Klimaschutz, aber wie?

Leseprobe Anja Baisch sieht hinter PR-Kampagnen und grünen Konzepten eine Weichenstellung: Führt die Klimapolitik zu einer Zentralisierung wirtschaftlicher Macht oder kann die Energieversorgung genutzt werden, die Welt gerechter und friedlicher zu gestalten?
Deonstrant*innen protestieren gegen die Zerstörung eines Dorfes, das wegen des Ausbaua des Tagebaus Garzweiler umgesiedelt werden soll.
Deonstrant*innen protestieren gegen die Zerstörung eines Dorfes, das wegen des Ausbaua des Tagebaus Garzweiler umgesiedelt werden soll.

Foto: BERND LAUTER/AFP via Getty Images

Einleitung

Es gibt wohl wenige Begriffe, die so starke Assoziationen hervorrufen, wie die Wörter Klimakrise und Klimaschutz. Von Ängsten und Resignation bis zu Abwehr und Überdruss sind alle Reaktionen vertreten. Manche möchten nichts mehr davon hören, während andere das Thema noch viel stärker in die öffentliche Debatte bringen wollen. Es gibt freundliche Einladungen zum Dialog, wütende Proteste sowie Vorschläge von politischen Entscheidungsträgern, strenge Verbote einzusetzen, um die Bevölkerung zu – vermeintlich – klimaschonendem Verhalten zu zwingen. So unterschiedlich diese Positionen sind, lässt sich zumindest eines festhalten: Die Begriffe polarisieren.

Und sie emotionalisieren. Gerade weil dramatische Konsequenzen für die existenziellen Lebensgrundlagen aller im Raum stehen, berühren die Ausdrücke viele auf einer schwer greifbaren Ebene. „Wenn die klimatischen Bedingungen Jahr für Jahr dieselben bleiben, wenn die Jahreszeiten wie erwartet aufeinander folgen, ist Zukunft etwas, das man sich vorstellen und planen kann“, schreiben der Kulturwissenschaftler Nico Stehr und die Politologin Amanda Machin. „Aber dieser selbstverständliche Hintergrund ist dabei, seine Selbstverständlichkeit zu verlieren.“

Es entsteht ein Bild der Zukunft als schwer vorstellbares und nicht mehr planbares Szenario. Dürren, Überschwemmungen, bislang ungekannte Feuersbrünste und Temperaturrekorde mit allen politischen Folgen: Hungersnöte, Fluchtbewegungen, soziale Spannungen. Der Raum des Möglichen hat sich enorm vergrößert.

Es ist naheliegend, dass eine solche Wahrnehmung zu einer tiefen Verunsicherung führen kann. Der daraus resultierende Stress zeigt sich in der öffentlichen Debatte, die geprägt ist von Schuldvorwürfen und Appellen an die persönliche Verantwortung. Der mentale Druck kann sich auf verschiedene Arten zeigen, zum Beispiel als schlechtes Gewissen, als Resignation oder als Klima-Angst – das Gefühl, auf eine ökologische Katastrophe zuzusteuern und dieser Entwicklung ohnmächtig ausgeliefert zu ein. Insgesamt ist das Thema unangenehm und belastend.

Das macht die Auseinandersetzung nicht einfach. Eine sachliche und konstruktive Herangehensweise ist notwendig. Wer sich näher mit dem Thema beschäftigt und nach Argumenten sucht, der stößt zunächst auf: Zahlen. Hierin liegt jedoch eine eigene Problematik.

Jahreszahlen, Prozente und Temperaturziele pflastern die öffentliche Debatte. Oft werden die Zahlen in Kombination genannt: Bis zu einem bestimmten Jahr müsse eine definierte Kennziffer realisiert sein. Notwendig sei eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um fünfzig, sechzig oder hundert Prozent bis zum Jahr 2030 oder 2050. Als ambitioniert gilt, wer bei diesem Zahlen-Lotto einen höheren Wert anstrebt. Welche Maßnahmen konkret geplant sind, steht gar nicht im Zentrum der Auseinandersetzung, stattdessen wird die Debatte über Absichtserklärungen geführt. Man müsse geeignete Maßnahmen ergreifen, ansonsten sei „Paris“ nicht mehr zu erreichen. Doch auch das Internationale Klimaschutzabkommen von Paris ist vor allem eine unverbindliche Willensbekundung, sich an bestimmten Ziffern zu orientieren. Insofern ist die Debatte zunächst einmal sehr abstrakt.

Und als wäre das nicht herausfordernd genug, tauchen immer wieder neue Begriffe auf. Sie werden in politischen Kommunikationsagenturen entworfen und klingen ökologisch ambitioniert. So begründen politische Entscheidungsträger ihre Maßnahmen gerne mit Klimaneutralität, doch was genau sich hinter diesem Begriff verbirgt, bleibt häufig unklar – und ändert sich mitunter auch im laufenden Diskurs. Von diesen Wortneuschöpfungen gibt es viele: Energien sind inzwischen CO2-frei oder CO2-arm. Es ist die Rede von sauberen Gaskraftwerken oder sauberem Wasserstoff. Insbesondere zum Thema Wasserstoff öffnet sich eine ganz eigene Welt, mit grünem, blauem, grauem oder violettem Wasserstoff – für den Laien ist das kaum noch zu überblicken.

Man könnte also sagen: Die Debatte ist irrational, kompliziert und ständig im Wandel. Da ist es durchaus nachvollziehbar, dass viele das Thema lieber den Experten überlassen wollen. Oder nach einfachen Lösungen suchen. Oder gar nichts mehr davon hören wollen.

Das ist deshalb ein Problem, weil das Thema hochpolitisch ist und jeden betrifft. Damit ist nicht nur die ökologische Dimension gemeint, sondern auch die gesellschaftliche Tragweite. Denn Klimaschutz ist nicht einfach ein Thema, das „on top“ noch dazukommt, wie etwa ein CO2-Preis, sondern Klimaschutz ist ein Thema, das sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche zieht. Das liegt daran, dass der Klimaschutz eine fundamentale Säule einer jeden Nation betrifft: ihre Energieversorgung. Es ist die Art und Weise, wie die Menschen sich mit Energie versorgen, die die gesellschaftliche Entwicklung anschiebt, formt und befeuert.

Der Politiker, Soziologe und Energiewende-Pionier Hermann Scheer formulierte: „Die wirtschaftlichen Tätigkeiten der Menschen sind der Kern gesellschaftlicher Entwicklungen. Der harte Kern der wirtschaftlichen Tätigkeiten wiederum ist der Einsatz verfügbarer Energie. (...) Die Geschichte der Menschheitsentwicklung war nicht zufällig immer eine der jeweiligen Möglichkeiten der Energieversorgung.“

Eben deshalb sind die Klimaschutzdebatte und mit ihr die Energiedebatte keine rein technischen Fragen. Es geht nicht darum, das optimale Mischungsverhältnis zu finden, in dem fossiler, atomarer oder erneuerbarer Strom durch die Leitungen geschickt wird, sondern hier stehen große, gesellschaftliche Entwürfe zur Debatte. Die Strukturen der Energieversorgung prägen die wesentlichen Bereiche des Zusammenlebens: Wirtschaft, Einkommen, Arbeitsbedingungen, Umweltpolitik, Gesundheit, Bildung und nicht zuletzt die Außenpolitik. Nicht wenige Kriege werden geführt, um Zugang zu fossilen Ressourcen zu erhalten oder zu sichern.

Nun hat sich in den letzten knapp zweihundert Jahren eine Art der Energieerzeugung durchgesetzt, die große ökologische Auswirkungen hat. Sie begann mit der Verbrennung von Kohle und nahm ihren Lauf mit der Verarbeitung von fossilem Gas und Öl. Je mehr Staaten industrielle Produktion entwickelten und je größer die Wachstumssprünge wurden, desto mehr Treibhausgase wurden in die Atmosphäre gestoßen. Die klimatischen Folgen zeigen sich nicht nur in der zunehmenden Erdüberhitzung, sondern auch in steigenden Meeresspiegeln und häufigeren Wetterextremen.

Zugleich – und das ist der unterschätzte Faktor – hat die fossile Energieerzeugung eine gesellschaftliche Transformation ausgelöst und geprägt. Das rasante wirtschaftliche Wachstum der industriellen Revolution wäre ohne die Entdeckung von Kohle, Gas und Öl nicht möglich gewesen. Erst durch das Zusammentreffen von technischen Innovationen und fossiler Energieerzeugung konnte eine solche ökonomische und gesellschaftliche Dynamik entstehen. Der Ökonom Elmar Altvater spricht von der „Trinitarischen Kongruenz von kapitalistischen Formen, fossilen Energieträgern und europäischer Rationalität“, um die gegenseitige Bedingtheit dieser Entwicklungen auszudrücken.

Dass die globalen Machtstrukturen heute so zentralisiert, hierarchisch und von großen Konzernen dominiert sind, ist daher nicht nur eine Folge der kapitalistischen Genese, sondern die fossile Energieerzeugung hat bei dieser Entwicklung eine entscheidende Rolle gespielt. Deshalb ist gerade in einer Zeit der ökonomischen Konzentrationsprozesse der Blick auf die konstituierende Rolle der Energieversorgung wichtig.

Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die klimapolitischen Debatten in einem anderen Licht. Denn wer das Energiesystem ändert, rüttelt an der politischen und ökonomischen Gesamtordnung einer Gesellschaft.

Wenn also darüber gestritten wird, welche Rolle Kohle, Gas und Öl bei der Energieerzeugung übernehmen können und sollen, gilt es, die gesellschaftlichen Auswirkungen mitzudenken. Wer hat die Macht- und Verfügungsgewalt in fossilen und atomaren Energiesystemen? Welche Interessensgruppen profitieren von Wasserstoff? Wie ändern sich Besitzverhältnisse infolge der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien?

Das sind Fragen von demokratischer Teilhabe oder zentralisierten Strukturen, von autonomen Gemeinschaften oder Abhängigkeitsverhältnissen, von gerechter Einkommensverteilung oder Kapital- und Machtkonzentration und letztlich auch von Krieg oder Frieden.

Dieses Buch ist der Versuch, eine politische Erzählung zu finden. Wenn man Zukunft gestalten möchte, dann braucht man eine Idee davon, wie es sein könnte. Damit ist eine konkrete Vorstellung gemeint, wie das Leben möglich wäre – im Alltag, im Berufsleben und mit Blick auf den sozialen und politischen Zusammenhalt. Was bedeutet es für eine Gesellschaft und für die einzelnen Individuen, in einer fossilen, solaren oder atomaren Energiewelt zu leben?

Das Buch ist der Auftakt zu einer dreiteiligen Serie, die sich mit diesen Fragen beschäftigt. Es sind politische Bücher, die nicht die technischen Aspekte der Klimakrise fokussieren, sondern ihre gesellschaftlichen Folgen in den Blick nehmen.

Die Titel der Bücher lauten:

Fossile Strategien.

Solare Strategien.

Atomare Strategien.

Im vorliegenden ersten Band geht es um eine Art Bestandsaufnahme, woran Klimaschutz scheitert. Die Analyse setzt bei den Ursachen der Klima-Verschmutzung an und nimmt dabei schnell die Energieerzeugung in den Blick. Hierin liegt der Kern des Klimaschutzes. Ein schneller Wechsel hin zu einem System, in dem hundert Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden, muss daher das klare politische Ziel sein.

Doch um die Energiewende wird seit Jahrzehnten heftig gestritten. Diese Auseinandersetzungen sind nur dann verständlich, wenn man sie nicht nur als eine technische Angelegenheit betrachtet, sondern zugleich ihre gesellschaftspolitische Dimension beleuchtet.

„Einem solchen Austausch (des Energiesystems) stehen vor allem deshalb so große Hindernisse und Widerstände entgegen, weil damit der gesamte Zusammenhang von Energie-, Wirtschafts-, und Gesellschaftssystem herausgefordert wird“, formulierte Hermann Scheer.

Aus dieser Weichenstellung ergeben sich weitreichende gesellschaftspolitische Auswirkungen: Führen die energiepolitischen Entscheidungen zu einer weiteren Zentralisierung und Konzentration von wirtschaftlicher Macht? Oder kann die Energieversorgung als Treiber einer Demokratisierung genutzt werden?

Das ist eine Frage, die in der Klimaschutzdebatte kaum thematisiert wird. Pauschale Forderungen nach „mehr erneuerbaren Energien“ oder danach „Ausbauziele zu erhöhen“, blenden diesen ganzen Zusammenhang aus.

Hier liegt der nächste spannende Aspekt: Wie kam es eigentlich dazu, dass die entscheidenden Fragen gar nicht mehr gestellt werden?

In dem zweiten Band zu den „Solaren Strategien“ wird es um die Chancen eines Energiesystemwechsels gehen. Innerhalb der Klimaschutzbewegung, aber auch unter ihren Kritikern, wird die Energiewende sehr unterschiedlich eingeschätzt: Von „völlig überschätzt und irreführend“ bis hin zu „abgehakt und auserzählt.“ Diese Positionen werden vor dem Hintergrund der ökologischen und politischen Potentiale der erneuerbaren Energien näher betrachtet. Auch hier findet sich wieder die Konfliktlinie zwischen zentralistischen und dezentralen politischen Wegen.

Der dritte Band, „Atomare Strategien“, beschäftigt sich mit den aktuellen Entwicklungen rund um die Atomenergie. Es geht darum, wer diese Technik nun forciert und warum – sowie um die Frage, was es mit dem derzeitigen Revival der sogenannten Kernenergie auf sich hat.

Als Ergänzung zu den Büchern gibt es auf dem Blog klima-radikal.de immer wieder Artikel zu aktuellen Entwicklungen rund um Klimaschutz, Energiewende und Demokratie.

Die Veröffentlichungen richten sich an Leserinnen und Leser, die die Klimakrise in ihren ökologischen und politischen Ausmaßen erkennen und deshalb nach demokratischen Lösungswegen suchen. Die Bücher sollen Anregungen bieten, wie möglichst schnell eine Entlastung der Umwelt erreicht werden kann, und genau dadurch eine gesellschaftliche Demokratisierung befeuert werden könnte. Denn hier liegt eine große Chance.

29.06.2022, 17:36

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