Suche nach Verantwortlichen

Hintergründe Lange haben sie versucht, das Erlebte zu verdrängen und aus Scham geschwiegen. Lorenz' Recherchen decken das profitable Geschäft auf, das mit dem Verschicken von Kindern gemacht wurde, in das Ärzte, Heimbetreiber und Krankenkassen involviert waren...
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Foto: Stoehr/Keystone/Getty Images

„Verschickung war der in den 50er bis 70er Jahren im Gesundheitswesen und der Kinderheilkunde gängige Begriff für das Verbringen von Kindern in Kindererholungsheime und Kinderkurkliniken. Es geschah i.d.R. für 6 Wochen, die Heime hatten einen Ganzjahresbetrieb. Es gab für das Heim einen Pflegesatz pro Kind (ca.12.-DM).“ – verschickungsheime.de

Dramatische Spätfolgen

„[Das Stress­system ist] bei Kindern noch in der Entwicklung und deshalb kaum in der Lage, alleine mit Angst auslösenden Ereig­nissen umzugehen. Die Erholungskuren können als Stresssituation betrachtet werden, die mehrere Wochen andauerte, was die Kinder weder zeitlich noch emotional einordnen konnten. Auch nach dem Ende der Kur war der Stress für die Kinder nicht sofort vorbei. Viele empfanden einen tiefen Vertrauensverlust, weigerten sich zu sprechen und versuchten, das Erlebte zu verdrängen. Erinnerungen an den Aufenthalt oder Bilder können somit auch ­viele Jahre später noch heftige Reaktionen hervorrufen.“ – pharmazeutische-zeitung.de

Im Dunkeln

„Der Mann mit dem markanten Schnauzbart erzählt mir, dass er 1958 – im Alter von vier Jahren – aus seiner Kleinfamilie in Wuppertal gerissen wurde. Weil seiner Mutter eine Operation bevorstand, habe ein evangelischer Pastor einen Kurplatz für ihn und seinen sechsjährigen Bruder organisiert – in Peterzell im Schwarzwald. Die Zeit im Heim gehört zu den ersten Erinnerungen seines Lebens. Er sieht noch heute deutlich vor sich, wie er am ersten Abend mit seinem Bruder in der Dunkelheit ankam.“ – zeit.de

Das Schweigen brechen

„Vermutlich Millionen Kinder wurden in der Bundesrepublik ab den Fünfzigerjahren auf Anraten von Schulärzten in Kinderkurheime verschickt; 1963 gab es 839 Heime mit Platz für jährlich 350.000 Kinder vor allem aus benachteiligten Familien. [...] Was die Eltern nicht ahnten oder nicht glauben wollten: Häufig wurden ihre Liebsten in der Ferne seelisch und körperlich misshandelt - von Personal, das seine Methoden wohl nicht selten aus der NS-Zeit übernommen hatte. Erst in jüngster Zeit haben Opfer ihr Schweigen gebrochen.“ – spiegel.de

„Eine sadistische Quälerei“

„Als Kind hat Arne Burchartz erlebt, wie seine zwei Jahre ältere Schwester in Kur verschickt wurde. Weil er sie entsetzlich vermisst hat, weinte er als Zurückgebliebener Rotz und Wasser. Aus der heutigen professionellen Sicht des erfahrenen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten weiß der Traumaexperte, wie dramatisch viele Kinder bis in die 1980er Jahre die Zeit der Kur erlebt haben.“ – stuttgarter-zeitung.de

Fragwürdige Kinderkuren

„Erstmals in Deutschland versammeln sich ehemalige Verschickungskinder. Auf der Insel Sylt tagen sie vom 21. bis 24. November, um mit einem Kongress auf das kaum erforschte Kapitel Kinderkurheime in der Nachkriegsära der Bundesrepublik aufmerksam zu machen. In Hunderten Ferienheimen und Kindersanatorien verbrachten Säuglinge, Kleinkinder wie Schulkinder während der Aufbaujahre und des Wirtschaftswunders oft mehrere Wochen, stets unbegleitet von vertrauten Erwachsenen.“ – tagesspiegel.de

27.01.2021, 15:18

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Trauma statt Erholung | WDR

Video In Verschickungsheimen sollten Kinder wieder aufgepäppelt werden. Doch mit Erholung hatte die Kur nichts zu tun: In den Heimen gab es strenge Regeln und Strafen. Beispielsweise waren Elternbesuche verboten. Ein Beitrag vom WDR


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