premierminister, die übrigens zum ersten Mal in der Geschichte Griechenlands nicht auf die Bibel erfolgte, besuchte Tsipras die Gedenkstätte Kesariani im Osten Athens. 600 Menschen wurden dort während der deutschen Besatzung hingerichtet, darunter 200 kommunistische Häftlinge.Vaterland, Orthodoxie, FamilieGegen diese ersten Amtshandlung des neuen Premiers dürfte Koalitionär ANEL nicht viel einzuwenden haben. Für Kammenos sind die Troika und besonders Deutschland Okkupanten, von denen Griechenland befreit werden muss. Beide Parteien sind sich darin einig, die Sparpolitik umgehend einzustellen, die Schulden zu streichen und von Deutschland Reparationen für die NS-Besatzung einzufordern. ANEL beziffert die Verbindlichkeiten aus der NS-Zeit auf 162 Milliarden Euro plus Zinsen. Doch damit enden auch schon die Gemeinsamkeiten der beiden Partner. Panos Kammenos (50) neoliberal und ultrawohlhabend, ist ein geifernder Nationalist und typischer Vertreter des Klientelismus. Vaterland, Orthodoxie, Familie – so lässt sich sein Weltbild zusammenfassen. Seine Nähe zu den Neonazis demonstrierte er 2013, als er gegen die Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Abgeordneten der Goldenen Morgenröte stimmte. Mit Kammenos als Verteidigungsminister wird der ewige Namensstreit um Mazedonien ebenso angefacht werden wie der Zypernkonflikt. Auch gespannte Beziehungen zur Türkei sind nicht unwahrscheinlich.Die Koalition mit ANEL birgt für Syriza innerparteilichen Sprengstoff und das Risiko des Scheiterns. Für Griechenland bedeutet das den baldigen und erneuten Gang zu den Wahlurnen. Ein Ende der Krise ist nicht abzusehen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.