Formensprache der Mächtigen

Interview Die Künstlerin Torkwase Dyson spricht im Interview mit Arthur Jafa über Arbeits- und Denkweisen, aus denen ihre Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen entstehen. Ein Gespräch über die Sprache der Formen und ihre Verbindung mit Macht – früher und heute
Ausstellungsansicht | Torkwase Dyson
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Foto: Courtesy Hall Art Foundation. Photography: Volker Crone

Arthur Jafa [...] Was ist eine hypershape? Was genau entsteht in diesem Zeitraum von einer Minute?

Torkwase Dyson Ich schlage vor, dass das Dreieck, die Box und die Kurve hypershapes sind, die innerhalb eines festgelegten Systems andere hypershapes hervorbringen können. Ich stelle hier etwa eine Verbindung zwischen Schiffsarchitektur und Pipeline-Infrastruktur her. Beide haben eine diagrammatische Form gemeinsam, nämlich die Kurve. Es ist eine Frage der einfachen Geometrie und Physik. Aber diese bestimmten Formen bergen Wasser und Menschen. Ein halber Kreis. All diese Dinge haben sich in der geteilten Erfahrung der Schwarzen Menschen in ganz besondere Weisen festverorten. Ich würde also sagen, dass die Kurve eine Form ist, die sowohl für die Aktivierung unserer Umweltkrise jetzt verwendet wird, als auch historisch eine Umwelt- und Raumkrise aktiviert hat.Das unregelmäßige Dreieck im Sinne von Harriet Jacobs, dieser Dachboden, dieser Raum, dieser Nicht-Raum, hat so viele architektonische Räume aktiviert, in denen Schwarze Menschen still ausharrten, und Varianten von Reglosigkeit in diesem Raum. Unter Arrest.

Unter Arrest.

Genau. Und dann ist da der Neunzig-Grad-Winkel, wenn man etwa über die Rechteckund Kastenarchitektur der Projects spricht, zur Box, zur modernistischen Architektur, zu einem auction block.Mir geht es um eine Sprache der Formen, die untrennbar mit Macht verbunden war und immer noch ist.Was ich mir also versuche anzuschauen, ist die Geschichte und die Wiederholung dieser Winkel, insbesondere wie sie auftreten, oder wieder auftreten und sich durchsetzen, eine bestimmte Form der Erniedrigung über die Zeit hinweg. Aber ich versuche auch eine bestimmte Art von Bewegung des Widerstands und der Innovation zu lokalisieren. Diese Dinge nenne ich hypershapes.

Was ist dann der Unterschied zwischen einem Rechteck, das eine hypershape ist, und einem Rechteck, das keine hypershape ist?

Die Rechtecke, die hypershapes sind, gehören einer Art der Geschichte an, bei der man eine bestimmte Form entweder einem Selbstermächtigungsraum oder einem Verhandlungsraum der materiellen Welt zuordnen kann. Also, dass Garret wirklich ein herausstechender Raum in der Geschichte ist und wie wir diesen Raum verstehen, stößt auf mehrere Register. Wenn wir also dieses Narrativ verbreiten, verstehen wir durch die Form, was es heißt in einem Schiffsladeraum zu sein. Die Formen, die dann dieses Register nicht erfüllen, arbeiten nicht auf derselben Bedeutungsebene. Man könnte also sagen, dass es Dreiecke gibt, die autonom sind, und solche, die nicht autonom sind. In gebauten Gegenden gibt es derzeit keine Formen, die autonom sind.

Könnte man eine hypershape also als geometrische Form oder Gestalt definieren, die von Schwarzer-existentieller Bedeutung durchdrungen ist?

Das könnte man so sehen. Aber die Sache ist die, wenn ich das dann weiterführe und weiter auf die Dämme,die Pipelines anwende, oder aktuelle städtebauliche Zonen oder Ölplattformen, dann sind das dieselben Formen. Das Ganze ist einfach mit Hyperkapitalismus und moderner Industrialisierung durchtränkt, die dazu da ist, und schon immer dazu da war, Menschen auszubeuten und verschwinden zu lassen. Mein Ausgangspunkt sind diese Narrative, weil ich eine Schwarze Frau bin, die sich besonders für diese Geschehnisse der Geschichte interessiert. Und wennichdiese Formen auflade und nach weiteren Ortensuche, denen sie entsprechen und weiterhin in Bezug auf die Erniedrigungen saturiert werden, dann ist das dasselbe System. Ich fange also mit Black compositional thought, Schwarzem kompositorischen Denken, an und gehe dann zur hypershape, um ähnliche Zustände zu finden, die sich dort fortsetzen, in denen weiterhin überbaut, zerstört und transformiert wird.

Das ist ein weiterer zentraler Begriff für dich, Black compositional thought?

Ja, genau. Das ist ein Arbeitsbegriff, genau wie hypershape.

Ein Arbeitsbegriff. Ist eine hypershape also etwas, das zum System des Black compositional thought gehört?

Genau. Die gehören zusammen. Black compositional thought ist eine Art Gerüst, das ich dazu nutze, um mich selbst als Künstlerin, die sich intuitiv mit räumlichen Zusammenhängen beschäftigt, zu positionieren. Wenn ich also das Black compositional thought als theoretisches und künstlerisches Gerüst anwende, schaue ich mir, wie gesagt, Zusammenhänge von Distanz, Größenverhältnissen, Verschiebung und Raum gleichzeitig an. Ich sehe Schwarze Raumzusammenhänge nicht mehr nur in Bezug auf Richtung – wir haben uns nach Süden, oder Norden, oder Osten, oder Westen bewegt – aber als Phänomen der Distanz. Ich hatte die Vorstellung, dass sich der Atlantische Sklavenhandel zuerst als Distanz in unsere Geister und Körper einschrieb und dann als Richtung. Jetzt denke ich immer über die Größe der Dinge unterhalb von mir nach, die Distanz zwischen ihnen, darüber, ob sie sichtbar sind oder nicht, ob ich ihre Orientierung verstehen kann oder nicht. Wieder eine Politik der Größenordnung. Black compositional thought macht es mir möglich, wirklich bei der Frage von Größenordnung zu bleiben – wir haben ja über Cecil Taylorgesprochen – und sie ins Verhältnis mit, in meinem Fall, Technologie gesetzt, nicht eine Technologie wie bei einem Klavier, sondern eher wie eine Technologie der Geometrie, die für Lebensumwelten und andere Dinge benutzt wird.Wenn ich mich also in die Position des Black compositional thought versetze, mir Geometrien anschaue, die mit unseren existentiellen Erfahrungen und unseren Erfahrungen des Werdens, Seins und der Zugehörigkeit in Verbindungstehen, dann kann ich diese Formen wirklich verstehen und ihr Potential ausschöpfen. Durch dieses Ausschöpfen, indem ich ein System entwerfe, um diese Zeichen und Bewegungen zu machen, kann ich dann mit einer gewissen Geschwindigkeit daran herankommen, wie es gewesen sein muss und wie es möglicherweise ist, und kann so auch andere konkrete Strategien erkennen, die unter diesen Bedingungen funktionieren. Ich bin also weniger an der Box interessiert, von „Box“ Brown,und mehr daran, wie er in unterschiedlichen Geographien immer und immer wieder auftrat, dass es da kein Postwesen gab und dass sich sein Körper drehte. Er und Jacobs machten Löcher in diese Dinge, um Licht reinzulassen – noch ein Kreis.Ich bin also mehr daran interessiert, die verkörperten Distanzen in diesen Dingen zu erkennen, und wie wir daraus lernen können [...] „Was bedeutet es heute, im Schiffsladeraum zu sein? Was bedeutet es, diese ganze Arbeit zu leisten?“

Das Interview mit Torkwase Dyson wurde ursprünglich in Cahiers d'Art veröffentlicht. Neu übersetzt ins Deutsche zusätzlich zu einem Essay und einem weiteren Interview ist es nun im Ausstellungskatalog des Kunstmuseums Schloss Derneburg erschienen.

19.01.2022, 14:54

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