Eine zentrale Aufgabe

Hintergrund Die Frage, wem das koloniale Erbe in den europäischen Museen gehört, wird heftig debattiert. Dabei zeigt sich, wie wichtig es für Kultureinrichtungen ist, die Herkunft des Besitzes zu klären. Ein Beitrag des Direktor des Archivs Werner Heegewaldt
Anna Dorothea Therbusch (geb. Lisiewska), Bildnis des Malers Harper, 1761–1763, Öl auf Leinwand, Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung
Anna Dorothea Therbusch (geb. Lisiewska), Bildnis des Malers Harper, 1761–1763, Öl auf Leinwand, Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung

© Akademie der Künste, Berlin, Foto: Oliver Ziebe

Die westafrikanischen Benin-Bronzen oder das Luf-Boot aus der Südsee sind aussagekräftige Belege dafür, dass es um mehr als Rechts- und Eigentumsfragen geht. Es geht um die ideelle Bedeutung von Kunst und die Klärung und Anerkennung, im besten Falle auch um die Wiedergutmachung historischen Unrechts. Kunstwerke und Kulturgüter sind identitätsstiftend und ihr Besitz ist daher von großer emotionaler Bedeutung.

Das gilt für die Kulturen, in denen sie entstanden sind, genauso wie für die Menschen, denen sie gehörten, oder für deren Nachkommen. Und natürlich auch für die Museen und Sammlungen, deren Aufgabe ihre Bewahrung und Vermittlung ist. Eine Herausforderung der Provenienzforschung besteht darin, die verschütteten und auch verdrängten Geschichten über die Herkunft von Kunstwerken und ihre Besitzer zu recherchieren und ins Bewusstsein zurückzuholen. Gerade weil der Verlust der Kunstwerke häufig mit Krieg und Repression verbunden war, ist eine Klärung für die Beteiligten so wichtig. Das gilt für das koloniale Erbe ebenso wie für NS- Raubkunst oder Fälle von Kunstgutentzug in der DDR, auch wenn sich die Problemlagen stark unterscheiden. Erst die genaue Kenntnis des konkreten Falles ermöglicht eine Beurteilung und eine Abwägung von juristischen, historischen und politischen Argumenten

Seit der Washingtoner Erklärung von 1998 ist die Provenienzforschung zu einer zentralen Aufgabe für alle sammelnden Einrichtungen geworden. Die rechtlich unverbindliche und doch wirksame Vereinbarung sorgte erstmals für die Verpflichtung, in der NS-Zeit beschlagnahmte Kunstwerke zu identifizieren sowie gerechte und faire Lösungen zwischen den ehemaligen Eigentümern und den heutigen Besitzern zu finden. Die Recherchen bedeuten zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Kultureinrichtung. Nicht nur das Selbstverständnis der Sammlungen wird hinterfragt, es muss überprüft werden, in welchem politischen Kontext Erwerbungsentscheidungen erfolgten und ob sie heute noch Bestand haben.

Spektakuläre Berichte über NS-Raubkunst oder Kunstwerke aus kolonialem Kontext erregen immer wieder große mediale Öffentlichkeit und haben das Thema Provenienzforschung bekannter gemacht. Die Vielschichtigkeit dieses Forschungsgebiets und die damit verbundenen Fragen und Probleme sind aber meist nur Fachkreisen bewusst. Die Ausstellung „SPURENSICHERUNG“ will einem breiten Publikum einen Zugang zu diesem Aufgabenbereich vermitteln und aufzeigen, wie anspruchsvoll es ist, faire und nachvollziehbare Aussagen über Besitz und Zugehörigkeit zu treffen und juristisch-moralische Spielräume auszuloten.

Nur so können unterschiedliche Bewertungen verstanden und eine gesellschaftliche Akzeptanz für Restitutionsentscheidungen erzielt werden. Ausgangspunkt sind neue Erkenntnisse über die Herkunft von Gemälden, Büchern, Archivalien und Objekten aus den Sammlungen der Akademie der Künste. Sie ermöglichen den Besucherinnen und Besuchern eine andere Sicht auf altbekannte Werke und zeugen davon, dass Provenienzforschung über die Klärung von Eigentumsfragen hinaus Erkenntnisgewinn verspricht.

Die Forschungsergebnisse liefern wichtige Informationen über die Entstehung der Werke, die Biografie von Künstlern und Künstlerinnen oder auch die Erwerbungspolitik der Akademie. Vor allem aber halten sie die Erinnerung an Menschen wach, die im Besitz der Objekte waren und für die sie ideelle Bedeutung hatten. Drei sehr unterschiedliche Bereiche der Herkunfts- und Besitzgeschichte von Kunstwerken stehen im Mittelpunkt: Es geht um die Identifizierung von NS-Raubkunst in den eigenen Beständen und um die Rolle der Akademie der Künste in der Zeit des Nationalsozialismus; um die Suche nach den im Zweiten Weltkrieg verlorenen Sammlungen der Preußischen Akademie der Künste; und schließlich um die Auseinandersetzung mit den Bemühungen des DDR-Staatsapparates, in den Besitz verwertbarer Kunstgüter zu gelangen.

An aussagekräftigen Beispielen macht die Ausstellung die detektivischen Methoden deutlich, „sichert Spuren“ und erzählt die „Geschichte(n) hinter den Werken“. Häufig sind diese Geschichten Ergebnis einer mühevollen, aber spannenden Recherchearbeit, in der ganz unterschiedliche Spuren verfolgt und Puzzlesteine zu einer nicht immer lückenlosen Werkbiografie zusammengesetzt werden. Zu den Objekten gehört ein wiederentdecktes Buch aus der verschollenen Bibliothek des Philosophen Walter Benjamin, die von der Gestapo beschlagnahmten Sammlungen des Kunstkritikers Alfred Kerr, ein Skizzenbuch aus dem Nachlass von Max Liebermann, verloren geglaubte Ölskizzen von Carl Blechen oder auch die private Gemäldesammlung des Malers und Akademie- Präsidenten Otto Nagel, die nach seinem Tode die Begehrlichkeit der DDR-Kulturpolitik erregte.

Dass Provenienzgeschichte einen anderen Zugang zum Verständnis von Kunst eröffnen kann, zeigt beispielhaft die Urania. Die monumentale Skulptur aus dem 18. Jahrhundert begrüßt die Gäste der Ausstellung. Als Sinnbild für die wechselreiche Geschichte der Künstlergemeinschaft und deren kriegszerstörten oder verschollenen Kunstbesitz kehrt sie zu diesem Anlass erstmals in die Akademie zurück. Ursprünglich schmückte sie als Teil eines komplexen Skulpturenprogrammes das alte Akademie-Gebäude Unter den Linden. Heute steht sie übersät mit Wunden, die Granatsplitter und Vandalismus verursacht haben, im Heinrich-von-Kleist-Park in Schöneberg. Den Parkbesucherinnen und Parkbesuchern bleiben ihre Herkunft und ursprüngliche Aufgabe allerdings verborgen.

Diese Publikation will die Themen der Ausstellung vertiefen und wichtige Hintergrundinformationen zu den Objekten liefern. Zwölf „Schlaglichter“ bieten Werkbiografien zentraler Exponate, erläutern deren Herkunftsgeschichte und geben die Besitzfolgen in Provenienzketten wieder. Dabei zeigt sich, dass die Forschungsergebnisse oft nur eine Momentaufnahme darstellen und manche Fragen ungeklärt bleiben. Essays zu den zentralen Fragen der Ausstellung ergänzen die ausgewählten Werkbiografien. Doris Kachel stellt den Arbeitsbereich Provenienzforschung an der Akademie der Künste vor und Anna Schultz veranschaulicht, welche tiefgreifende Zäsur der Zweite Weltkrieg für die Kunstsammlung gewesen ist und welche Folgen daraus erwachsen.

Unter dem Titel „Der Nachlass des Malers Otto Nagel. Von teuren Genossen und enttäuschten Hoffnungen“ untersucht der Spezialist für Kunstrecht Ulf Bischof einen besonderen Fall aus der DDR-Geschichte. Dem Philosophen und passionierten Sammler Stephan Grotz ist ein ungewöhnlicher Fund zu verdanken, der in unserer Ausstellung erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. In einem Gespräch mit Erdmut Wizisla, dem Leiter des Walter Benjamin Archivs, berichtet er über die Entdeckung eines Buches aus Benjamins verschollener Bibliothek, ein „Rarissimum erster Güte“. Aus einer ganz anderen Perspektive nähert sich die zypriotische Künstlerin und Filmemacherin Marianna Christofides dem Thema.

In einer raumgreifenden Mixed-Media-Installation setzt sie sich mit verschiedenen Objekten der Ausstellung auseinander. Einen ersten Eindruck von ihrer künstlerischen Annäherung geben die hier gezeigten Zeichnungen und die Erläuterungen von Anneka Metzger. Die verstörenden Bilder aus dem Khanenko-Museum in Kiew zeigen die akute Bedrohung von Kunst- und Kulturgütern in der Ukraine. Mit dem russischen Angriffskrieg hat die Aufgabe des Kulturgutschutzes eine erschreckend aktuelle Bedeutung erhalten. Am Beginn unserer Beziehung zu den Kiewer Kolleginnen stand die Idee, gemeinsam ein Projekt zu den Zeichnungen des Malers und Akademie-Direktors Eduard Daege zu starten, die sich in Kiew und Berlin befinden. Anna Schultz berichtet in ihrem Beitrag über die verlorenen Sammlungen der Preußischen Akademie. Mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs musste das Khanenko-Museum seinen gesamten Kunstbesitz nun erneut auslagern, um ihn vor der Zerstörung zu bewahren.

Ich danke allen, die zum Gelingen der Ausstellung und dieser Publikation beigetragen haben: den Sponsoren von der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste, dem Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e. V. und der Stiftung Preußische Seehandlung für ihre großzügige und unbürokratische Unterstützung; den privaten und institutionellen Leihgebern für die Überlassung von Exponaten; den Gestalterinnen von Rimini Berlin für das ansprechende Layout, den Vielen, die mit Texten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beitrugen und schließlich den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus der Akademie für die Mitwirkung an diesem Gemeinschaftsprojekt, sei es im Lektorat, dem Registrarwesen, der Bestandserhaltung, im Ausstellungsbereich oder in den Archivabteilungen.

Mein besonderer Dank gilt den beiden Kuratorinnen Doris Kachel und Anna Schultz sowie der Ausstellungsarchitektin Hanna Dettner, sie haben die Ausstellung mit Verve und Kreativität geplant und verwirklicht. Das Ergebnis zeigt deutlich: Provenienzforschung wirft immer wieder neue und spannende Fragen auf und bedeutet stets „Work in progress“.

15.11.2022, 12:58

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Die Zeit und die Spuren

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Zur Ausstellung Provenienzforschung bedeutet mehr als die Klärung von Eigentumsverhältnissen und die Wiedergutmachung historischen Unrechts. Sie ermöglicht eine neue und andere Sicht auf altbekannte Werke
Programm

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Programm Ein Veranstaltungsprogramm mit Diskussionsrunden, vielseitige Vermittlungsangebote sowie eine Publikation mit vertiefenden Essays und Werkbiografien begleiten die Ausstellung

Spurensicherung | Trailer

Video Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen zentrale Aspekte der Besitzgeschichte von Kunstwerken: Es geht um die Identifizierung von NS-Raubkunst in den eigenen Beständen