Positiver Frieden

Dossier Das Konzept «Positiver Frieden» zielt auf einen dauerhaften Frieden ab, in dem nicht nur die direkte Gewalt eingestellt wird, sondern auch indirekte und strukturelle Formen von Gewalt präventiv und nachhaltig beseitigt werden ...
Ein Schwarm Tauben in Jamal Mina, Afghanistan.
Ein Schwarm Tauben in Jamal Mina, Afghanistan.

Foto: ROBERTO SCHMIDT/AFP/GettyImages

Frieden ist mehr als Abwesenheit von Krieg. Moderne gewaltvolle Konflikte haben nicht nur direkte, sondern auch indirekte und strukturelle Ursachen, wie z.B. Armut, Hunger, politische Diskriminierung, inner- oder zwischenstaatlichen Wettbewerb und Konkurrenz. Der Begriff «Positiver Frieden» berücksichtigt diese Aspekte und zielt auf einen Zustand ab, in dem nicht nur die direkte Gewalt eingestellt wird, sondern auch indirekte und strukturelle Formen von Gewalt präventiv und nachhaltig beseitigt werden.

Frieden neu denken

Moderne gewaltvolle Konflikte haben nicht nur direkte, sondern auch indirekte und strukturelle Ursachen, wie z.B. Armut, Hunger, Diskriminierung, inner- oder zwischenstaatlichen Wettbewerb und soziale Spaltung.

In den meisten Fällen spielen vielschichtige direkte und indirekte Aspekte eine Rolle. Viele davon können eher auf nationaler, innerstaatlicher Ebene betrachtet werden, wie z.B. politische Diskriminierungen, Menschenrechtsverletzungen und ungerechte Verteilung; andere müssen auf regionaler und/oder globaler Ebene analysiert werden, wie z.B. Stellvertreterkriege, Folgen von Klimawandel und Umweltschäden, Konkurrenz um Absatzmärkte und globale Ressourcen, Freihandelsabkommen etc. Diese tieferliegenden Ebenen von gewaltvollen Konflikten machen es nicht nur schwierig, Konflikte zu verstehen und zu analysieren, sondern auch und vor allem, einen sinnvollen und vielschichtigen Ansatz von Friedenspolitik zu verfolgen, der diese Aspekte in den Blick nimmt und nicht nur auf eine Einstellung direkter Gewalt abzielt.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat sich Konfliktkontexte weltweit angeschaut und ihre Ursachen, Prozesse und mögliche Transformationen analysiert. Sie fragt: Welche Formen struktureller Gewalt sehen wir? Wie und an welchem Punkt verwandeln sich diese in direkte Gewalt? Welche Formen von Widerstand und soziale und politische Bewegungen gibt es – gegen direkte und indirekte Gewalt? Was sind linke politische Antworten auf direkte und strukturelle Gewalt? Wie kann eine linke «Positive Friedenspolitik» aussehen?

1. Konfliktanalysen

Konflikte erhalten zumeist erst dann globale Aufmerksamkeit, wenn sie gewaltförmig geworden sind. Oft werden sie dann verkürzt betrachtet, z.B. als Religions- oder ethnische Konflikte oder als rein geopolitische oder regionale Konflikte. Doch zumeist beginnen diese Konflikte als Verteilungs- oder Befreiungskonflikte, die dann entlang konfessioneller oder ethnisch-regionaler Grenzen sowie auf internationaler und regionaler Ebene ausgetragen werden. Kritische Konfliktanalysen müssen daher die Konfliktursachen analysieren und die verschiedenen Akteure, nationale wie internationale, Konfliktprofiteure und Konfliktleidtragende, und ihre Interessen untersuchen.

2. Konfliktursachen

Positiver Frieden bedeutet, Frieden nicht erst zu denken, wenn das Kind schon längst in den Brunnen gefallen ist. Die Konfliktursachen müssen in den Blick genommen werden. Mehr noch: Die Konflikte sind schon längst da, bevor sie offen gewaltförmig ausgetragen werden. Positive Friedenspolitik setzt darum an den Konfliktursachen an, die es präventiv zu beheben gilt. Konfliktursachen der letzten Jahrzehnte, die eine Politik des Positiven Friedens darum in den Blick nehmen, analysieren und kritisieren muss, sind: Politische Diskriminierungen, Menschenrechtsverletzungen, ungerechte sozio-ökonomische Verteilung, die Verhältnisse von Kooperation und Konkurrenz zwischen Staaten und Staatenblöcken um Absatzmärkte und globale Ressourcen in der kapitalistischen Weltwirtschaft, die westliche Politik des Freihandels, geopolitische Interessenpolitik, die lokale Konflikte schnell zu Stellvertreterkriegen ausweitet oder der Klimawandel, der Landstriche veröden lässt und als eine zentrale Fluchtursache Verteilungskonflikte befördert. All diese Dinge fallen unter das Themenfeld der Konfliktursachen, die präventiv angegangen werden müssen, wenn Frieden mehr sein soll als bloß die zeitweilige Abwesenheit von Krieg.

3. Konflikttransformation

Auf die Konfliktanalysen folgt die Frage nach Konflikttransformation, also Friedenspolitik. Eine „one size fits all“-Lösung für so verschiedenartige Konflikte wie in Mali, Süd-Sudan oder Syrien gibt es selten. Zugleich gibt es Leitlinien einer linken Friedenspolitik mit friedlichen Mitteln. Eine linke Politik der Konfliktbearbeitung will den laufenden Gewaltkonflikt deeskalieren und setzt dabei vor Ort auf die Kräfte der Gewaltfreiheit. Eine solche linke Friedenspolitik kann dabei jedoch auch die Eskalation dort meinen, wo die Konflikte herrühren, wenn sie z.B. in Gestalt des ausländischen Ressourcenhungers gar nicht im Inland, sondern im Ausland, womöglich in unseren Heimatstaaten liegen. Eine Politik linker Gewaltalternativen zielt dabei langfristig auf Transformation, auf die Bedingungen eines Positiven Friedens, bei dem soziale und transformative Gerechtigkeit die Voraussetzung für ein dauerhaftes Waffenruhen ist.

Zum Dossier „Positiver Frieden“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung

14.06.2021, 16:48

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