Atomkraft im Anthropozän? Nein, danke!

Leseprobe Deutschland hat sich vor einem Jahrzehnt entschlossen, perspektivisch auf den Strom aus der Kernspaltung zu verzichten. Atommeiler, einst Kathedralen des Fortschritts, sind Mahnmale der Vergänglichkeit, der Frustration, menschlicher Holzwege geworden
Sie sind schon seit Jahrzehnten lautstark dagegen: Gegner:innen der Atomkraft
Sie sind schon seit Jahrzehnten lautstark dagegen: Gegner:innen der Atomkraft

Foto: Lennart Preiss/Getty Images

»Fortschrittsfeindlich«, »Maschinenstürmer«, »immer nur dagegen« – den Anti-Atom-Aktivist*innen wird seit den Anfängen ihres Engagements gegen die Stromproduktion aus Kernspaltung Rückständigkeit und Blockade attestiert. Zu Unrecht: Die Anti-Atom-Bewegung ist mehr als ein halbes Jahrhundert untrennbar mit dem Eintreten für technische und gesellschaftliche Innovationen verbunden. Für die Erneuerbaren Energien, für eine nachhaltige Wirtschaftsweise, für den Schutz von Klima und Ressourcen. Gerade auch im Anthropozän – diesem neuen Zeitalter, in dem »die Effekte des menschlichen Handelns auf die globale Umwelt eskaliert« sind, so Chemie-Nobelpreisträger Paul. J. Crutzen, der den Begriff für unsere Epoche geprägt hat.

Schon 1977 wurde in Gorleben, dem Dorf, das sich Politik und Atomindustrie als Deutschlands »Nukleares Entsorgungszentrum« auserkoren hatten, der Aufruf »Gorleben soll leben« veröffentlicht und der legendären, von der dänischen Aktivistin Anne Lund kurz zuvor entworfenen Anti-Atom-Sonne ein weiteres Logo an die Seite gestellt: Der Lebensbaum. »Wiederaufforstung statt Wiederaufarbeitung« lautete die Parole. Schon in den Anfängen der Massenbewegung gab es ihn: Den positiven Gegenentwurf. Gegen den nuklearen Irrweg. Die richtige Richtung hatte der Club of Rome schon 1972 gewiesen, als er seine Untersuchung »Die Grenzen des Wachstums« vorgestellt hat. Es war die erste große kritische Auseinandersetzung mit den Auswirkungen und Folgen einer Wirtschaftsweise, die geradezu besessen die Logik des fortwährenden Wachsen-Müssens anbetete, ungeachtet der Folgen für die Umwelt. Die Wissenschaftler*innen sagten der Menschheit eine Besorgnis erregende Zukunft voraus, eine durch steigende industrielle Produktion verursachte beschleunigte Umweltzerstörung und die Erschöpfung der wichtigsten Rohstoffe – Erdöl, Erdgas, Eisenerz. Die Befürworter*innen der Atomkraft verdrehten diese Warnungen schon damals zu ihren Gunsten: Behauptungen, Atomkraft sei nötig, um von fossiler Energie unabhängig zu werden, vor allem vom Öl, und das Klima zu retten, kann man leichten Herzens und frohen Mutes aufstellen bei rund einer Million Reingewinn am Tag, die ein abgeschriebener Meiler für die Betreiber*innen einspielt, weil die Gesellschaft die immensen Kosten und Risiken zu tragen hat. Die Gegner*innen der Atomkraft hingegen dachten über Alternativen nach: Energie-Genossenschaften sollten in kleinen, überschaubaren Einheiten Strom und Wärme liefern. Die Kollektivist*innen wollten einen Teil der Energie, die sie verbrauchen, selbst erzeugen. Biogas, die Nutzung von Müll und Abwärme wurden angestrebt, Baufirmen und Handwerksbetriebe waren gefordert, für ihren Eigenbedarf Solarkollektoren, Wärmepumpen und Windräder zu nutzen, Bauern und Bäuerinnen sollten auf biologischen Landbau umstellen. Sanfter Tourismus wurde propagiert und Kultur- und Bildungszentren nach dem Vorbild der »Volkshochschule Wyhl«, die auf dem als Bauplatz auserkorenen Gelände eines Atomkraftwerks von der Anti-Atom-Bewegung errichtet wurde, sollten allerorten gegründet werden. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seither vergangen: Inzwischen arbeiten in Deutschland rund 300.000 Menschen in der Erneuerbaren-Industrie, und der Anteil der Erneuerbaren an der deutschen Stromerzeugung beträgt die Hälfte an der gesamten deutschen Stromproduktion. 1990 waren es gerade mal vier Prozent. Es hat sich richtig was bewegt, und ein wichtiger Motor dafür – wenn nicht der zentrale – war die außerparlamentarische Anti-Atom-Bewegung.

Kluge Köpfe wurden in der kontroversen Debatte als wegweisend und inspirierend wahrgenommen – wie der französische Philosoph André Gorz. Der Visionär plädierte für das Recht auf mehr Freizeit, weniger Erwerbsarbeit, für mehr Selbstbestimmung. Produkte sollten dauerhafter halten und leicht reparierbar sein, die Fahrradproduktion müsse angekurbelt werden, alle öffentlichen Verkehrsmittel sollten kostenlos nutzbar sein. Wenn das nicht reichte, sollte die Gendarmerie ihre Mannschaftswagen als Sammeltaxi zum Einsatz bringen. Gorz fügte zusammen, was zusammen gehört: Arbeit und Ökologie. Hermann Scheer lieferte mit seiner Schrift »Das Solarzeitalter« 1989 ein wichtiges Plädoyer für den Ausbau der Nutzung der Sonnenenergie. Für den Ökopionier war der Solarstrom vor dem Hintergrund des aufgeheizten Planeten der »energetische Imperativ« ob der »Alarmzeichen aus der Atmosphäre«. Dann formulierte das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie »Die vier E’s«: Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung, Entrümpelung. Und »Befreiung vom Überfluss« verlangt später die Postwachstumsökologie, womit auch dem mit viel »Meinungsmanagement« und Marketing postulierten »grünen Wachstum« eine unmissverständliche Absage erteilt wurde.

Derweil haben viele Länder Angst vor den Katastrophen, mit denen sie der Klimawandel, angeheizt vom hemmungslosen Turbokapitalismus, vielleicht schon morgen überfällt. Einigen erschien die Klimapolitik der großen Industriestaaten mit ihren Weltklimagipfeln – 1992 in Rio und 1997 in Kyoto – zunächst als Hoffnungsschimmer. Und die Klimavereinbarungen von Paris, in denen 2015 festgeschrieben wurde, man werde die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzen, ließ den einen oder anderen etwas weniger pessimistisch in die Zukunft schauen. Aber das alles waren Veranstaltungen, an deren Beschlüsse sich allzu viele Staaten bis heute nicht halten, auch Deutschland nicht. Was eine globale Klimabewegung hat entstehen lassen, maßgeblich inspiriert von Schülerinnen und Schülern, dann aber auch schnell getragen von einem breiten Spektrum quer durch die Gesellschaft: »Fridays for Future«, weil die Jungen dafür anfangs freitags öfter die Schule ausfielen ließen, streikten. Für die meisten dieser Protestierer*innen sind die Kämpfe der Anti-AtomBewegung ein Kapitel aus dem Leben ihrer Eltern und Großeltern. Die Atomkraft aber ist auch für die Generation der jungen Klimaaktivist*innen keine zukunftsweisende Technologie, die zur Bewältigung des Klimawandels beitragen könnte. Alle, die’s wissen wollen, wissen – und auch die Jungen sagen es immer wieder: Atomkraft ist ineffizient und teuer, gefährlich, ungesund und schmutzig.

Gegen das Atomkraftwerk im Land

Deutschland hat sich vor einem Jahrzehnt entschlossen, perspektivisch auf den Strom aus der Kernspaltung zu verzichten. Die Atommeiler, einst Kathedralen des Erfindungsreichtums und Fortschritts, sind Mahnmale der Vergänglichkeit, der Frustration, menschlicher Holzwege. Nach mehr als einem halben Jahrhundert ist das Atomzeitalter hierzulande weitgehend beendet. Aber die Lichter gehen nicht aus. Stattdessen ist das Erneuerbaren-Zeitalter angebrochen – Windräder drehen sich, Solarkollektoren sammeln die energiereichen Strahlen ein und verhindern die so oft beschworene allgemeine Düsternis.

So ist es an der Zeit, die Geschichte derer zu erzählen, die sich dem vermeintlichen Fortschritt in den Weg gestellt haben, Widerstand leisteten gegen die Allmacht der Technolog*innen und ihrer zahllosen Lobbyist*innen und Propagandist*innen in Ministerien, Ämtern und Medien. Aktivist*innen, die die Versprechungen von Politik und Wirtschaft als Lügen entlarvten, das Marketing der Atomindustrie durchschauten. Und sich jahrelang massiver staatlicher Repression ausgesetzt haben.

Die Aktivist*innen wehrten sich auf der Straße und der Schiene, in Gerichtssälen, zu Wasser, in Baumkronen und auf Fabrikschornsteinen. Mit Kreativität, Vielfalt, Beharrlichkeit und sehr viel Mut. Der Atomausstieg war Handarbeit: Menschen aus drei Generationen haben die Atomenergie nicht nur konsumiert, sondern viele haben sich auch dagegen aufgelehnt. Hunderttausende, Millionen. Riefen, schrieben, sangen und demonstrierten »Atomkraft – nein danke!«. Und waren letztlich erfolgreich. Es ist eine historische Bewegung. Außerhalb der Parlamente, tief verwurzelt in der Gesellschaft. Massenhaft.

Von grüner Transparenz und Offenheit

In Folge der Proteste gegen Aufrüstung und Atomkraft in den fünfziger und sechziger Jahren und der Forderung Willy Brandts, »mehr Demokratie zu wagen« hatte sich in der Bundesrepublik ein Gegenmilieu zu den Parteien gebildet – links-alternativ, kapitalismuskritisch: Anti-Atom- und Friedensbewegung, Antifa-, Frauen- und Dritte-Welt-Gruppen, Umwelt-, Schwulen- und Kinder-Initiativen, Hausbesetzer*innen. Da war Mitte der siebziger Jahre die Idee nicht fern, so etwas wie eine Anti-Parteien-Partei zu gründen. Befürworter*innen waren der Ansicht, es wäre sinnvoll, das Protestpotenzial im Parlament zu bündeln. Gegner*innen sprachen vom Ausverkauf der bunten Wehrt-Euch-Ideen. Einig war man sich darin, dass Berufspolitiker*innen den Menschen mehr schaden als nützen, im Wesentlichen Übelkeit verursachen. So gründeten die sogenannten Ökopaxe ihre Partei – ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei. Und ausdrücklich nicht kommunistisch. Dass derart Gesinnte gar nicht erst mittun dürfen, wurde mit einem eigenen Beschluss vereinbart.

Erstmals trat die Partei als »Grüne Liste Umweltschutz« 1978 zur niedersächsischen Landtagswahl und als »Sonstige Politische Vereinigung Die Grünen« 1979 bei der Europawahl an. In Hamburg gab es zu der Zeit zwei grüne Gruppierungen auf dem Wahlzettel: Die »Grüne Liste« und die radikalere »Bunte Liste – Wehrt euch«, die Gründung Letzterer ging auf einen Beschluss der Hamburger Anti-Atom-Initiativen vom Oktober 1977 zurück. Doch die Teilnahme an Wahlen blieb stets heftig umstritten, wovon auch eine Streitschrift unter dem Titel »Wenn das Spielbein dem Standbein ein Bein stellt…« zeugt. Die Grünen waren in dieser Lesart das Standbein, was sich dann aber in der geschichtlichen Entwicklung eher als Holzbein erweisen sollte. Für die wehrhaften Bunten war seinerzeit Holger Strohm, Autor des Anti-Atom-Standardwerks »Friedlich in die Katastrophe«, einer der Spitzenkandidaten. Ins Parlament schaffte es keine grünliche Gruppe. Aufgrund interner Streitigkeiten wurde die bunte Liste nach der Wahl immer bedeutungsloser, ging schließlich in der »Grün-Alternativen Liste«, den späteren »Grünen« auf.

Bewegung und Partei belauerten sich so von Anbeginn, bekriegten sich auch. 1983 gelang der Partei erstmals der Einzug in den Bundestag. Danach dauerte es nicht lange, bis die vorgebliche Anti-Parteien-Partei die Rotation ihrer Abgeordneten und die Trennung von Amt und Mandat abschaffte. Damit die Grünen in die Gemeinschaft der etablierten Parteien aufgenommen wurden, mussten nun nur noch die an den außerparlamentarischen Bewegungen orientierten Ökosozialist*innen, »Fundis« genannt, eliminiert werden. Das gelang mittels der realpolitisch üblichen Intrigen, internen Abstimmungsmanipulationen und dem Anpassungsdruck der bürgerlichen Medien. Zügig kanalisierten die Grünen bunten Widerstand in parlamentarisch-etablierte Bahnen. Bis es so weit kam, dass eine Ex-Bundessprecherin der Grünen im Management der Gelsenwasser AG anheuerte, einem börsennotierten Unternehmen, das seine Profite aus Wasser-, Gas- und Stromversorgung sowie der Abwasserentsorgung schöpft. Andere einstige Mandatsträger der Partei lobbyieren inzwischen für Automobilhersteller und Finanzunternehmen, alles natürlich ganz »nachhaltig«.

In der DDR schlossen sich 1990 diverse Gruppierungen der Bürgerrechtsbewegung zum Bündnis 90 zusammen, die sich sodann gesamtdeutsch mit den Grünen vereinigten. Von 1998 bis 2005 waren Bündnis 90/Die Grünen in einer Koalition mit der SPD erstmals an der Bundesregierung beteiligt. Grüner Gestaltungswille personifizierte sich in dem machtbewussten Ex-Sponti Joschka Fischer, der es als grüner Außenminister fertig brachte, Auschwitz für den von ihm mitverantworteten Jugoslawien-Krieg, Deutschlands ersten Kriegseinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg, zu instrumentalisieren. Seitdem stehen auch ehemalige grüne Pazifist*innen kaum einem Waffenhandel mehr im Weg. Trotzdem zählt sich die Partei unverdrossen weiter zur Friedensbewegung. Und Jürgen Trittin hielt als Umweltminister die Atommüll-Transporte nach Gorleben plötzlich für richtig und Protestaktionen dagegen für falsch. Fühlte sich aber selbstverständlich auch als Teil der Anti-Atom-Bewegung. Die einst angestrebte Umverteilung von Oben nach Unten holte in den Folgejahren der Wachtelkönig, als Rot-Grün erfand man Hartz 4 und die Agenda 2010, der Widerstand dagegen wurde im nächsten Feuchtbiotop verklappt. Damit Deutschland im Globalisierungswettlauf wirtschaftlich nicht abgehängt wurde, ersetzten die Grünen Kapitalismus-Kritik durch neoliberale Marktwirtschaftsdozentur: Massentierhaltung und Fleisch-Industrie dürfen weiter wursteln, Kohlekraftwerke sind in Ordnung, wenn sie zur Regierungsbeteiligung führen. Im Fernseh-Talkshow-Karussell gilt: Voller grüner Einsatz für Nawalny, kaum für Assange oder Snowden, geschweige denn Sanktionen gegen die USA wegen diverser Verstöße gegen das Völkerrecht, Rassismus und exzessivem Waffenhandel. Auch 100 Milliarden für die Kampfkraft der Bundeswehr werden inzwischen als Friedensdienst deklariert.

In der ersten Regierungsbeteiligung um die Jahrtausendwende gelang den Grünen dann noch ein »Atomkompromiss« – was ein Deal mit den Energiekonzernen war, mit dem die noch Restlaufzeiten für ihre Meiler zugesprochen bekamen, großzügige Stromkontingente für jedes Kraftwerk, nach deren Produktion dann Schluss mit der Kernspaltung sein sollte. Bummelig nach 20 Jahren. Tatsächlich wurden in sieben Jahren Rot-Grün denn auch nur die zwei überaus maroden Meiler Stade und Obrigheim abgeschaltet. Bei beiden wären die Reparaturen teurer als noch zu erwartende Erträge gewesen, entsprechend ein kühl kalkuliertes Opfer der Atomlobby.

Und besonders fatal: Gorleben erhielt ausgerechnet von den damals regierenden Grünen das regierungsamtliche Testat als Atommüll-Lager. Wenngleich man verabredete, erst einmal für zehn Jahre nicht mehr im wendländischen Salz zu buddeln. Dieser Baustopp Untertage gab, so einige Initiativenvertreter*innen, durchaus etwas Zeit zum Luftholen, Raum für einen möglichen Kurswechsel zum späteren Zeitpunkt. Andere Aktivist*innen beharrten unnachsichtig, die Grünen seien eine »Umfallerpartei«.

Letzteres bewiesen die Grünen Ende 2022 nochmals eindrucksvoll – als sie wenige Wochen vor Abschaltung der letzten Atommeiler, die ein Jahrzehnt zuvor gesetzlich festgeschrieben worden war, noch flugs einem Weiterbetrieb der drei Reaktoren zustimmten: Sie sahen damit eine – in Folge ausbleibenden Gases aus Russland – behauptete Stromlücke geschlossen und ein vermeintlich instabiles Netz stabilisiert. Grünen-Anführer Robert Habeck bekundete zum wiederholten Ausstieg aus dem »Atomausstieg« frei heraus, er könne damit »gut leben und arbeiten«. Die Anti-Atom-Bewegung reagierte umgehend: Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg stieg aus dem mühsam initiierten gesellschaftlichen Dialogprozess für die Suche nach einem neuen Endlager aus. Andere Gruppen organisierten Blockaden der Atomkraftwerke, die nun plötzlich doch noch einige Monate weiter Kerne und Gesellschaft spalten sollten.

Was bleibt: Über die Jahrzehnte des Protests haben sich »Die Grünen« und die Anti-Atom-Bewegung zusehends auseinander gelebt. Die Bewegung hat sich – höchst weise – nie einer Partei angeschlossen. Der Anti-Atom-Widerstand war und ist unabhängig, suchte sein Aktionsfeld stets außerhalb des Plenarsaals. Womit er nachweislich außerordentlich erfolgreich war – und ist.

Der Kampf geht weiter

Mit guten Argumenten zeigt sich auch die junge Klimabewegung resistent gegen die Propaganda der alteingessenen Atomlobby und ihren vielen Helfershelfer*innen in Parteien, Industrie und Medien.

Für Fridays for Future ist Atomenergie viel zu gefährlich, blockiert die gebotene Energiewende und stellt »keinen relevanten Teil der Energiegewinnung dar«. Und so wächst zusammen, was zusammengehört, über die Generationen hinweg. In der internationalen Kampagne »Don’t nuke the climate« verwahren sich die Aktivist*innen, gegeneinander ausgespielt zu werden. Die junge Klimabewegung, die zunehmend zur Klima-Gerechtigkeitsbewegung geworden ist, hat mit der traditionsreichen Anti-Atom-Bewegung bereits gemein, keine reine »Ökobewegung« zu sein. Beide greifen in ihren Aktionen auch Geschlechter- und soziale Fragen auf, ebenso die Absage an Kolonialismus und Rassismus: »Insbesondere Atomkraft kann die Klimakrise nicht lösen. In der Tat verschärft die weitere Nutzung von Atomkraft die globale Erwärmung durch die Verhinderung des Einsatzes von sauberen Energiesystemen. Sie gründet sich auf der Verletzung von Menschenrechten und Umweltrassismus: Indigene Nationen, schwarze Menschen und Gesellschaften mit niedrigem Einkommen sind Opfer des Uranabbaus und radioaktivem Müll ausgesetzt. Die Strahlung schädigt Frauen und Mädchen doppelt so häufig wie deren männliche Pendants. Und radioaktive Verseuchung schädigt unterschiedslos zukünftige Generationen und vergiftet die Umwelt für Hunderttausende von Jahren.«

Die inhaltlichen Überschneidungen im Eintreten für eine erneuerbare Energiewende sind nicht zu übersehen. Gemeinsame Basis ist die Geschichte der Umweltbewegung: Kämpfe gegen Atomanlagen oder die Frankfurter Startbahn-West, Proteste gegen das Waldsterben und den sauren Regen, das Eintreten gegen Rassismus und für mehr soziale Gerechtigkeit. All diese Auseinandersetzungen sind mit einem »Atomausstieg« keinesfalls gewonnen, Solidarität und Ungehorsam weiter dringend gefordert.

In diesem Geiste haben sich in den zurückliegenden Jahrzehnten bereits jene Regionen entwickelt, in denen die Menschen Atomanlagen verhindert haben. Quer durch die Republik. Sie haben üble Erfahrungen gemacht mit der Staatsmacht und deren Missbrauch. Das war praxisnahe politische Bildung. Durch das zivilgesellschaftliche Engagement gegen autoritäres Staatsverständnis und Untertanengeist, exemplarisch im Landkreis rund um Gorleben, hat sich vor Ort ein anderes Miteinander entwickelt: demokratisches und solidarisches Denken, nachhaltiges Wirtschaften, Mut zum Ungehorsam. Das Selbstbewusstsein für entschlossenen, konsequenten Protest. So hat die außerparlamentarische Anti-Atom-Bewegung in Deutschland etwas Großes etabliert: Widerstandskultur. Eine Kultur des Widerstands.

02.01.2023, 09:10

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