Leseprobe : Umfassendes Skill-Set

Die Datenkompetenzexpertin Katharina Schüller stellt in ihrem Buch ein umfassendes Tool- und Skill-Set für Führungskräfte vor. Gleichzeitig zeigt sie, welches Mindset man braucht, um die Macht der Daten im Einklang mit menschlichen Werten einzusetzen

Foto: Michael Bocchieri/Getty Images

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Daten sind Macht

Daten sind Macht

Katharina Schüller

Hardcover, gebunden

352 Seiten

35 €

In Kooperation mit Campus Verlag 2025

Daten sind Macht

Reise ins Neuland

In einer Welt, die von Unsicherheit und Informationsflut geprägt ist, sind Daten zur wichtigsten Entscheidungsgrundlage – und manchmal auch zur schärfsten Waffe – geworden. Zu Beginn nehme ich Sie mit auf meine persönliche und berufliche Reise durch Krisen, Triumphe und Grenzerfahrungen. Dann reisen wir zusammen in die Geschichte. Was verbindet Fußball, Astrologie, Hygiene und Bierbrauen mit aktueller transatlantischer Politik?

Na klar: die Statistik. Schon als Verwaltungswerkzeug ist sie politisch, später wird sie zum flexiblen Instrument der Erkenntnis und Einflussnahme und prägt bis heute unser Bild von Wahrheit, Gerechtigkeit und politischem Wandel. Gemeinsam sehen wir uns an, wie Herrscher, Wissenschaftler und Visionäre1 Daten nutzen – mal zur Sicherung von Macht, mal zur Befreiung der Schwächeren. Schließlich schlagen wir die Brücke zwischen der Statistik und der KI, genauso wie zwischen Daten und Intuition: Was unterscheidet Mustererkennung von kausalen Analysen? Wie prägen Daten unser heutiges Verständnis von Führung? Und was hat das alles mit Nachhaltigkeit und Fairness zu tun? Ein mutmaßlicher Mörder taucht in diesem ersten Kapitel auf, aber auch mehrere Nobelpreisträger, Angela Merkel und Papst Franziskus spielen eine Rolle. Am Ende verstehen Sie, warum Data & AI Literacy unerlässlich ist, damit Sie als Führungskraft nicht nur kompetente, sondern auch ethische Entscheidungen treffen.

Meine persönliche Expedition in die Welt der Daten und der KI

Meine Reise ins Neuland beginnt am 13. März 2020, ein paar Wochen vor meinem 43. Geburtstag. Es ist ein Freitag. Ich leite zu diesem Zeitpunkt ein kleines Beratungsunternehmen für Statistik, das ich während meines Studiums gegründet habe. Im Jahr 2003, als mein Unternehmen STAT-UP noch ein Start-up war, haben die meisten Leute ungläubig den Kopf geschüttelt: »Was machst du? Statistikberatung? Wer braucht denn so was?«

Ich bin unerschütterlich davon überzeugt, dass jeder Statistik braucht – auch wenn er es noch nicht weiß. Die Überzeugungsarbeit entpuppte sich allerdings als deutlich schwieriger als gedacht. Meine ersten Beratungsstunden verkaufte ich über eBay und durchsuchte stundenlang auf der Business-Plattform Xing (damals noch OpenBC) die Foren, um Mitglieder zu finden, die auf der Suche nach Hilfe in Sachen Datenanalyse waren. Im Durchschnitt war ich erfolgreich – aber mit hoher Volatilität. Das bedeutete, immer wieder wochenlang durchzuarbeiten, weil etwa die interne Beratungsgesellschaft eines bekannten Automobilherstellers auf den allerletzten Drücker Datengrundlagen für ihren Marketingplan brauchte. Oder weil eine Großbank ein spezielles Modell zur Analyse von Börsendaten implementiert haben wollte, um auf dieser Basis komplexe Finanzprodukte zu bauen. Von diesem Modell, für das zwei Wirtschaftswissenschaftler kurz zuvor einen Nobelpreis bekamen, hatten ich und meine beiden damaligen Mitgründer anfangs aber noch herzlich wenig Ahnung (obwohl wir das natürlich niemals zugegeben hätten).

Und dann gab es lange Phasen, in denen wir drei einfach nur auf unseren Bürostühlen vom Wertstoffhof herumsaßen, in einem tristen Industrieviertel nördlich der Münchner Rotlichtmeile, im kleinen, schmuddeligen Eckbüro, das uns ein Freund kostenlos überlassen hatte, und nicht wussten, wie wir weitermachen sollten. Aufgrund dieses Dauerstresses zwischen Burn-out und Bore-out sind meine beiden Partner letztlich ausgestiegen, nachdem sie ihre Doktorarbeit abgeschlossen hatten. Der eine ist Professor geworden und der andere Vorstand eines Energieversorgers. Immerhin kann man mit STAT-UP Karriere machen. 10 Daten sind Macht Gut zehn Jahre – bis etwa 2015 – vergingen ohne große Aufregung. Wenn man mal davon absieht, dass ich in dieser Zeit mein viertes Kind zur Welt brachte, astrologische Analysen für keinen Geringeren als den weltbekannten Playboy, Unternehmer und Mathematiker Gunter Sachs durchführte, mit dem Chemie-Nobelpreisträger Kary Mullis zusammenarbeitete, einem mutmaßlichen Mörder zum Freispruch verhalf – und nebenbei Studierende an rund einem Dutzend deutscher Hochschulen für Statistik zu begeistern versuchte. Fünf Mitarbeiter waren an meiner Seite, dazu ein paar Praktikanten und Werkstudenten.

Das Öl des 21. Jahrhunderts

Im Jahr 2020 hatte STAT-UP schon fast zwanzig Berater, und endlich fühlte es sich an, als würde ich ein richtiges Unternehmen leiten. In weniger als fünf Jahren hatte sich unser Geschäft sehr positiv entwickelt, und wir mussten uns keine Sorgen um die Auftragslage machen.

Denn das Zeitalter der Daten hatte begonnen. Der Satz »Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts« schien endlich das alte Vorurteil abzulösen, dass man keiner Statistik glauben könne, die man nicht selbst gefälscht habe. Kleine und auch ganz große Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen meldeten sich bei mir und fragen nach, ob wir ihnen helfen könnten, Muster in ihren Daten zu verstehen, Vorhersagen zu machen und Handlungsoptionen zu evaluieren. Das Beste daran: Wir mussten nicht einmal etwas dafür tun. Nun ja, fast nichts. Denn ich lasse wenige Gelegenheiten aus, darüber zu sprechen, wie wichtig Statistik als Mittel zur Entscheidungsfindung unter Unsicherheit ist. Das macht Spaß und fühlt sich selten nach Arbeit an, weil es mich schon immer begeistert hat, wie viel man aus Daten lernen kann, wenn man Statistik vernünftig anwendet: über Menschen, Wirtschaft, Sport, Börsen, die Umwelt und das Klima – einfach über alles. Außerdem bin ich neugierig – und wenn irgendwo Neuland ist, bin ich eine der Ersten, die sich für eine Expedition dorthin rüstet. Über all das Faszinierende, das mir auf meinen Statistikexpeditionen begegnet, schreibe und rede ich überall und ständig: Ob in meiner Radiosendung Das Statistik-Gespräch, in der ich seit fünf Jahren jede Woche eine Statistik erkläre – und die meine späteren Unstatistik-Kollegen Thomas Bauer, Gerd Gigerenzer und Walter Krämer in ihrem Bestseller Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet wärmstens empfehlen. In meinem eigenen Buch Statistik und Intuition, das – wie der Untertitel schon sagt – statistische Alltagsbeispiele kritisch hinterfragt. Als Gastautorin und später als feste Koautorin der Unstatistik des Monats. Und nicht zuletzt im Vorstand der Deutschen Statistischen Gesellschaft, zu dem mich ausgerechnet Walter Krämer, ein vehementer Gegner des Genderns, überredet hat mit den Worten: »Du musst unbedingt kandidieren, es gibt nur eine Frau im Vorstand, und die brauchen da oben mal frischen Wind.«

Das ist genau meins: Die Statistik aus dem Elfenbeinturm holen, rein ins richtige Leben, wo sie herkommt und auch hingehört! Nicht jeder meiner Vorstandskollegen ist glücklich darüber, dass ich ständig darauf dränge, sich stärker mit anderen Disziplinen und Praktikern, insbesondere aus der Informatik, zu vernetzen. Aber mein Dickkopf lässt sich davon nicht beirren: Auf der Jahrestagung der Gesellschaft in Linz im Jahr 2017 hielt ich den Plenarvortrag und fragte ins Publikum, wer die aktuelle Studie2 des Stifterverbands zu den Data-Science- Studiengängen in Deutschland gelesen habe. Data Science – das ist schließlich im Kern Statistik, dachte ich. Aber die Studie listet ausschließlich Informatik-Fakultäten auf, und kein Statistiker kennt sie! Vor lauter Empörung beschloss ich, mich für die Folgestudie zu bewerben, die das Thema »Datenkompetenzen« näher beleuchten sollte. Keiner der renommierten Statistik-Professoren, die ich als mögliche Koautoren anfragte, wollte sich daran beteiligen. Also schrieb ich mehr oder weniger im Alleingang den ersten umfassenden Kompetenzrahmen für Data Literacy3, der den Ausschlag dafür gab, dass ich im Jahr 2021 die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel traf und drei Jahre später Papst Franziskus.

Am 13. März 2020, dem besagten Beginn meiner Reise, meldet sich ein großer bayerischer Automobilhersteller. Seit zwei Jahren haben wir mit ihm einen Rahmenvertrag, der uns jeden Monat eine planbare Summe einbringt. Bis dahin jedenfalls. Denn jetzt herrscht Corona, und die Türen sind für Externe verschlossen. Am Montag darauf schreibt uns der zweite Großkunde, eine Versicherung: »Berater dürfen die Gebäude nicht mehr betreten, Remote-Arbeit ist nicht vorgesehen.« Dann bricht das nächste Standbein weg: Schulungen, die wir seit Monaten akquiriert und vorbereitet haben, werden abgesagt, weil es keine technischen Möglichkeiten gibt, sie per Videokonferenz durchzuführen. Außerdem haben unsere Auftraggeber jetzt ganz andere Probleme als die mangelnden Statistikkompetenzen ihrer Mitarbeiter. In den folgenden Tagen werden die Nachrichten immer schlimmer. Ich spüre Panik. Was sollen wir nur machen? Braucht denn niemand mehr Statistik? Oder anders gefragt: Braucht eigentlich niemand seriöse Statistik?

Der Zukunftsforscher John Naisbitt hat 1982 in seinem Buch Megatrends geschrieben: »Wir ertrinken in Informationen und hungern nach Wissen.« In der Corona-Krise überfluten mit einem Mal Statistiken das Land: Fallzahlen, Inzidenzen, Reproduktionsraten. Sie dominieren die Schlagzeilen, bestimmen Maßnahmen, Diskussionen, Ängste. Am 18. März 2020 halte ich es nicht mehr aus. Ich muss mich ablenken von den quälenden Gedanken, dass mein Unternehmen womöglich bald nicht mehr existiert. Statt in düsteren Prognosen zu versinken, wie lange uns das Geld noch reichen wird, prüfe ich die verfügbaren Informationen zu den Corona-Fällen. Es ist für mich offensichtlich, dass die veröffentlichten Statistiken auf völlig ungeeigneten Daten beruhen und daher wenig zum Wissen über die Ausbreitung des Virus beitragen können. Denn getestet werden zu diesem Zeitpunkt in erster Linie Menschen mit Symptomen – wer keine hat, kommt in den offiziellen Zahlen gar nicht vor.

Statistik als Rettung?

Ich bin überzeugt: Das muss besser gehen. Mit einem Freund und Kollegen schreibe ich ein Plädoyer für einen vernünftigen Umgang mit Statistik, um datengestützte Entscheidungen zu treffen. Zwei Tage später erscheint unser Beitrag auf dem kontroversen Online-Portal Tichys Einblick4, dessen leitender Redakteur mein Onkel ist. Welche Folgen das haben könnte, darüber habe ich nicht nachgedacht – die Botschaft musste doch raus! Statistik kann helfen! In der folgenden Nacht finde ich kaum Schlaf, weil mich die Idee, Statistik zum Wohl unseres Landes einzusetzen, nicht mehr loslässt. Anstatt uns von verzerrten Zahlen treiben zu lassen, könnten wir eine repräsentative Zufallsstichprobe aus der Bevölkerung testen – symptom­ unabhängig, so wie es Island macht. Damit ließe sich seriös hochrechnen, wie stark das Virus schon verbreitet ist und wie schnell es sich ausbreitet. Mit meinem Kollegen schreibe ich ein Konzept für die Stadt München und frage einen Freund im Stadtrat, ob wir darüber einmal sprechen können. Doch die Antwort ist ernüchternd: Obwohl im Süden von München ein großes Pharmaunternehmen Corona- Tests produziert, gibt es nicht genug davon, weil sie exportiert werden. So absurd es klingt – wir haben noch nicht einmal ein Erkenntnisproblem, sondern ein handfestes (Daten-)Produktionsproblem.

Merkwürdigerweise sind die Reaktionen eher verhalten. Ich kann mir gar nicht erklären, warum niemand sonst von dem Gedanken begeistert ist, gute Daten bereitzustellen. Heißt es nicht, Daten seien das neue Öl? Gilt das in einer Krise nicht? Ich muss etwas tun.

Articles & Services

Katharina Schüller: Expertin für Statistik

Katharina Schüller: Expertin für Statistik

Katharina Schüller ist Statistik-Expertin, KI-Vordenkerin und gefragte Rednerin. Seit 20 Jahren berät sie mit STAT-UP zu Datenstrategien. Ihre Bücher und Vorträge zeigen: Datenkompetenz ist kein Luxus – sie ist Führungsaufgabe in der digitalen Welt

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