Als kürzlich Polens Präsident Kwasniewski im Weißen Haus eintraf, begrüßte ihn George Bush mit den Worten: »Ich habe heute keinen besseren Freund in Europa«. Das war nicht nur in Diplomatie getränkte Schmeichelei, wie man seit einer Woche weiß. Die US-Regierung glaubt, sie habe es mit einem »alten« und einem »neuen« Europa zu tun. Und die Scheidelinie verläuft pikanterweise genau dort, wo sich einst West und Ost im Kalten Krieg gegenüberstanden.
Auch wenn immer klar war, dass die NATO aus Sicht der USA nicht vorrangig als »transatlantisches Wertebündnis«, sondern als essentielles Instrument amerikanischen Einflusses auf Europas gebraucht wird. Wenn sich darüber hinaus nie übersehen ließ,
ließ, dass die Osterweiterung der Allianz weniger dem Demokratie-Export diente, sondern die Amerikaner bediente, damit sie bei allen wichtigen europäischen Entscheidungen dank der »neuen« Partner mit am Tisch sitzen konnten - wenn man das alles von keinem Geringeren als Verteidigungsminister Rumsfeld so eindrucksvoll bestätigt bekommt, ist das schon ein bemerkenswerter Vorgang. Während Deutschland und Frankreich als »altes«, bedeutungslos gewordenes Europa firmieren, repräsentieren Kwasniewskis Polen, Spidlas Tschechien und Medgyessys Ungarn dank atlantischer Nibelungentreue den »neuen«, der Zukunft zugewandten Teil des Kontinents.Froh darüber, erstmals in Westeuropa Kritik am aggressiven Neoimperialismus der US-Administration zu hören, möchte man spontan jenen zustimmen, die Rumsfeld vom Kopf auf die Füße stellen, indem sie verkünden, es seien Schröder und Chirac, die mit ihrer Distanz zu Bush für »neues« europäisches Denken und Handeln stünden. Einem solchen Ansatz könnte die Einsicht zugrunde liegen, dass ein »Projekt Europa« nur dann einen Sinn ergibt, wenn es sich aus der politischen und militärischen Umklammerung durch die USA - nicht nur strukturell, sondern auch intellektuell - befreit. Wenn das so ist, dann zementieren Kwasniewski Co. mit ihrem willfährigen Pro-Amerikanismus ein »altes« Europa, das sich - ob politisch oder militärisch - nur bewegt, wenn Washington dazu nickt. Solche »trojanischen Pferde« der Amerikaner können die europäische Integration empfindlich stören und das »Projekt Europa« als Projekt selbstbestimmten zivilisatorischen Seins zu Fall bringen.Nichts gegen dieses »neue« Europa-Verständnis. Aber was haben ausgerechnet Gerhard Schröder und Jacques Chirac damit zu tun? Es ist schon seltsam, dass die pazifistischen Instinkte des Kanzlers immer dann besonders stark sind, wenn Wahlen anstehen. Und Frankreichs Präsident? Er gilt seit dem französisch-britischen Gipfel von St. Malo Ende 1998 als Mit-Architekt einer europäischen Verteidigungsidentität. Dass die damals beschlossene Aufstellung einer Schnellen Europäischen Eingreiftruppe (ERRF) nicht auf eine größere europäische Verteidigungsautonomie, sondern lediglich auf einen gestärkten »europäischen Pfeiler« des US-dominierten Nordatlantikpakts zielte, wurde spätestens beim Prager NATO-Gipfel im Spätherbst 2002 deutlich. Der alte Kontinent ließ sich bei dieser Gelegenheit ohne die geringste Gegenwehr von den USA eine NATO-Reaktionstruppe (NRF) verordnen. Kein Problem, schallte es aus Westeuropas Hauptstädten, NRF und ERRF würden sich prächtig ergänzen - nachdem im Ernstfall die NATO-Formation NRF zugeschlagen habe, könne sich die Euro-Formation ERRF um das Peace keeping kümmern.Mit eigenständiger europäischer Wehrpolitik hat das nur sehr bedingt zu tun. Kann es daher verwundern, dass die Mittelosteuropäer die USA unverändert als Leitmacht in sämtlichen verteidigungspolitischen Fragen akzeptieren und sich entsprechend verhalten, das heißt, grobkörnigen amerikanischen Bedrohungsanalysen eher glauben als von europäischem Pathos überstrahlten Unverbindlichkeiten westeuropäischer Provenienz. Dass sich NATO-Novizen wie Polen, Tschechien und Ungarn aktiv an der Vorbereitung des Irak-Feldzuges beteiligen, mag vielen überzeugten Europäern als Düpierung der europäischen Sache erscheinen. Aus Sicht der betreffenden Staaten ist es zuallererst eine konsequente Reaktion auf die sicherheitspolitische Inkonsequenz Westeuropas. Höchste Zeit gegenzusteuern und den Mittelosteuropäern klar zu machen, dass der Schlüssel für Europas Sicherheit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts nur in einer multipolaren trans-eurasischen Verteidigungsidentität liegen kann, da der Weg, den die USA seit Anfang der neunziger Jahre, vor allem jedoch seit dem 11. September 2001 gehen - globale Hegemonie um jeden Preis - kein europäischer ist. Die jüngsten Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages wären ein guter Rahmen gewesen, entsprechende Signale in mittelosteuropäische Richtung zu senden. Die Chance wurde leider vertan. Aber noch ist es beispielsweise möglich, Fragen der militärischen Beschaffung und Umrüstung zum integralen Bestandteil der EU-Beitrittsverhandlungen zu erheben. Stichwort: Kampf-Flugzeuge. Könnte es sein, dass Polens Präsident Aleksander Kwasniewski deshalb als »bester europäischer Freund« des US-Präsidenten und aussichtsreicher Kandidat für den Posten des NATO-Generalsekretärs gilt, weil sich Warschau nach aggressiver Lobby-Arbeit der Amerikaner Ende 2002 für die Anschaffung amerikanischer F-16 entschieden hat? Andere aus der Reihe einstiger Ostblockländer sind noch nicht soweit. Im europäischen und im nationalen Interesse dieser Staaten wäre der Erwerb preiswerter russischer MiG-29 über das deutsch-russische Gemeinschaftsunternehmen MAPS wünschenswert. Ein deutscher Kanzler, der diesbezüglich in der Region vorstellig wird und dabei auf die Unterstützung seines französischen Amtskollegen zählen kann - das wäre einmal wirklich »neu« für Europa.