„Black Compositional Thought“

Zur Ausstellung Torkwase Dysons Vorstellung von Abstraktion ist die Grundlage ihrer Arbeiten. Inspiriert von Geografie und Architekturtheorie erforscht sie mit Formen, Linien und Ebenen die bauliche Umgebung, die die Erfahrungen der Schwarzen Bevölkerung geprägt hat
Ausstellungsansicht | Torkwase Dyson
Ausstellungsansicht | Torkwase Dyson

Foto: Courtesy Hall Art Foundation. Photography: Volker Crone

In Torkwase Dysons gesamten Werk arbeitet die Künstlerin mit einem Vokabular an Formen und Gesten, das auf ihrer Theorie des Black Compositional Thought, des Schwarzen kompositorischen Denkens, basiert. Für Dyson stehen die geometrischen Grundformen wie Quadrat, Kurve und Dreieck in Beziehung zur Geschichte der räumlichen Befreiung der Schwarzen Bevölkerung.

Im Zentrum der Ausstellung steht Tuning (Hypershape, 311-520) (2018), eine Installation aus zweihundert kleinformatigen Zeichnungen. Sie bringt das bildsprachliche und philosophische Fundament ihrer Arbeit in einer Installation zusammen und wird hier im Dialog mit Dysons Skulptureninstallation Black Shoreline (2019) und dem Monumentaldyptichon I Can Feel You Now (Accumulation/Distribution) (2018) präsentiert. Dyson nutzt ihre Installation als eine Art Nachschlagewerk für die Neudefinition traditioneller Formen der nicht-narrativen Abstraktion.

Außerdem zeigt die Ausstellung eine Reihe von Dysons atmosphärischen Gemälden, wie etwa My Mind is Clear of Fear (2016). In mehreren, ineinander verlaufenden Schichten Acrylfarbe sind die Flächen und weißen Linien in Dysons Gemälden an bekannte geometrische Formen angelehnt und erinnern an die Schiffsrümpfe, in denen einst Sklaven über den Atlantik transportiert wurden. Anhand dieser Formen befasst sich Dyson mit Infrastrukturen der Macht, wie sie bei Rassentrennung, Vertreibung, wirtschaftlicher Ausbeutung und Migration zum Tragen kamen, sowie mit der Frage, wie architektonische Räume zur räumlichen Befreiung der Schwarzen beigetragen haben.

In diesem Sinne sind die drei kantigen, glänzend schwarzen Acryl-Skulpturen in Black Shoreline (2019) Teil einer Werkgruppe, die an den „Roten Sommer” 1919 erinnern soll, eine Zeit besonders brutaler Rassengewalt in den USA. Unter anderem eskalierten damals rassisch motivierte Konflikte, als fünf Schwarze Teenager mit einem Floß auf dem Lake Michigan versehentlich die unsichtbare Grenze zum Strandabschnitt für die weiße Bevölkerung überquerten. Ein weißer Junge begann, Steine zu werfen, und traf einen der Schwarzen Jugendlichen am Kopf, der daraufhin ertrank. Für Dyson steht Black Shoreline symbolisch für die interstitiellen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die an jenem Tag durch die Jungen auf dem Floß deutlich wurden.

19.01.2022, 14:54

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