„1990 hörte Ruth Wolf-Rehfeldt (*1932 in Wurzen) auf, künstlerisch zu arbeiten – kompromisslos, wie ihr Werk selbst. Wenn eine Künstlerin ihrer Zeit so weit voraus ist, ist es nur konsequent, zum selbst ausgewählten Zeitpunkt aufzuhören zu produzieren, in der Gewissheit, dass alles gesagt wurde und es gültig bleibt. Es war die ungewöhnliche Entscheidung einer Künstlerin, die sich den Zwängen der Kunstwelt und des Kunstmarkts gleichermaßen widersetzte. Einer Künstlerin, die mit Fleiß, Humor, Leichtigkeit und einer beneidenswerten Distanz zum eigenen Schaffen an ihrer Schreibmaschine gearbeitet hat. Die ihren Weg gegangen ist und deren Werk so viel Potenzial hat, Künstler:innen kommender Generationen zu inspirieren. Die Ausstellung Nichts Neues folgt den Worten der Künstlerin. Ihre Werke zeigen den Weg. So bilden ihre Werktitel Themen und Überschriften der drei Ausstellungsepisoden. Anhand einer inhaltlichen Auseinandersetzung möchten wir herausfinden, welche drängenden Fragen die Künstlerin dazu bewegt haben, sich an die Schreibmaschine zu setzen und loszutippen, Zeile für Zeile.“ – Paola Malavassi
Die erste Episode »Viele Offene Fragen« konzentriert sich auf das Aufspüren und Überwinden physischer, kognitiver und systemischer Grenzen. »Ob die Natur sich nicht übernahm, als sie sich den Menschen leistete« ist die Ausgangsfrage der zweiten Episode.
Die Themen Umweltzerstörung, Umweltschutz und das Verhältnis von Mensch und Natur finden sich immer wieder im Werk der Künstlerin. Darüber hinaus setzte sie sich intensiv mit weiteren gesellschaftsrelevanten Themen wie Informationstechnologien, Feminismus, Zwischenmenschlichkeit und den Auswirkungen des Kalten Krieges auseinander.
Die letzte Episode stellt die Frage »Wo stehen Sie?« und lädt dazu ein, die eigenen Standpunkte und Überzeugungen zu reflektieren. Bereits in den frühen 1960er-Jahren schrieb Wolf-Rehfeldt erste Gedichte und schuf als Autodidaktin Pastelle, Zeichnungen und Gemälde. Ihren Schreibmaschinengrafiken, die sie selbst »Typewritings« nannte, ging eine langjährige und intensive Auseinandersetzung mit Bild, Schrift und Sprache voraus. Ruth Wolf-Rehfeldts erste Typewritings entstanden 1972. Die Schreibmaschine wurde zu ihrem künstlerischen Produktionsmittel. Sie experimentierte mit der Bildwerdung von Sprache und legte den Grundstein für ihre konkrete Poesie.
In einem Manuskript mit dem Titel Signs Fiction erklärte die Künstlerin, wie bereits vorhandene Zeichen für sie zu Bausteinen von fiktiven Zeichen wurden, indem sie den Wörtern und alphabetischen Symbolen neue Bedeutung verlieh. Die Eigenschaften des Alphabets wurden zum Material ihrer visuellen Kompositionen. So verwendete Wolf-Rehfeldt sprachliche Zeichen jenseits ihrer linguistischen Bedeutung und entwickelte in ihren Typewritings sukzessive eine eigenständige Formsprache.
Ruth Wolf-Rehfeldt war mit einem großen Netzwerk von internationalen Künstler:in-nen verbunden, das als Mail-Art-Bewegung bekannt ist. Sie und ihr Partner Robert Rehfeldt waren in der DDR Pioniere dieser Form des künstlerischen Austauschs, die eine unzensierte Zirkulation von Kunst und Ideen ermöglichte. Nach dem Fall der Berliner Mauer stellte Wolf-Rehfeldt ihr künstlerisches Schaffen vollständig ein, da sie die Funktion der Kunstproduktion und -verbreitung durch die neu gewonnene Freiheit grundlegend verändert sah.
Die Ausstellung wird von Paola Malavassi und Marie Gerbaulet kuratiert. .