Kommt, wir holen uns Amerika zurück
Dieses Mal würde es anders werden. Das ist zu spüren an diesem Januarvormittag 2025 in Washington, D. C. An jeder Ecke der Innenstadt werden Erinnerungen an diesen Tag verkauft. »Donald Fucking Trump« steht auf einem der vielen T‑Shirts, die den Moment festhalten sollen, auf den Millionen Menschen gewartet haben. Und auf der Rückseite: »Bitch I Am Your President«. Dazu immer wieder das Bild von Trump nach dem Anschlag auf ihn im Juli 2024. Blut im Gesicht, die Faust kämpferisch in die Höhe gereckt. Das ist der Ton dieses republikanischen Wahlkampfs gewesen, das ist der Ton von Donald Trumps zweiter Präsidentschaft. Seine Show hat noch einmal begonnen und die Folgen für Amerika und die Welt könnten verheerend sein.
2016 war dieser Donald Trump die Überraschung, der unwahrscheinliche Sieger in einer Präsidentschaftswahl, die doch eigentlich nur eine Siegerin hervorbringen konnte: Hillary Clinton. Und so schauten die, die Trump damals gewählt hatten, in der Wahlnacht fast so ungläubig auf die Fernsehbildschirme, wie Trump selbst spät in der Nacht auf einer Bühne in einem Hotel in Manhattan in New York wirkte.
In der Bar gegenüber des Hilton Midtown saß in dieser Nacht ein einzelner Trump-Wähler, der mit Genugtuung verfolgte, wie sich die Landkarte der USA bei CNN rot und röter färbte, er sagte mir damals, dass er den ganzen Wahlkampf verschwiegen habe, dass er Trump wählen würde. Nun wolle er offen sprechen. Alle anderen Gäste bestellten noch einen Drink.
Am 20. Januar 2025 läuft in einem der gehobenen Hotels in Washingtons Innenstadt nicht CNN, sondern Fox News. Trumps Haussender, verpönt unter Demokraten als rechtspopulistisches Sprachrohr der Republikaner. Aber es sind nicht die Liberalen, die ihren kleinen Kindern in der Lobby noch schnell die amerikanische Flagge auf die Wangen malen und blau-weiß-rote Schleifen ins Haar binden. Die Make-America-Great-Again-Basecap-Dichte ist sehr hoch. Die MAGA-Anhänger haben die Stadt übernommen.
Trump hat da noch nicht den Amtseid abgelegt, um ein zweites Mal Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Die Party aber läuft schon seit seinem Wahlsieg, niemand, der ihn gewählt hat, ist mehr ungläubig. Oder verheimlicht die Wahlentscheidung wie der Mann in der Bar in New York. Innerhalb von acht Jahren ist Donald Trump für viele im Land zu ihrer Religion geworden, seine Worte, seine Lügen, seine Hetze sind ihre Bibel. Bitch I Am Your President.
Ein Paar aus Texas macht schnell noch ein Selfie vor dem Fernsehbildschirm, der Trump auf dem Weg zum Kapitol zeigt, wie er gerade in die Limousine steigt. Näher werden sie ihrem Präsidenten an diesem Tag nicht kommen. Aber was stören Kälte, Wind und eine leere Pennsylvania Avenue, an deren Straßenrand sie eigentlich Trump huldigen wollten? Er ist zurück im Weißen Haus, alles andere ist egal.
25 US‑Dollar für eine Trump-Inauguration-Wollmütze sind an diesem Tag, an dem die Amtseinführung aufgrund eisiger Temperaturen von draußen nach drinnen ins Kapitol verlegt wird, gut investiertes Geld. Wie viel mehr die gleiche Mütze wohl kosten wird, wenn Waren »Made in China« von Trumps Zöllen getroffen werden? Diese Frage wird nicht gestellt in diesen frühen Festspielwochen.
Kommt, wir holen uns Amerika zurück. Denn jetzt sind wir dran. Das ist die Stimmung, die an diesem Tag auf den Straßen Washingtons deutlich zu spüren ist. Das ist es, was dieses Mal anders ist. Und diese Stimmung hatte Trump bereits im Wahlkampf besser verstanden als die Demokraten. Nicht nur seinen treuesten Anhängern, sondern auch Millionen anderen hat der Republikaner erfolgreich vermittelt, dass er wieder etwas aus Amerika und damit aus dem Leben dieser Menschen machen wird. Es ist ein Gefühl der Ermächtigung, das keine Grenzen kennt.
Während Trump in der Rotunde des Kapitols den Amtseid ablegt und bei seiner ersten Rede als 47. Präsident ein neues »Golden Age« Amerikas verspricht, können die, die auf dieses goldene Zeitalter hoffen, Trumps Wahlversprechen eins zu eins wiedergeben: Niedrigere Preise, höhere Grenzzäune, illegal eingewanderte Menschen raus, ein starkes Amerika für die Welt. Die Bibelverse ihrer Religion.
Aggressiv oder wütend ist das alles nicht. Es ist nicht der 6. Januar 2021, das Kapitol muss nicht gestürmt werden, ihr Mann ist drin, legitim gewählt, Gewalteskalation nicht nötig. Und es gibt auch niemanden, gegen den sich der Frust der vergangenen Jahre richten könnte. Keine Proteste, keine Gegendemonstranten. Während die Welt zuschaut, wird die Fassung gewahrt, die beiden großen politischen und gesellschaftlichen Lager haben sich, wieder einmal in Amerika, in ihre jeweiligen Ecken zurückgezogen.
Sie begegnen sich nur in der Zeremonie dieses symbolischen Tages, wenn die demokratischen Ex‑Präsidenten Joe Biden, Barack Obama und Bill Clinton in der Rotunde des Kapitols zuhören, als Trump schwört, die Verfassung zu beschützen und zu verteidigen. Um nur Minuten nach seiner Vereidigung anzukündigen, den Bürgern von der Verfassung geschützte Rechte nehmen zu wollen.
Das, was sich seit Monaten abgezeichnet hatte, bestätigt die Nacht des 5. November 2024, als Trump so viel schneller gewinnt als Joe Biden vier Jahre zuvor, als noch die ganze Woche Stimmen ausgezählt wurden. Einen Tag nach der Wahlniederlage von Kamala Harris stehe ich nach einer schlaflosen Nacht, in der wir Journalisten versucht hatten, erste Erklärungen und Einordnungen nach Deutschland zu schicken, am Bahnhof in Philadelphia, Pennsylvania. Im Nordosten des Landes, dort, wo die Demokraten geglaubt hatten, Trump schlagen zu können, und es so bitter anders kam. Selbst den umkämpften Rust Belt, die Bundesstaaten im Nordosten und Mittleren Westen des Landes, einstmals demokratisch geprägte Industrieregion, die heute für wirtschaftlichen Niedergang und sozialen Wandel stehen, hatte der Republikaner alle gewonnen. Michigan, Wisconsin, Pennsylvania: Keinen der Staaten konnte Harris gewinnen, auch das für die Demokraten kaum zu glauben, nachdem in Philadelphia am Vorabend der Wahl noch Tausende stundenlang anstanden, um die Abschlusskundgebung der Demokratin zu unterstützen.
Weniger als 48 Stunden später wartet neben mir am Gleis eine Frau, sie hat ihr blau-weißes Harris-Wahlkampfschild in eine Tasche ihres Rollkoffers gestopft. Frustriert, schockiert, am Ende. Es ist das Symbolbild der Demokraten nach dieser Wahlniederlage. Aus dieser Schockstarre sollten sie lange, vielleicht zu lange, nicht herausfinden.
In Washington reisen Trumps Anhänger nach den Feierlichkeiten wieder zurück nach Georgia, Texas, oder Kalifornien. Doch mit Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus und seinem radikalen Umbau des Staates, zu Beginn der Amtszeit ausgeführt vom nicht gewählten, reichsten Mann der Welt, Elon Musk und seinem »Department of Government Efficiency«, kurz DOGE, hat sich Amerikas Hauptstadt verändert. Es ist eine Rückeroberung des politischen Territoriums in Washington. Und sie reicht weit darüber hinaus. Trumps zweite Präsidentschaft verändert Amerika. Sie ist ein offener Angriff auf Amerikas Demokratie.
Einer seiner Anhänger, ein Unternehmer aus dem Mittleren Westen, erzählt mir an diesem 20. Januar 2025 in Washington, worauf er sich alles freue. Er zählt versiert Trumps Bibelverse einer besseren Wirtschaft und eines stärkeren, sichereren Landes auf. Und schließt mit den Worten: »Endlich wird mit dieser verrückten linken Wokeness aufgeräumt.« Trump greift das in seiner Antrittsrede auf: »Von heute an ist es die offizielle Politik der Regierung der Vereinigten Staaten, dass es nur zwei Geschlechter gibt, nämlich männlich und weiblich«, sagt er da.
In dem Moment, in dem sich Präsidenten einer unausgesprochenen Tradition folgend eigentlich um Einigkeit bemühen, zumindest rhetorisch. Der erste Tag eines neuen Präsidenten soll nicht spalten. Joe Biden wollte die Seele der Nation heilen und erinnerte daran, dass amerikanische Geschichte nicht von einzelnen geschrieben werde, sondern von allen Amerikanern zusammen, Ronald Reagan sagte 1985 in seiner Antrittsrede nach seiner Wiederwahl: »Dies ist der amerikanische Sound. Er ist hoffnungsvoll, großherzig, idealistisch, mutig, anständig und gerecht. Das ist unser Erbe; das ist unser Lied. Wir singen es immer noch. Trotz all unserer Probleme, unserer Unterschiede, stehen wir – wie früher – zusammen.«
Donald Trump aber singt einen anderen Song. Und er macht nicht nur innenpolitisch aus Unvorstellbarem Realitäten. Der 47. Präsident verändert die Welt und das transatlantische Verhältnis, wie es Amerika und Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges definiert und gelebt haben.
»Alle Verbündeten der USA sollen wissen, dass wir ihre Freundschaft honorieren. Wir brauchen euren Rat, wir sind auf eure Hilfe angewiesen. Die Spaltung der freien Nationen ist das Hauptziel der Feinde der Freiheit. Gemeinsame Anstrengungen der freien Nationen, um die Demokratie zu fördern, sind der Beginn der Niederlage unserer Feinde.« Auch das ist ein Zitat aus einer Antrittsrede eines US‑Präsidenten. George W. Bush sprach sie, wiedergewählt 2004 nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 und seinem völkerrechtswidrigen Einmarsch in den Irak. Bush war der letzte Republikaner, der bei seiner zweiten Wahl nicht nur die meisten Wahlleute des Electoral College gewann, sondern auch die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hinter sich vereinen konnte. Bis jetzt.
Nur wenige Wochen, nachdem Trump sein Amt angetreten hatte, mussten wir uns von Gewissheiten und Sicherheiten verabschieden, die bislang unter demokratischen wie republikanischen Präsidenten unantastbar waren. Deutschland und Europa stehen vor der Frage, ob wir uns von dem Amerika, das wir meinten zu kennen, nicht nur für den Augenblick einer dramatischen Trump-Präsidentschaft, sondern auf Dauer verabschieden müssen.
Seit mehr als 20 Jahren sind die Vereinigten Staaten meine zweite Heimat. Noch nie war meine Sorge so groß, dass ich diese Heimat verlieren werde, weil ich sie nicht mehr wiedererkennen werde. Weil die Demokratie in den Vereinigten Staaten vielleicht überlebt, aber das Ideal und die Verheißung, nach denen diese Nation nun bald 250 Jahre lang mühevoll strebt, zerstört werden. Es gibt viele, zu viele, Themen, denen man sich widmen könnte, um sich diesem bedrohten Ideal zu nähern, das Trump an so vielen Fronten attackiert. Während des Schreibens in diesem ersten Jahr der zweiten Amtszeit Donald Trumps hat mich meine eigene Geschichte mit den Vereinigten Staaten genauso geleitet wie die politischen und gesellschaftlichen Aspekte, die meine journalistische Arbeit prägen. Nicht jeder Auftritt Trumps oder jedes seiner Postings hat den Weg ins Buch gefunden. Letzteres erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es ist vielmehr eine Reise durch Erinnerungen, ein Ausblick, ein Versuch, sich diesem Trump-Amerika in Amerika anzunähern.
Donald Fucking Trump. Wie konnte es noch einmal so weit kommen? Und wie können wir mit den verheerenden Folgen umgehen?