„Ich habe nie eine Geschichte diktieren wollen. Schon das Wort diktieren erklärt es. Eine diktierte Wahrheit wird sich nie im Besitz des Empfängers befinden. [...] Die Arbeiten sind in Verbindung mit der Landschaft entstanden und nicht so sehr durch mich. Das verleiht ihnen einen offeneren Zugang oder eine Offenheit für Interpretationen, wenn man so will.“ – Rune Guneriussen
Nostalgische Leuchten sind zur blauen Stunde in entlegenen, düsteren Wäldern gruppiert. Stühle erscheinen zu Türmen verkeilt an Fjordufern oder ballen sich in schroffen Spalten schneebedeckter Felsen. Altmodische Telefone finden sich streng formiert an zerklüfteten Küsten. Zahlreiche Bücher ummanteln Baumstämme oder sind derart bündig zwischen Felsbrocken eingebracht, dass sie diese wie eine homogene Masse zu umfließen scheinen. Die Installationen, die der norwegische Künstler Rune Guneriussen in seinen großformatigen Fotografien festhält, wirken seltsam verwunschen, unwirklich und tragen bei all ihrem ästhetischen Reiz auch ein Quäntchen Beunruhigung in sich. Dieses speist sich aus der Rätselhaftigkeit der Situation und dem ungewöhnlichen Spannungsfeld zwischen Natur und Menschengemachtem. Die meist englischsprachigen Titel seiner Fotografien bieten einen vagen poetischen Einstieg zum Werk, doch nicht selten verklären sie gleichermaßen. [...]
Wenn Rune Guneriussen in der Natur arbeitet, ist er fast ausschließlich allein. Dies betrifft auch den Aufbau seiner Installationen. Angesichts der Abgeschiedenheit der Landschaften und der benötigten Materialmenge ist dies keineswegs eine praktische Erwägung, doch ermöglicht sie dem Künstler die Arbeit in Ruhe und Isolation. In abgelegenen Landschaften allein in hohe Baumkronen zu steigen, birgt Gefahren. Und doch ist diese Einsamkeit für ihn, der nach eigener Aussage seit seiner Kindheit in engster Verbindung zur Natur steht, der Kern seiner Arbeit. Viele Stunden ist der Künstler damit beschäftigt, die jeweilige Komposition final festzulegen, die Objekte zu platzieren, die vielen Meter Stromkabel zu verstecken oder eigene Fußspuren zu beseitigen, um dann auf das richtige, oft dämmrige Licht zu warten. Früh baut er die Kamera auf, um mit ihrer Hilfe immer wieder zu prüfen, wie die räumliche Installation in der zweiten Dimension der Fotografie Wirkung erlangt. Am Ende fotografiert er die von ihm geschaffene Szene mit seiner analogen Plattenkamera in höchster Auflösung, um selbst dem kleinsten Detail eine Aufmerksamkeit zu verschaffen, die unser natürliches Sehen übersteigt. Eine digitale Nachbearbeitung nimmt er nicht vor. Auch wenn die Schönheit im Werk Rune Guneriussens ohne Zweifel besteht und durchaus intendiert ist, beschreibt der Künstler in einem Interview auch das Befremden und das Angstgefühl, das er eines Tages bei der Arbeit vor Ort empfand. Tagelang war er 2011 mit dem Werk A parasitic gesture – hier gemeint ist das Einzelwerk, nicht das Gesamtprojekt – beschäftigt. Die Fotografie zeigt nostalgische Leuchten, die im Licht der blauen Stunde an den Ästen eines Baumes emporgeklettert zu sein scheinen, als planten sie, sich dort zur Nachtruhe niederzulassen. Der Baum befindet sich direkt an der Uferlinie eines kleinen vereisten Sees. Der Künstler berichtet, wie er sich nach dem Aufbau ein kurzes Stück von der Stätte entfernt habe, die Installation weiterhin hell erleuchtet. Als er bei seiner Rückkehr das von ihm geschaffene Gebilde aus der Ferne erblickte, überkam ihn ein ängstliches Unbehagen. Stark habe er wahrgenommen, wie störend und bedrohlich die Installation in der Natur wirkte: „Sie passt nicht hinein. Vielleicht sorgt die Fotografie dafür, dass sie sich einfügt, aber sie passt wirklich nicht hinein.“
Für gewöhnlich baut Rune Guneriussen seine Installationen unmittelbar nach dem Shooting ab. Er hinterlässt keine Spuren, und die traumgleichen Szenen, die er für einen kurzen Zeitraum erschafft, erblickt nur er selbst mit eigenen Augen. Die Auswirkungen, die unsere menschliche Existenz auf unseren Lebensraum hat, betrachtet der Künstler mit Sorge, wie er verschiedentlich äußerte. Unser Handeln gegenüber unserer natürlichen Umgebung empfindet er als invasiv. Die Gebrauchsgegenstände in seinen Werken des Projekts A parasitic gesture sind so auch als Manifestationen der Massenproduktion und als Teile der Konsumkultur zu verstehen. Sie werden zum Sinnbild eines Zeitalters, in dem der Mensch nicht nur lokal in die Natur eingreift, sondern ebenso auf globaler Ebene ihre Prozesse verändert. [...]
[So gerät unser Umgang] mit einer mächtigen und doch fragilen Natur ebenso ins Blickfeld wie Fragen nach der Entwicklung der Menschheit, Beobachtungen zu ihrem sozialen Verhalten, zu Isolation oder Gruppengefügen. Gleichzeitig sind diese Arbeiten für den Künstler Rune Guneriussen Ausgangspunkt einer ständigen Prüfung und Befragung des eigenen Verhältnisses zur Natur:
„Seit meiner Kindheit spielt die Natur eine große Rolle in meinem Leben – indem ich sie beobachte, in ihr lebe und, was noch wichtiger ist, indem ich das Gefühl bewahre, ein Teil von ihr zu sein. Ich habe das schon oft gesagt. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen sich von einer Verbindung zur Natur entfernt haben. Die Menschen haben begonnen, das Verständnis dafür zu verlieren, wie wichtig die Natur für ihr eigenes Überleben ist – ungeachtet aller technischen Revolutionen. Ich weigere mich, ein Teil dieser Entwicklung zu sein.“
Auszug aus Rune Guneriussen – Eine Annäherung von Katrin Hippel. Der vollständige Text wurde im – parallel zur Ausstellung Lights Go Out erscheinenden – Katalog veröffentlicht.